Die Gesellschaft wird eine andere sein: Im Gespräch mit Anja Burde und Sebastian Sladek, Vorständsmitglieder und Stromrebell:innen der EWS
Im Frühjahr 1987 kam in Schönau eine Gruppe Bürger:innen zusammen, der Anlass: Der Reaktorunfall in Tschernobyl. Aus dieser Gruppe entstand eine Initiative für den Atomausstieg, unter anderem gegründet von Ursula und Michael Sladek. Aus dieser Initiative besorgter Bürger:innen, vornehmlich Familien mit Kindern, formten sich die Schönauer Stromrebell:innen und mit ihnen die Elektrizitätswerke Schönau, kurz EWS. In diesem Jahr feiert die genossenschaftlich geführte EWS 30 Jahre. Zu diesem Anlass sprach Elisabeth Jockers mit Anja Burde und Sebastian Sladek, Mitglieder des Vorstands und Stromrebell:innen der EWS über Anfänge, zivilen Protest, die demokratische Bedeutung eines runden Tisches und aktuelle Herausforderungen einer grünen Energiewende.

Kultur Joker: Im Frühjahr 1987 gründeten Michael und Ursula Sladek mit anderen Schönauer:innen eine Initiative für den Atomausstieg. Anlass war damals der Reaktorunfall in Tschernobyl. Heute verkauft die EWS als bürgereigene Genossenschaft reinen Ökostrom und versorgt weit über 200.000 Kund:innen. Herr Sladek, wie haben Sie die Zeit der Gründung wahrgenommen – von der Initiative bis zum Kauf des Stromnetzes?
Sebastian Sladek: Wie habe ich das wahrgenommen? Es war eine wilde Zeit und ich war öfters auch sehr froh, dass ich vier Geschwister hatte, weil meine Eltern zunehmend unterwegs waren. Aber über dieses Thema waren wir uns einig. Es hat uns alle natürlich auch zeitweise genervt, wenn man aus der Schule heimkommt und schon wieder sitzen da zwei fremde Leute. Und es wird immer nur über Energie geredet. In der Zeit habe ich sehr skurrile Menschen kennengelernt – das möchte ich aber alles nicht vermissen.
Anja Burde: Du musst von dem Tisch erzählen!
Sebastian Sladek: Wir sind sieben Leute, also haben wir ein größeres Esszimmer und auch einen großen Esstisch. An diesem schönen runden Tisch hat sich natürlich auch immer die Bürgerinitiative getroffen. Da wurden Experten, Mitstreiter aus Deutschland und später auch aus Europa willkommen geheißen. Es gab keinen Kopf, denn es war ja ein runder Tisch und so war alles auch sehr gleichberechtigt. Zusammenkommen, diskutieren, auch wir als Familie haben das immer gerne gemacht. Es wurde gerade zum ersten Mal der Michael-Sladek-Preis verliehen und da gibt es als Trophäe ein Tischbein.
Kultur Joker: In Erinnerung an diesen Tisch?
Sebstian Sladek: In Erinnerung an diesen Tisch, in Erinnerung daran, dass man nur gemeinsam was bewegen kann und dazu zusammenkommen muss.
Kultur Joker: Wie würden Sie die DNA der EWS beschreiben?
Anja Burde: Darüber habe ich mir in den letzten Tagen öfter Gedanken gemacht. Den Anspruch, den wir mitbringen, das Rebellische. Dazu gehört in meinen Augen auch Authentizität, Wille und Mut. Deswegen bin ich dieses Jahr zur EWS gekommen, weil ich sie als kantig, als authentisch empfunden habe. Als ich hier vorgesprochen habe, musste ich schmunzeln, weil ich genau wusste, was mein 15-jähriger Sohn sagen würde. Seine Originalworte waren: wie geil ist das denn?
Kultur Joker: Die Klimakatastrophe hat in den letzten Jahren insbesondere die jungen Generationen zum Protest auf die Straße getrieben. Ist das auch ein Generationskonflikt?
Sebastian Sladek: Wir sind jetzt an einem Punkt, wo unsere Kinder, wenn sie irgendwann klarer sehen, uns bittere Vorwürfe machen werden. Und auch vielen Leuten, die heute im Bundestag sitzen.
Anja Burde: Wir reden seit Jahren über enkeltaugliche Zukunft. Aber haben wir das schon geschafft? Nein, noch lange nicht. Es muss weitergehen.
Kultur Joker: Wir haben vorher über die DNA der EWS gesprochen. Authentizität, Wille und Mut. Würde so ein Projekt heute noch einmal funktionieren?
Sebastian Sladek: Für mich war das Besondere dieser Bewegung immer das einander die Hände reichen. Du könntest das auch konfrontativ machen à la „Du zerstörst die Zukunft meiner Kinder“. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich auch erst nach dem Tod meines Vaters und im letzten Jahr viel begriffen habe. Sie kennen sicher diesen Managementspruch „Doing the right thing in the right way.“ Hier geht es vor allem um den right way. Die brauchten demokratische Mehrheiten und die mussten organisiert werden. Da war Offenheit und Gespräch. Das war aber auch mutig von den Schönauern. Und letztlich hatte das nur was mit Vertrauen zu tun. Das war die Währung.
Kultur Joker: Also sind Charisma und Glaubwürdigkeit wichtige Bestandteile?
Anja Burde: Michael Sladek mit seiner Fähigkeit Menschen zusammenzubringen war die richtige Person zur richtigen Zeit. Das ist auch das, was uns heute oft fehlt oder was auch für mich immer ein Stück weit die Begründung ist, warum eine Figur wie Trump zieht.
Kultur Joker: Sie sagten vorher, es müsse jetzt weitergehen. Einige verspüren in Deutschland aber eine gewisse Klimamüdigkeit. Woran liegt dieser Verdruss, der sich auch in den Wahlkämpfen und Ergebnissen der Bundestagswahl 2025 widergespiegelt hat?
Sebastian Sladek: Das ist auch eine fehlende Diskussionskultur. Konflikte löst man nicht, indem man sie vermeidet. Versöhnungsbereit muss man trotzdem immer bleiben. Und es geht auch nicht darum, sich in einer Diskussion durchzusetzen und zu siegen, sondern eine Lösung zu finden, wo alle mitgehen können. Ich meine, das ist doch Demokratie.
Kultur Joker: Wie könnte man dem entgegenwirken?
Sebastian Sladek: Uns fehlt eine gemeinsame Blickrichtung. Wir erkennen, was wir tun sollten, dafür reicht es glücklicherweise noch, aber dann muss man auch konsequent in eine Richtung gehen. Einstein hat mal gesagt, die Wege, die uns in ein Problem hineinführen, sind nicht dieselben, die uns wieder hinausführen. Das glauben wir aber immer noch.
Kultur Joker: 2007 haben wir Ihren Vater, Michael Sladek, interviewt. Dort sagte er, dass es „einer anderen Kreativität und Mut zum Handeln“ bedarf, um den Atomausstieg zu schaffen. Heute ist der Ausstieg zwar beschlossen, zugleich diskutieren wir aber über „grüne Atomkraft“. Fehlt uns Mut oder Kreativität? Oder ist es ein strukturelles Problem, weil Profitmaximierung, Überkonsum und Umweltschutz auch mit grünem Etikett nicht zu vereinbaren sind?
Sebastian Sladek: Es gibt keine bösen Menschen. Es gibt aber Leute, die sich verführen lassen. Und Geld hat nur ein Interesse: Mehr werden. Das ist überall so. Wenn ich ein abgeschriebenes Kraftwerk auch nur eine Stunde länger laufen lassen kann, werde ich alles dafür tun, diese Stunde zu kriegen. Wenn ich den Leuten dann auch noch Angst mache, dann kriege ich vielleicht noch mehr als eine Stunde. Es gibt eine große amerikanische Marketingagentur, die jahrzehntelang für die fossile Industrie den Klimawandel geleugnet hat. Und als er nicht mehr zu leugnen war, hat sie die Atomkraft als billigere Klimaschutztechnologie gehyped. Aber wir wollen doch nicht den Teufel mit dem Belzenbub austreiben. Wir müssen uns ständig selbstkritisch beobachten.
Kultur Joker: In dem Interview hat Michael Sladek immer wieder die Wichtigkeit des Stromsparens hervorgehoben und dass eine nachhaltige Wende eben auch bedeuten würde, den Verbrauch zu reduzieren. Ist das heute noch unser Verständnis einer Energiewende?
Anja Burde: Das Bewusstsein hat sich definitiv geändert, das stimmt. Vielleicht auch, weil man durch den Ausbau der regenerativen Energien meint, mehr Strom ohne schlechtes Gewissen verbrauchen zu können. Die Energiewende ist vorangeschritten, wir sind aber überzeugt, dass wir als Ökoenergieversorger weiterhin ein Zukunftsmodell sind. Wir verbinden den Vertrieb von hochwertigem Ökostrom mit dem Bau von Wind- und Solarparks und Nahwärmenetzen. Als Genossenschaft ermöglichen wir Teilhabe und stehen insgesamt für die Werte der Demokratie. Das halte ich gerade in der heutigen Zeit für unerlässlich, wenn wir die Transformation schaffen wollen.
Sebastian Sladek: Nachhaltigkeit, Energiewende, Ökologie – das hat heute alles ein schlechtes Image. Das liegt auch an einer total vermurksten Energiepolitik der letzten 25 Jahre. Denn egal wer gerade an der Regierung war, die Richtung war nie klar und konsequent genug. Wir müssen ein ökologisches und soziales Bewusstsein bei den Menschen schaffen. Das heißt auch, dass wir als Gesellschaft nicht nur auf Politik reagieren sollten, sondern sie mitgestalten müssen. Ich sage gelegentlich bei Vorträgen: wenn eine Mehrheit sagt, wir fahren zusammen zur Hölle, dann fahren wir zusammen zur Hölle. Da bin ich Demokrat genug.
Kultur Joker: Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche fordert einen „Realitätscheck“ für die Energiewende und verkündet den Bau von 40 neuen Gaskraftwerken. Suchen wir die Lösung eines Problems im Problem selbst?
Sebastian Sladek: Das ist aus meiner Sicht ganz viel Spekulation, aber man merkt natürlich, wo Frau Reiche zuvor gearbeitet hat. Die Stimmung ist vergiftet, noch bevor irgendwas auf dem Tisch liegt. Und so ist das bei Energiethemen eigentlich seit 10 Jahren. Aber ich fürchte schon, dass es die Wärmewende zwischen 5 und 10 Jahren kosten wird.
Anja Burde: Was wir jetzt brauchen ist Mut, denn daraus entsteht Motivation. Und das, was Frau Reiche tut, ist für mich nicht mutig.
Kultur Joker: Frau Burde, Sie sind im Februar diesen Jahres als viertes Vorstandsmitglied dazugestoßen und übernehmen in der EWS den Personalbereich sowie den Vertrieb. Welchen Herausforderungen steht der Markt derzeit gegenüber? Und welche Schwerpunkte werden Sie setzen?
Anja Burde: Es wird ganz viel um Recruiting oder Employer Branding gehen. Die Spezialisten zu finden, die wir brauchen, denn sie transportieren die Zukunft, die Kultur, die Werte der EWS. Die Fachkräfte können es sich heute aussuchen, wo sie arbeiten. Da geht es nicht nur um Ort, Geld, Arbeitszeit. Sondern es geht auch um den Sinn und wofür mein Arbeitgeber steht.
Kultur Joker: Die EWS scheint ihren Wurzeln treu geblieben zu sein. Unter anderem haben Sie sich 2023 solidarisch mit Lützerath gezeigt und unterstützten die Demonstrant:innen sogar vor Ort – Sie, Herr Sladek, waren auch dort. Ziviler Protest findet heute vielerorts statt – dennoch scheint eine Vision für die Zukunft zu fehlen. Was ist ihre rebellische Vision der Zukunft?
Anja Burde: Wir werden rebellisch bleiben. Wir werden mutig sein. Unsere Zukunft und die Energiewende brauchen Mitstreiter, die kein politisches Kalkül haben, sondern ökologische und soziale Alternativen bieten. Wir wollen das Gleichgewicht halten und ich glaube, die Zutaten sind alle da.
Sebastian Sladek: Haltung zeigen, das ist das Wichtige. Und zwar eine konsistente Haltung. Diskursbereit, aber auch versöhnungsbereit zu bleiben. Das braucht eine Demokratie. Unsere Vision: 100 Prozent grün und die sektorübergreifende Energiewende. Das ist sicher eine der wichtigsten Aufgaben dieses Jahrhunderts, aber auch nur ein Puzzleteil. Wenn wir das schaffen, dann wird die Gesellschaft eine andere sein.
Kultur Joker: Liebe Anja Burde, lieber Sebastian Sladek, wir bedanken uns für das interessante Gespräch und gratulieren zu 30 Jahren!
Vom 28. bis 29. Juni veranstaltet die EWS in Schönau das 24. Stromseminar – inklusive einer Jubiläumsveranstaltung zu 30 Jahren EWS und 15 Jahren EWS-Genossenschaft. Anmeldung unter: www.ews-schoenau.de
Bildquellen
- Sebastian Sladek und Anja Burde im Gespräch: © Elisabeth Jockers
- Aus dem Archiv der Familie Sladek: © EWS