Kunst

Das Kunstmuseum Basel würdigt Medardo Rosso mit einer Retrospektive, die ihn auch zeitgenössischer Skulptur gegenüberstellt

In der Ausstellung „Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur“ im Kunstmuseum Basel kann man sich mitunter fühlen als befände man sich in einer gut ausgeleuchteten Dunkelkammer und schaue zu, wie langsam aus dem Amorphen Formen heraustreten. Dabei hatte der italienische Bildhauer anfangs regelrechte Ressentiments gegenüber der Fotografie. Die Bewegung, die für ihn die Quintessenz alles Lebendigen war, fror diese nun mal ein. Doch ab 1900 setzte er die Kamera konsequent ein. Was Rosso machte, war nicht unbedingt, sein Werk zu dokumentieren, eher ging es um die Wirkung des Lichtes auf seine Arbeiten und vielleicht auch eine Art Objektivierung der Form. Ab 1906 schuf Rosso (1858-1928) genau genommen, nichts Neues mehr, er goss seine Skulpturen ab und fotografierte sie, manchmal zeichnete er. Auch das zeigt das Kunstmuseum Basel in der Retrospektive, die in Zusammenarbeit mit dem Wiener Mumok entstand und kürzlich vom Kunstmagazin Art als die Ausstellung des Jahres 2024 gewürdigt wurde. In Österreich hatte man das Können des Bildhauers schon früh entdeckt, bereits 1884 ist eine Arbeit von ihm in Wien zu sehen, im darauffolgenden Jahr siedelt der Autodidakt sich in Paris an.
Bei „Enfant à la Bouchée de pain“ scheint er das Gesicht des Kindes, das einen Kanten Brot ist, geradezu aus dem Material zu kneten. Dabei ist die Stirn kindlich gewölbt, sehr glatt, eine kleine Stupsnase schaut hervor, die Backen sind vom Kauen ganz rund. Rosso hat mehrere Versionen abgegossen, aus Bronze, aber auch aus Gips oder mit Wachs überzogenem Gips. Besonders Gips und Wachs verstärken den Eindruck des Ephemeren, des Fragilen und des Zarten im Kontrast zur rauen Materie, aus der sich das Kindergesicht stülpt. Fotos von „Enfant à la Bouchée de pain“ betonen diesen flüchtigen Eindruck, als könnte das Kind im nächsten Moment wieder verschwinden. Eine Aufnahme aus dem Salon d’Automne 1904 zeigt die Arbeit in einer kastenförmigen Vitrine vor einem Bild von Cézanne. Selbst diese Gegenüberstellung lässt Rossos Werk ausgesprochen impressionistisch wirken.

Medardo Rosso: „Bambino malato“, 1895 © Museo Medardo Rosso, Barzio Foto: Max Ehrengruber

Da wundert es nicht, dass der italienische Künstler der Skulptur seiner Zeit eher reserviert gegenüberstand. Er selbst sprach von Statuen wie Briefbeschwerer. Dazu gehört, dass Rossos Atelier auch Gusswerkstatt war, aus dem Entstehungsprozess machte er eine Performance. Materialien wie Wachs, die auch beim Gießen zum Einsatz kamen, ließen seine Arbeiten vorläufig und im Entstehen begriffen erscheinen. Mit Auguste Rodin war er erst kollegial verbunden, dann überwogen die Rivalitäten. Vielleicht lag es auch an dessen Übermacht, dass Rosso fast ein bisschen vergessen wurde. Rosso schuf Abbilder von Kindern und manchmal von deren Müttern von Buchmachern, Kranken, Trinkern und wenn er eine Berühmtheit wie Yvette Guilbert als Vorbild nahm, ist diese – anders als bei den Darstellungen von Henri de Toulouse-Lautrec – kaum zu erkennen. Nicht grundlos heißt der Untertitel der Basler Ausstellung „Die Erfindung der modernen Skulptur“. Das Konzept, seine Werke mit denen anderer Künstlerinnen und Künstler gemeinsam zu zeigen, geht auf seine eigene Praxis zurück. Das Foto vom Herbstsalon 1904 mit der Arbeit von Cézanne zeigt dies. Rossos Arbeiten haben ihr eigenes Umfeld, sie reagieren auf die Betriebsamkeit der Stadt, die Flüchtigkeit der Begegnung und auch die Industrialisierung. Die moderne Skulptur zeichnet sich dadurch aus, im Werden zu sein. Arbeiten von Lynda Benglis etwa teilen mit Rosso die Geste des Schüttens, der Film von einer Serpentinentanz-Aufführung von Loïe Fuller erinnert an die Faszination um 1900 für Bewegung, ein Frauenporträt von Amedeo Modigliani, den er in Paris kennengelernt hatte, spiegelt die zarten Gesichtszüge seiner Porträts und auch ein bisschen die leicht seitliche Haltung der Porträtierten, die Rosso oft ausreizt. Und so kann man im Kunstmuseum Basel von Raum zu Raum gehen, Verwandtschaften erkennen, Zeitgenössisches im Historischen finden. Rosso war ein Künstler, der für viele vorbildhaft war, zugleich ist sein Werk allgemeingültig. In Basel ist er nun in einer großartigen Ausstellung zu entdecken, die ihn so in Beziehung setzt wie er jedes seiner Werke zur Umwelt geöffnet hat.

Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur. Kunstmuseum Basel, St. Alban-Graben 8, Basel. Bis 10.08.25 

Bildquellen

  • Medardo Rosso: „Bambino malato“, 1895 © Museo Medardo Rosso, Barzio: Foto: Max Ehrengruber
  • Pamela Rosenkranz: „Pamela Rosenkranz“, 2025 © Courtesy the artist and Karma International, Zurich: Foto: Max Ehrengruber