Die Farbkünstlerin der Anfänge entdecken: Das Kunstmuseum Bern zeigt eine Schau von Katharina Grosse

Die Berner Ausstellung zur deutschen Malerin Katharina Grosse, die 1961 in Freiburg geboren wurde und in NRW aufwuchs, zeigt mit „Atelierbildern“ eine Seite der Künstlerin, die aktuell nicht mit ihr und ihrem Werk verbunden wird: Studio Paintings 1988 – 2022, mit dem Zusatz Returns, Revisions, Inventions – Wiederholungen, Revisionen, Neufindungen. Die medial bekannte Grosse-Malerei sprengt die übliche Vorstellung von Bildfläche und Wandbild, setzt Farbwirkung über Farbauftrag. Seit Jahren hat sich die Künstlerin große Dimensionen auf installativen Gebilden und ebenso ganze Außenräume erobert, was die Nomenklatur des Malens verschoben hat. Auf einer ART Basel Unlimited fiel die „Malerei mit anderen Mitteln“ in Form großer farbiger Ballons auf: Farbe plastisch-räumlich behauptet wie 2007 in Chicago in einer großen Rauminstallation mit hängenden Ballons in den Grosse-typischen Farbkonstellationen.

In Grosses Doppelausstellung mit ihrer Mutter Barbara Grosse in Freiburg 2010 – im damals neuen Ausstellungsraum im Augustinermuseum – gab es die Besitzergreifung des Raumes durch Malerei nur ansatzweise zu sehen, wie sie dann 2020 im Hamburger Bahnhof in Berlin in großer (Sprüh-)Geste auftrumpfte. Die Künstlerin arbeitet mit Sprühgeräten und kann damit einen intensiv-spontan wirkenden Farbverlauf der ungemischten Acrylfarben erreichen und dabei große Raumdimensionen bewältigen. Diese Entwicklung wird bei aller internationalen Anerkennung durchaus unterschiedlich bewertet, wohl auch, weil sie die Sehgewohnheiten in Bezug auf Malerei sprengt. Umso interessanter ist es, frühere Arbeiten von Grosse zu sehen: Sie bewegen sich im Rahmen des Tafelbildes, auch um Objekte erweitert, und solche, die neu als installative Arbeiten für die Ausstellung entwickelt wurden. Das Museum zählt 43 Gemälde und drei bedruckte Stoffarbeiten in den beiden Raumebenen. Bereits 1998 machte Grosse mit einer Arbeit in Bern (im Projektraum der Kunsthalle) auf ihre Malerei aufmerksam: Sie realisierte dort ihre erste noch mit Sprühdose gesprayte Wandarbeit in einer Raumecke, wobei sie diese mit der Wirkung ihrer Farbform negierte, vielmehr ein dunkelgrünes querformatiges Acrylbild dort erscheinen ließ (Abb. KFI, Bd. 266, S. 159).

Katharina Grosse: „Ohne Titel“, 2021, Acryl auf Leinwand, 354 x 266 x 66 cm, (Abb. 2) Foto: Jens Ziehe © 2023, ProLitteris, Zurich

So gibt es (wieder in Bern) die Farbkünstlerin der Anfänge zu entdecken, die im klassischen Tafelbild ausgewählte Mischfarben streng abgegrenzt zu delikaten Gemälden zusammenstellte. Der Umgang mit Farbe auf der Fläche erweiterte sich z. B. durch Schablonen und durch plastische, in das Bild integrierte Ergänzungen – zunächst noch ohne die Bildfläche zu sprengen. Das geschieht dann bei zwei Hochformaten durch die in den Raum ausgreifende Einbeziehung von Baumgeäst – Objekt und Fläche fügen sich zu einem gemeinsamen installativen Farbraum zusammen. Auch in einem großen Querformat hat die Künstlerin durch hinzugestellte Hölzer eine überraschend lakonische Raumerweiterung für den Malprozess erreicht. Eines der frühen Tafelbilder zeigt senkrechte Farbformen, die den Pinselstrich spüren lassen und dabei schon von einer schwingenden Bewegung getragen werden, die den späteren Duktus und dynamischen Rhythmus der gesprühten Linien andeuten. (Abb. 1) Auffallend ist die Farbwahl mit wiederkehrender Rot-Grün-Valenz, die sich bis zu Blautürkisgrün und Pinkorangegelb wandeln kann. (Abb. 2) In einem weiteren Querformat hat Grosse mit senkrecht geführten Pinselstrichen in den beiden Bildhälften Rot-Grün gegeneinander gesetzt – zur Mitte hin atmen die Farben vibrierend ineinander. (Abb. 3) Grosse hat in einem Interview betont, dass der Pinsel den Blick auf das unmittelbar Gemalte verdeckt und sie das Sprühgerät, das die Farbe berührungslos durch die Luft auf den Bildkörper trägt, für ihre malerischen Prozesse vorzieht. Damit wird das gestische Malen zur raumgreifenden Körperhandlung – durchaus mit performativem Charakter. Eine raumerweiternde Lösung für das Tafelbild schafft Grosse durch Vervielfachung der besprühten Leinwände: Dreifach hängen sie rahmenlos übereinander, werden im Hochrechteck aufgeschlitzt und bilden plastische Elemente aus ihren frei herabhängenden Teilen – mit ihren unbemalten und farbgesättigten Ansichten ergeben sich malerisch-installative Werke. Katharina Grosse erhielt als „badisches Landeskind“ den 2014 erstmals verliehenen Oskar-Schlemmer-Preis, den mit 25.000 € dotierten baden-württembergischen Staatspreis.

Katharina Grosse, Studio Paintings 1988 – 2022. Kunstmuseum Bern. Bis 25.06.2023. www.kunstmuseumbern.ch/de

Bildquellen

  • Katharina Grosse: „Ohne Titel“, 2021, Acryl auf Leinwand, 354 x 266 x 66 cm, (Abb. 2) Foto: Jens Ziehe: © 2023, ProLitteris, Zurich
  • Katharina Grosse: „Ohne Titel“, 1998, Öl und Acryl auf Leinwand, 200 x 295 cm, (Abb. 3) Foto: Jens Ziehe: © 2023, ProLitteris, Zurich