Kunst

Die künstlerische Wucht der Selbstermächtigung: Das Kunstmuseum Basel zeigt Paula Regos Werk – die figurative Kunst der portugiesisch-britischen Künstlerin ist erstmals im deutschsprachigen Raum zu sehen

Zwei Jahre nach ihrem Tod werden erstmals die figurativen Werke der portugiesisch-britischen Künstlerin Paula Rego im deutschsprachigen Raum gezeigt. Das Kunstmuseum Basel präsentiert eine großartige Ausstellung mit stets berührenden und höchst beunruhigenden Grafiken, Malerei, Collagen und Textilkunst samt Puppen in neun thematisch geordneten Räumen.
„Selbstbilder“ vereint die wenigen Selbstporträts der in Portugal und Großbritannien seit Jahrzehnten bekannten Künstlerin. Sie schaute sich nicht gerne selbst an, weil sie dies langweilig fand. 1966, bedingt durch den Tod des Vaters und die MS-Diagnose ihres Ehemannes, schuf sie im „Self Portrait in Red“ ein schwindelerregendes Werk, in dem sie mit verletzten Augen als monströs zusammengesetzte Figur, von ihrer Cousine Manuela flankiert wird. In „Border Patrol: Self Portrait with Lila, Reflection and Ana“, 2004 machte sie mehrere Ansichten, von hinten und von vorne mithilfe zweier Spiegel sichtbar, sodass die Illusion von Umschreiten entsteht. Besonders eindrücklich sind drei Bleistift- und Pastellzeichnungen auf Papier, in denen die 82-Jährige ihre Verletzungen im Gesicht, bedingt durch einen Treppensturz, zeigt.

Paula Rego: „The Family“, 1988
© Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images Creditline: Privatsammlung, courtesy of Eykyn Maclean

Maria Paula de Rego, 1935 in Lissabon geboren, war das einzige Kind einer liberalen Familie. Ihr Vater sandte sie mit 15 Jahren nach London zur Ausbildung. Bereits mit 17 wird sie an der renommierten Slade School of Fine Arts in London zugelassen. Sie lernt den Künstler Victor Willing kennen, heiratet und bekommt drei Kinder. Er wird zu ihrem fruchtbarsten Kritiker.
Ein Schlüsselbild in Raum 2 „Familienaufstellung“ ist das Gemälde „The Family“ von 1988. Es zeigt einen auf der Bettkante sitzenden Mann im Anzug, der so von einer Frau und einem Mädchen eingezwängt wird, dass zwischen Fürsorglichkeit und Grenzüberschreitung kaum noch unterschieden werden kann, wäre nicht das schattenwerfende Mädchen vor dem Fenster, das „auf ein Wunder hofft“. Die Künstlerin malte es während ihrer Therapie nach C. G. Jung. Das expressive Porträt des geliebten Vaters von 1954/55 und die auf rotem Tuch liegende Frau mit den Händen über der Brust „Love“ (1995) zeugen von starker Einfühlsamkeit. Modell ist die Tochter Victoria, die hier das Hochzeitskleid ihrer Mutter trägt.
Machtspiele und Hierarchien waren Lieblingsthemen der Künstlerin. Seit 1926 herrschte Diktator O. Salazar in Portugal, Analphabetismus war verbreitet, die Bevölkerung hungerte. Der Diktator finanzierte so seine Kriege zum Erhalt der Kolonien in Afrika. In den Dörfern war die Kirche allmächtig. Abtreibung war streng verboten. Rego wird mit ihren Radierungen, welche die Folgen von im Verborgenen durchgeführten Aborten aufzeigen, zu deren Legalisierung beitragen. Das Ölbild „The Interrogator“, um 1950 widerspiegelt die höchst bedrückende Atmosphäre, die das Verhör eines verzweifelten jungen Mannes zeigt. Und im Pastell „The Interrogator“s Garden“, 2000, kann diese Verzweiflung auf uns Betrachtende überspringen. Welcher Sadist, oder ist es eine Frau? sitzt da vor der Wand, hinter der eine Frau in ihr Gewand steigt? Da graut einem oder einer noch heute vor den Methoden der PIDE, der Geheimpolizei. Ein wandgroßes Textilwerk zeigt die verlorene Schlacht von Alcácer-Quibir 1578, in der 8000 Portugiesen umkamen. Es erinnert mit seinen zerlegten Formen an die Kolonialkriege der 1966er Jahre. Diese Auftragsarbeit eines Hotels an der Algarve wurde zurückgewiesen. Im als „Geschlechterkampf“ betitelten Raum steht ein rätselhaftes Geschwisterbild „The Cadet and his sister“ von 1988 für die Stärke einer vor dem verträumten jungen Mann knieenden Frau in rotem Kleid. Eine gestickte Feige greift die Symbolik der Frucht in der europäischen Kulturgeschichte auf. Seit der MS-Erkrankung ihres Mannes von wiederkehrenden Depressionen geplagt, befasste sich die Künstlerin mit Märchen und der Psychoanalyse. Malen wurde für sie zum Mittel, Dinge bildnerisch zu verarbeiten und „Malen ist auch ein erotischer Akt“, sagte sie. „Ein gelungenes Werk erleichtert.“ In der Serie des Märchens „Brancaflor“ schuf sie eine neue Art von „Heldinnen“, die Rätsel lösen, während der Prinz schläft. Ängste der dargestellten Frauen wandelt sie in Selbstermächtigung. „Kompromisslos“ hat sie Sichtbares gemalt, über das nicht gesprochen wird. So zeigt der altarähnliche Aufbau „Oratorio“, 2009 zwar die Care-Arbeit von Frauen aber gleichzeitig das Gewalttätige in ihrer Ausführung. Im großformatigen Diptychon „Dancing Ostriches“ (1995) bewegt sich eine Gruppe stämmiger Frauen in schwarzen Tutus. Gerne besuchte Paula Opern mit ihrem Vater, drei Acrylzeichnungen zeigen Handlungsstränge von Verdi-Opern mit Betonung der Schlussszenen in „La Traviata“, „Aida“ und „Rigoletto“. Auch der Text „Verwandlung“ von Franz Kafka hat die Künstlerin angeregt: „Metamorphosing after Kafka“, 2002. Sie malte einen nackten, schlankgliedrigen Mann auf dem Rücken, der alle Viere von sich streckt. Manche Darstellungen grausamer Themen erinnern an „Los Deperados“ von Francisco Goya wie „Circumcision“, 2009, anderes bleibt rätselhaft wie die Radierung „nightbride“, 2009. Und in „war“, 2003, einem Pastell mit fliehenden Frauen und Kindern werden deren Köpfe durch Hasenköpfe ersetzt. Im letzten Saal, „Kampfgeist“ betitelt, liegt in „Posession I-VII“ sieben Mal Lila Nunes, die ehemalige Pflegerin ihres Mannes, ihr Modell und Alter Ego im rotschillernden Samtkleid auf der senfgelben Therapiecouch. Sie wirkt erschöpft. Schließlich rächt „Angel“, 1998 die lebensgroße Frau im goldgelben Rock und grausilbrigen Wams mit Schwert und Schwamm ihre Schwestern nach Eza de Queiroz‘ Roman „Das Verbrechen des Paters Amaro“. Es ist nicht zwingend ein Geistlicher oder Lehrer, es kann auch ein Verwandter, ein Vorgesetzter, ein Regisseur sein, der angeklagt ist, einer schwächeren, jungen und abhängigen Frau Gewalt anzutun. In der Hand mit dem Schwann wird sogar der Name des Verbrechers getilgt. Schon der griechische Dichter Aischylos hatte in Agamemnon diese Idee des Auslöschens, die die Autorin Anne Weber im Katalog aufgegriffen hat.

Paula Rego. Machtspiele. Kunstmuseum Basel, St. Alban-Graben 16, Basel. Bis 02.02.2025.

Bildquellen

  • Paula Rego: „The Family“, 1988: © Paula Rego. All rights reserved 2024 / Bridgeman Images Creditline: Privatsammlung, courtesy of Eykyn Maclean