Das Theater Freiburg startet mit einer „Elektra“ als Gesamtkomposition in die Spielzeit

Antike Tragödien sind Lehrstücke in Sachen Ausweglosigkeit. Also mehr Elektra als Chrysothemis. Man muss es nicht überbewerten, dass jetzt am Theater Freiburg die Saison mit Sophokles‘ „Elektra“ eröffnet wurde und Anfang Oktober Basel mit einer Bühnenadaption von Ovids „Metamorphosen“ folgt, aber wir befinden uns zumindest in Zeiten, die wir einordnen wollen und noch weit weg von der Normalität, die Intendant Peter Carp bei seiner Spielzeit-Begrüßung dem Theater und uns Zuschauern herbeigewünscht hatte.
Lädt man eine Regisseurin wie Malgorzata Warsicka ein, die viel Erfahrung mit der Oper mitbringt, weiß man, dass sich die Inszenierung vom klassischen Sprechtheater entfernt. Und noch vor das erste Wort zu hören ist im Kleinen Haus des Theater Freiburg hat der vierköpfige Chor Yeonjo Choi, Christiane Klier, James Turcotte und Yulianna Vaydner längst auf den Seiten Platz genommen. Jeder hat ein Stockwerk für sich, die Percussionistin Teresa Grebchenko bleibt vorerst unsichtbar (Komposition: Karol Nepelski). Auf der Bühne führt die Distanz Regie. Mittig bestimmt ein großer Kreis die Bühne, aus dem das Licht mal eine Mondsichel macht, mal ist er ganz prosaisch das Froschauge eines Türspions, durch den die Angestellten des Aigisthos misstrauisch schauen. Links und rechts davon befinden sich verkohlte Planken als letzte Rückzugsorte der Schwestern Elektra (Laura Angelina Palacios) und Chrysothemis (Stefanie Mrachacz). Das Rund ist auch der Eingang zum Palast, der dadurch noch schicksalshafter wirkt. Umrahmt wirkt es von zwei Harfen, die so gar nichts Ätherisches haben wollen. Zwei weitere, die wie ein archaischer Widerhall der beiden großen Instrumente wirken, stehen auf den schwarzen Bohlen. Alle vier werden von den Schauspielern gezupft oder auf andere Weise behandelt (Ausstattung und Licht: Agata Skwarczynska).
Malgorzata Warsickas Inszenierung drängt es zum Atmosphärischen. Die Darsteller sprechen mit Mikro, Textpassagen werden übertitelt und zur Soundcollage. Das Geschehen, das Warten der Elektra auf ihren Bruder Orest, der vor sieben Jahren aus Mykene verschwand und der nun den Tod des Vaters, den Lustmord, wie es heißt, rächen soll, ist ja auch mit Psychologie oder anderen Anforderungen an die Figuren nur schwer beizukommen. Und da der Text sich gegen die Komposition zu behaupten hat, wird viel geschrien in diesem 70-minütigen Spielzeitauftakt. Und oft wirkt diese Gesamtkomposition übersteuert und wenn der Klang die Runde im Saal macht, ist auch die Überwältigung nicht weit.
Palacios‘ Elektra, die immer noch täglich mit festen Schuhen, Shorts und ärmelloser Bluse gegen das Unrecht rebelliert, zeigt die Energetik einer Punksängerin. Stefanie Mrachacz‘ Chrysothemis ist da starrer, will sie doch ihr persönliches Glück nicht davon abhängig machen, dass der Mord gesühnt wird. Und Klytaimestra (Anja Schweitzer) ist die Angst geradezu in die Glieder gefahren. Den Männerrollen räumt die Regie weniger Platz ein, doch bei Victor Calero zeigt sich zumindest, dass die Sprache der Musik etwas entgegenzusetzen hätte. Tatsächlich ist das Regime des Virus mächtig: so tritt Elektra erst einmal einen Schritt zurück als der ersehnte Orest (Tim Al-Windawe) vor dem Palast erscheint. Macht er sich an sein Werk, hat sich die Sehnsucht nach Normalität erledigt. Im Theater Freiburg stellt sich damit zumindest ein bisschen Alltag ein.
Weitere Vorstellungen: 2. und 3. Oktober im Kleinen Haus, Theater Freiburg, jeweils 20 Uhr.

Bildquellen

  • Anja Schweitzer: Britt Schilling