Die wahre Geschichte von Jesus, Maria Magdalena und Judas

Franz Alt war schon immer ein streitbarer Geselle. Der 1938 in Untergrombach Geborene hat später Politikwissenschaften, Geschichte, Philosophie und Theologie studiert. Er hat sich als politischer Journalist, langjähriger Fernsehmoderator, Buchautor, Vortragsredner, Umwelt- und Friedensaktivist (Anti-Atom-Bewegung, Rüstungsgegner, Solarpionier, Stuttgart-21…) stets prononciert als Anwalt der sozial Schwachen und Benachteiligten geäußert und sich für eine „bessere Welt“ im Sinne der Bewahrung und Pflege der Schöpfung eingesetzt. Richtschnur dabei war sein tiefer christlicher Glaube, oder besser, sein eigenes emanzipatorisches Verständnis davon. Sein gegenüber der herrschenden Dogmatik der Amtskirche revolutionäres Jesusbild führte ihn wiederholt in theologische Konflikte mit der Kirchenhierarchie und 1988 zum Austritt aus der CDU, als diese eine weitere Nutzung der Atomenergie propagierte. Sein jüngstes Buch „Die außergewöhnlichste Liebe aller Zeiten“ ist nichts weniger als ein Frontalangriff auf wesentliche Inhalte der biblischen Glaubenslehre, insbesondere die Ostergeschichte betreffend.

Die Evangelien der Bibel – unvollständig und falsch übersetzt?
Ist Jesus von Nazareth wirklich am Kreuz gestorben und als Sohn Gottes auferstanden, war Maria Magdalena die sündige „Hure“, als die sie von den Kirchenvätern dargestellt wurde und war Judas der „gemeine Verräter“, der seinen Meister gegen Silberlinge ausgeliefert hat? Diesen Fragen spürt Franz Alt nach, verneint sie kategorisch und setzt dagegen: Der besondere Mensch Jesus habe in Abgrenzung zum zu seinen Lebzeiten herrschenden Tempelkult in Jerusalem ein neues Gottes- und Menschenbild entwickelt. Gott ist für ihn sein „Abba“, das meint aramäisch mütterlicher oder gütiger Vater. Dessen Lehre verkündete er nach seiner Taufe durch Johannes in seiner Muttersprache aramäisch als „Heiler“, indem er durch Galiläa zog und sich mit den “Schwachen, den Hungernden, den Kranken, den Gefangenen, den Kindern und den Frauen“ solidarisierte. Eine Lehre von der friedvollen Liebe aller Menschen zueinander. In diesem Geiste scharte er Anhänger um sich, darunter auch Maria Magdalena und Judas. Beide wurden, so Alt, die engsten und geliebten Vertrauten und Ratgeber von Jesus. Im Falle von Maria Magdalena war dies, gemessen am damals herrschenden Frauenbild, ein eklatanter Tabubruch. Judas habe, entgegen der biblischen Behauptung, Jesus nicht verraten, sondern ihn in Jesu Auftrag und auf dessen Geheiß der Obrigkeit übergeben. Jesus wollte selbst – im Einklang mit seinem „Abba“ – ans Kreuz, um für seine Botschaft bis zum Äußersten zu gehen.
Diese Thesen bedurften freilich der Untermauerung. Franz Alt sieht sie in der Korrektur von entscheidenden Übersetz-ungsfehlern in den auf dem Konzil von Nicäa im Jahr 325 als verbindliche Glaubenslehre festgesetzten Evangelien, die nur in der damaligen griechischen Amtssprache überliefert sind. Die aramäischen Urschriften dagegen sind nicht erhalten. Daher könne nur eine Rückübersetzung vom Griechischen ins Aramäische mehr Klarheit schaffen und Alt beruft sich auf eine solche durch den evangelischen Theologen und Altphilologen Günther Schwarz (gest. 2009). Ein Beispiel: Jesus kündigt im (griechischen) Matthäusevangelium, als er seine Apostel auf Golgatha schlafend antraf, seine Kreuzigung und den Verrat seiner Person durch einen der Ihren an. In der Rückübersetzung ins Aramäische klingt die Stelle aber so: „Ihr schlummert und ruht? Das Ende ist gekommen. Der rechte Augenblick ist da. Ich bin gewillt, übergeben zu werden in die Gewalt der Toren. Steht auf! – Ich muss gehen! Seht! Er, der mich übergeben muss – Er ist da.“ Der angebliche schnöde Verrat aus Gewinnsucht wird hier zum abgesprochenen Auftrag an Judas, der sich als Vertrauter Jesu und als einzig gebürtiger Jerusalemer am besten dafür eignete. Alt liefert im Buch noch zahlreiche weitere und ähnliche Beispiele für Falschinterpretationen, insbesondere zum nicht eindeutig bewiesenen Tod und der in der Bibel behaupteten Auferstehung Jesu. Zudem verweist er auf erst vor einigen Jahren entdeckte aramäische Evangelientexte von Maria Magdalena und Judas, die bisher von den Amtskirchen nicht als relevant anerkannt worden sind. Letztere enthielten wertvolle Hinweise auf das Verhältnis von Jesus zu Maria Magdalena und Judas, welches Alt als die „außergewöhnlichste Liebesgeschichte aller Zeiten“ bezeichnet.
Der Autor behauptet, dass der offizielle Bibeltext an entscheidenden Stellen von ordnungstheologischem „Wunschdenken“ geprägt ist und dem befreienden „jesuanischen“ Weg der allseitigen Liebe in wesentlichen Aspekten widerspricht. Er setzt die Forderung dagegen, dem „jesuanischen“ Weg der allseitigen Liebe und Fürsorge zu folgen und resümiert: „Kirchen können vergehen, Jesus wird bleiben… der soziale Jesus der Bergpredigt zur Überwindung der weltweiten sozialen Ungerechtigkeiten, der ökologische Jesus für die Bewahrung der Schöpfung, der pazifistische Jesus für eine effizientere Friedens- und Abrüstungspolitik im Atomzeitalter und der feministische Jesus, der mit seiner Gefährtin Maria Magdalena vorgelebt hat, was echte Gleichberechtigung von Mann und Frau bewirken kann“.
Das Buch enthält noch eine ganze Reihe weiterer Aspekte, die gläubige Christen dazu veranlassen können, weniger auf eine künftige jenseitige Seligkeit oder die „unfehlbare“ Autorität der Amtskirchen zu bauen, sondern in der Nachfolge des „wahren Jesu“ aktiv an der Schaffung eines menschen- und naturfreundlichen friedvollen Diesseits mitzuarbeiten. Es ist spannend geschrieben und lädt zur geistigen Auseinandersetz-ung ein. Sicherlich eine Stärke des Textes, der seine aufklärer-ische Wirkung in christlichen Kreisen haben wird. Deshalb, auch und gerade mit Blick auf die rapide wachsende Legitimationskrise der Kirchen, ist Alts Buch sehr zu empfehlen.
Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Autor sich, zumindest was die theologischen Implikationen betrifft, auf einem ähnlich dünnen wissenschaftlichen Quellen-Eis wie die herkömmliche Theologie bewegt. Und jeder Mensch kann auch ohne jeglichen religiösen Überbau und auch ohne Jesus die Notwendigkeit der dringenden Transformation der überwiegend destruktiven Entwicklungen unserer Lebenswelt erkennen und sich dagegen engagieren.

Das Buch ist im Freiburger Herder-Verlag erschienen und zum Preis von 24 Euro im Buchhandel erhältlich. Mehr Informationen zum Autor auf seiner Homepage: www.sonnenseite.com

Bildquellen

  • Der Autor Franz Alt: © Bigi Alt