„Disney100: Die Ausstellung“ lädt ein zu einer Zeitreise durch die 100-jährige Geschichte des Disney-Konzerns in der Kleinen Olympiahalle (München)

Ein Knall ertönt. Goldene Glitzerpartikel schießen aus einer Konfetti-Kanone, als Becky Cline, Direktorin der Walt Disney Archives, ein Band durchschneidet. So eröffnet die Amerikanerin, eingerahmt von Micky und Minnie Maus, im Curtis Institute in Philadelphia „Disney100: Die Ausstellung“. Sie wird vom 18. April bis 3. September auch in der kleinen Olympiahalle in München zu sehen sein. In zehn Themengalerien finden sich rund 250 Kunstwerke, Artefakte, Kostüme oder Filmrequisiten. Sie laden zu einer Zeitreise durch die 100-jährige Geschichte des Disney-Konzerns ein.

Becky Cline, Direktorin des Walt Disney Archives
© Disney

Fragt man Becky Cline, welches der Exponate für die Disney-Historie am wichtigsten sei, kommt die Antwort ohne Zögern: „Der Vertrag, mit dem am 16. Oktober 1923 die Walt Disney Company gegründet wurde.“ Ihr ganz persönlicher Favorit ist allerdings ein anderes Ausstellungsstück: das „Steamboat Willie“-Skript von 1928. Es wurde von Up Iwerks handgezeichnet, den Text tippte Walt Disney selbst auf der Schreibmaschine. Gemeinsam entwickelten die beiden diesen dritten Micky-Maus-Cartoon. Er wurde als erster öffentlich im Kino gezeigt – mit Ton. Wie sehr diese Produktion Walt Disney am Herzen lag, das dokumentiert ein Streifzug durch die Vergangenheit, den Becky Cline nun macht: „Als Walt starb, hatte er das ,Steamboat Willie‘-Skript in seinem Schreibtisch. Er hat es immer behalten.“
Auszüge aus diesem Skript hängen ebenso wie der Gründungsvertrag im ersten Raum, der unter dem Motto „Wo alles begann“ steht. Nur er ist chronologisch geordnet, die übrigen Galerien beschäftigen sich mit einem bestimmten Thema wie etwa „Woher kommen die Geschichten?“ In diesem Bereich finden sich einige Seiten aus dem Skript für einen Kassenschlager, der als Meilenstein der Kinogeschichte einging: „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ von 1937, Walt Disneys erster abendfüllender Zeichentrickfilm. Er basiert auf einem Märchen der Brüder Grimm. Märchen und Fabeln inspirierten Walt Disney immens, zuweilen griff er für ein Drehbuch aber auch auf Literaturklassiker von Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ bis zu Carlo Collodis „Pinocchio“ zurück. „Das Geschichtenerzählen hatte für Walt einen hohen Stellenwert“, erläutert Becky Cline. „Er wollte die gesamte Familie unterhalten.“
Den Beweis dafür liefert zum Beispiel der Animationsfilm „Cinderella“ von 1950. Eine zeichnerische Studie verdeutlicht, wie das Kostüm und die Frisur der Hauptfigur entworfen wurden. In einer Vitrine steht jener Glasschuh, den die Schauspielerin Lily James 2015 in der „Cinderella“-Neuverfilmung trug. Ebenfalls hinter Glas entdeckt man Mary Poppins Karussellpferd. Es wird allerdings in den USA bleiben, nach München kommt stattdessen Berts Karussellpferd. Alle Blicke auf sich zieht Mary Poppins Schneekugel, aus der tatsächlich kleine Vögel herausfliegen.
Solche Spezialeffekte verblüffen die Besucher in der Schau hier und da. Die Fee Tinkerbell hebt sich über dem eigens für Cinderellas Schloss gebauten Modell empor, wenn es in der „Deine Disney-Welt“-Sektion Nacht wird. Dort dreht sich alles um die Vergnügungsparks. Als Walt Disney mit Disneyland 1955 den ersten in der kalifornischen Stadt Anaheim eröffnete, wurde für ihn ein Traum wahr. Der Amerikaner, der 1966 starb, konzentrierte sich mit dem Beginn der 1960er Jahre hauptsächlich auf die Weiterentwicklung seiner Themenparks. Das heißt indes nicht, dass die Filmproduktion stagnierte. Sie läuft bis heute auf Hochtouren.
Auch die Popularität der alten Animationsfilme ist nach wie vor ungebrochen. Ob „Bambi“ (1942) oder „Aristocats“ (1970): Kinder kennen und lieben diese Werke seit Generationen. Erwachsene katapultieren sie in ihre Jugend zurück – zu ihrer ersten Begegnung mit Cinderella oder Dornröschen. Dennoch verlässt sich Disney im 21. Jahrhundert nicht mehr allein auf den Nostalgie-Faktor. Die neuen Filme sind inhaltlich moderner geworden, oftmals werden die Figuren dem Zeitgeist angepasst. In „Rapunzel – neu verföhnt“ von 2010 ist die Hauptfigur keine passive Frau, die auf ihren Märchenprinzen wartet, sondern eine willensstarke Macherin.
Einen weiteren Schritt in Richtung Zukunft hat die Walt Disney Company mit der Erweiterung ihres Portfolios gemacht. Das Medienunternehmen hob den Streaming-Dienst Disney+ aus der Taufe, zudem kaufte es die Unterhaltungssparte von Fox, Pixar, Marvel und Lucasfilm. Eine kluge Entscheidung: Marvel Cinematics Universe gilt, gemessen an den Einspielergebnissen, als erfolgreichste Filmreihe der Kinogeschichte – gefolgt von „Star Wars“. Dass die „Krieg der Sterne“-Saga mittlerweile zur Disney-Familie gehört, ist für Paula Sigman-Lowery, die „Disney100: Die Ausstellung“ kuratiert hat, beinahe so etwas wie ein logischer Schritt. „George Lucas hat als Junge Disneyland geliebt“, sagt sie. „Er hatte also schon vor ,Star Wars‘ eine Verbindung zu Disney.“ Doch nicht nur das verband ihn früh mit dem Konzern: „Disney brachte in den 1970er-Jahren ,Star Wars‘ als Hörspiel für Kinder heraus.“
Walt Disney hat nämlich beizeiten erkannt: Es reicht nicht, einen Film lediglich in den Lichtspielhäusern zu präsentieren. Bereits für „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ hatte er 1937 eine richtige Merchandise-Kampagne entwickelt. Er verkaufte Puppen, Figuren, Bücher und den Soundtrack – das machte ihn damals in Hollywood zum Vorreiter. Vor allem aber spülte dieser clevere Schachzug, gepaart mit dem Erfolg des Films, so viel Geld in die Kasse, dass Walt Disney in Burbank in Kalifornien ein großes Studio bauen konnte. Dort haben heute auch Becky Cline und ihr Team ihre Büros. Umgeben sind die Mitarbeiter der Walt Disney Archives von historischen Dokumenten, Büchern und natürlich Merchandise-Produkten. Für die Requisiten, Kostüme oder Fahrzeuge aus den Vergnügungsparks wurden mehrere Lagerhallen in der Umgebung angemietet. Fühlt sich Becky Cline ein bisschen wie „Alice im Wunderland“, wenn sie durch die Gänge läuft? Sie lacht, dann schüttelt sie den Kopf: „Zwischen all den großen Regalen und Kisten komme ich mir eher vor wie in der letzten Szene von ,Indiana Jones: Jäger des verlorenen Schatzes‘.“
Auf jeden Fall liebt Becky Cline Disney, seitdem sie denken kann. Sie ist in Südkalifornien aufgewachsen, als Kind war sie oft im Disneyland oder sah sich im Kino Disney-Filme an. Jeden Sonntag schaute sie die TV-Show „Disneyland“, die Walt Disney moderierte: „Ich war ein Disney-Kind und bin es immer noch.“ Als sie vor 33 Jahren einen Job in den Walt Disney Archives, gegründet 1970, bekam, wurde für Becky Cline tatsächlich ein Traum wahr: „Bis heute gehe ich jeden Tag gern zur Arbeit.“
Erwartungsgemäß hat sie es genossen, in den Walt Disney Archives nach den passenden Exponaten für die Ausstellung zu stöbern. Eine leichte Aufgabe war das jedoch nicht: „Am schwierigsten war es für mich zu entscheiden: Was lasse ich weg?“ Schließlich sollten möglichst viele Produktionen aus den vergangenen 100 Jahren eingebracht werden. „Zunächst haben wir uns gefragt: Welche Geschichte wollen wir in der jeweiligen Galerie erzählen?“ fährt Becky Cline fort. „Dann haben wir geschaut, welche Artefakte uns dafür zur Verfügung standen.“
Einer Sache muss man sich allerdings bewusst sein: In der Schau sieht man nicht bloß Originale, teilweise werden Reproduktionen gezeigt. Einfach, weil ein alter Vertrag oder Zeichnungen eben sehr empfindlich sind und die Originale unversehrt in den Walt Disney Archives erhalten bleiben sollen. Dennoch möchte Paula Sigman-Lowery mit den Besuchern in den Dialog treten. Ein Rundgang durch die Ausstellung soll ihnen immer wieder Aha-Erlebnisse bescheren. „Emotionale Momente werden die Leute an ihre erste Disney-Erfahrung erinnern“, verspricht die Kuratorin. „Unabhängig von ihrem Alter.“
Obgleich die Disney-Klassiker im Vordergrund stehen, wurde „Star Wars“ nicht außen vor gelassen. Man kann Luke Skywalkers Laserschwert, einen Stormtrooper-Helm oder den Droiden BB-8 bewundern. Noch häufiger begegnen einem aber jene Charaktere, die unwiderruflich mit Disney verbunden sind – von einem Pu der Bär aus Plüsch über Dornröschen bis zu Micky Maus. „Micky und Minnie Maus sind Disneys internationale Botschafter“, sagt Paula Sigman-Lowery. „Sie sind optimistisch, sie bereiten uns Freude, sie bringen uns zum Lachen.“
Wohl deswegen sind sie gerade bei Kindern so beliebt. Nicht wenige lesen mit Begeisterung Micky-Maus-Comics, die alle zwei Monate erscheinen. Sie tragen T-Shirts mit einem Aufdruck der weltberühmten Maus und trinken aus Micky-Bechern. „Wenn man zuhause eine Micky-Maus-Puppe hat oder sich die Zähne mit einer Drei-kleine-Schweinchen-Zahnbürste putzt, werden die Disney-Charaktere ein Teil des Alltags“, analysiert Paula Sigman-Lowery. „Walt Disney ließ seine Figuren von der Leinwand in das Leben der Menschen treten. Auf diese Weise haben die Leute eine intensivere Beziehung zu ihnen entwickelt.“ Becky Cline bringt es auf den Punkt, was Micky Maus bis heute für den Disney-Konzern bedeutet: „Er ist der Boss.“

Disney100: Die Ausstellung. Kleine Olympiahalle, München. Bis 03.09.23. olympiapark.de/kleine-olympiahalle

Bildquellen

  • Becky Cline, Direktorin des Walt Disney Archives: © Disney
  • Blick in die Ausstellung: In zehn Themengalerien finden sich rund 250 Kunstwerke, Artefakte, Kostüme und Filmrequisiten: © Disney