„Die ökonomische Vernunft des Sozialstaats“: Ein Gesprächsabend der Freiburger Diskurse mit dem Gesundheitsökonom Hartmut Reiners

Hartmut Reiners

Nicht erst mit der Polemik einiger FDP- oder CDU-Politiker*innen wurde der Sozialstaat für manche in Verruf gebracht. Eine „soziale Hängematte“ sei er, unbezahlbar. In die klassische Wettbewerbssituation der Sozialen Marktwirtschaft ist er tatsächlich nicht selbstverständlich zu integrieren. Entsprechenden Kontroversen will ein Gesprächsabend des Vereins Freiburger Diskurse nachkommen. Titel: „Die ökonomische Vernunft des Sozialstaats. Warum eine soziale Marktwirtschaft noch keinen Sozialstaat macht.“ Termin: 25. April, 19 Uhr im Hörsaal 1098 der Universität Freiburg oder im Livestream.
Gesprächspartner der Journalistin Eva Roth („nd.DieWoche“) ist der Berliner Gesundheitsökonom Harmut Reiners. Als Volkswirt war er viele Jahre in verantwortlichen Positionen in den Gesundheitsministerien der Länder tätig und maßgeblich an allen Reformen der gesetzlichen Krankenversicherung zwischen 1988 und 2009 beteiligt. Im März erscheint sein neues Buch „Die ökonomische Vernunft der Solidarität. Perspektiven einer demokratischen Sozialpolitik“. Darin will Reiners herausstellen, dass der Sozialstaat eben kein Erlahmen der Wirtschaft bedeutet, sondern sowohl sozial als auch effizient verfährt.
Vielmehr sieht Harmut Reiners gerade die Privatisierung von Sozialversicherungsleistungen als ökonomischen Holzweg. Für die Kritik am Sozialversicherungssystem vonseiten der Wirtschaft hat er nur wenig Verständnis, sieht sie vielmehr als veraltet: „Kampagnen, wie sie etwa kürzlich gegen das ‚Bürgergeld‘ geführt wurden, sind nicht neu und basieren auf dem stets gleichen Argumentationsmuster: Der Sozialstaat sei nicht bezahlbar, erhöhe die Arbeitskosten, schädige damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und schränke die individuellen Freiheiten durch Zwangsabgaben ein. Diese Argumente sind substanzlos.“ Würde es nach den Sozialstaatsgegner*innen gehen, müsste die Wirtschaft angesichts eines Sozialbudgets, das heute etwa einem Drittel der Wirtschaftsleistung entspricht, längst kollabiert sein. Das dem nicht so ist, führt Hartmut Reiners zu einem klaren Appell für den Sozialstaat, den er als „unverzichtbare Grundlage moderner Zivilgesellschaften“ betrachtet. Ohne ihn würde die kapitalistische Marktwirtschaft nicht richtig funktionieren.
Im vorab geführten Gespräch mit dem Kultur Joker unterzieht Reiners auch den Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft“ einer Kritik. Schließlich sei er mehr Phrase als klar definierbarer Begriff. Der ordoliberale Gedanke, ein regulierter Wettbewerb führe zu allgemeinem Wohlstand, der eine gesonderte Sozialpolitik jenseits einer absichernden Grundsicherung überflüssig mache, geht für Hartmut Reiners an der Realität vorbei. „Es geht um die Bewältigung allgemeiner Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Alterung, Krankheit und Pflegebedürftigkeit. Früher konnten diese Aufgaben zumindest teilweise von Familien und Nachbarschaften wahrgenommen werden. Das ist aber angesichts der Individualisierung und Mobilität der Gesellschaft und dem Streben nach Geschlechtergerechtigkeit schon lange keine tragfähige Option mehr.“
Privaten Absicherungen gegenüber abgeneigt ist Hartmut Reiners per se nicht. Man müsse sich aber fragen, zu welchem Preis man seine Sicherheiten in der privaten Versicherungswirtschaft findet. „Private Versicherungen kalkulieren ihre Beiträge nach den individuellen Risiken der Versicherten. Das würde einen großen Teil der Bevölkerung finanziell überfordern. Vor allem aber kann das Sozialversicherungssystem die gleichen Leistungen effektiver und kostengünstiger erbringen.“ Als Beispiele nennt Reiners in seinem Buch die Arbeitslosenversicherung, die von der Versicherungswirtschaft gar nicht erst angeboten wird. Die Gesetzliche Rentenversicherung sei weniger anfällig für Krisen als das etwa von den Finanzmärkten abhängige Kapitaldeckungsverfahren. Außerdem sichere die GRV auch Invalidität ab, die privat eine eigene Berufsunfähigkeitsversicherung erfordern würde. Und die Gesetzliche Krankenversicherung gebe für die gleichen Versorgungsleistungen ein Drittel weniger aus als die Private Krankenversicherung. Die Verwaltungskosten der PKV seien darüber hinaus doppelt so hoch wie die der GKV. Dies sind nur wenige, noch zu vertiefende Beispiele, zu denen Hartmut Reiners im Gespräch sicher noch einige hinzufügen wird. Man darf gespannt sein, welche weiteren Vorteile seine „ökonomische Vernunft der Solidarität“ noch bringt.

Weitere Infos und Anmeldung für den Livestream: www.freiburger-diskurse.de

Bildquellen

  • Hartmut Reiners: Foto: Privat
  • Buch: © Edition Makroskop
  • Ein Gesprächsabend der Freiburger Diskurse mit dem Gesundheitsökonom Hartmut Reiners: Foto: Pixabay