Das Bauhaus – eine Sozialutopie?

100 Jahre Bauhaus: Sehnsucht nach Licht, Luft und geistiger Freiheit

In Weimar fing alles an. Dennoch war es die Akademie der Künste in Berlin, die im Januar den großen Geburtstag des Bauhauses mit einer Festwoche einläutete: Das Bauhaus feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Jubiläum – und die Welt feiert mit.

Lange setzte man das Bauhaus mit einem bestimmten (Architektur-)Stil gleich. Und so hat nahezu jede Stadt in Form weiß-kubischer Bauten zumindest ein bisschen Bauhaus vorzuweisen. Doch in diesem Jubiläumsjahr scheint man irgendwie alles, was die Moderne an „Gutem“ und „Schönem“ hervor­gebracht hat, dem Bauhaus zuzuschreiben.

Es scheint ganz so, als stünde diese Schule für die Sehnsucht nach einer „besseren Welt“, wie sie sich gerade heute wieder sehr vertraut anfühlt. Ganz in diesem Sinne richtete die Jubiläums­­woche in Berlin den Fokus einmal nicht auf die Ausstellung von Stahlrohrmöbeln oder anderes, sondern konzentrierte sich vor allem auf die performativen Künste. Denn wo lässt sich das Odeur einer Zeit besser einfangen als auf der Bühne, die ja schließlich die Welt bedeutet?

Erstmals wurde in Berlin die Virtuell-Reality (VR) Installation „Das Totale Tanztheater“ vorgestellt, die seitdem überaus großes Aufsehen erregte und in etlichen großen Städten der Welt gezeigt wird. Die Idee dazu basiert auf zwei Komponenten: Zum einen auf Walter Gropius’ Entwurf eines „Totaltheaters“, den er 1925-27 im Auftrag des Berliner Theater­intendanten und Bühnenreformers Erwin Piscator entwickelte. Zum anderen auf Oskar Schlemmers Bühnenexperimenten im Triadischen Ballett und an der Bauhausbühne.

Neue Welt – Künstliche Welt?

Von dieser VR-Installation heißt es, sie sei die Fortschreibung der Bauhaus-Idee in unser Zeitalter; mit ihrer – der Begriff des „Totalen“ verrät dies bereits – absoluten, vollkommenen, allumfassenden… ja, was eigentlich?

So inflationär die Bilder von einer Neuen Welt und vom Neuen Menschen heute beschworen werden, so verschwenderisch wurden diese Termini auch vor hundert Jahren gebraucht. Allerdings im Kontext einer völlig anderen Zeit. Deshalb sollte man sich heute fragen: Ging es dem Bauhaus wirklich um die Erschaffung einer künstlichen Welt, bevölkert von künstlichen Menschen, wie heute vielfach vermutet wird?

Ja, und nein. Denn was die Inhalte der Lehre im Einzelnen betraf, so gab es eben nicht nur das eine Bauhaus, sondern derer gleich mehrere. Speziell im Hinblick auf Mechanisierung und Technisierung herrschten am Bauhaus völlig konträre Ansichten – wie überall in dieser Zeit. Das Grauen des Ersten Weltkriegs, den viele Bauhäusler als Soldaten selbst erlebt hatten, war gerade überstanden. Die Vorstellung von der Welt, wie man sie noch aus der Jugend kannte, stimmte mit der Realität nicht mehr überein. Man sehnte sich nach Licht, Luft und geistiger Freiheit.

Und das hatte weitreichende Folgen auch für die Kunst. Diese verschrieb sich – was heute kaum vorstellbar ist – einer großen Mission und wurde zu einer Art Religionsersatz, um den Menschen aus ihrer Wahrnehmungskrise zu helfen. Und zwar auf vielfältigste Weise. Den einen erschienen Technisierung und Mechanisierung als Fluch, den anderen als Segen. Die vielen Stilausprä­gungen dieser Zeit („-Ismen“) legen davon reichlich Zeugnis ab, sei es in Literatur, Malerei, Tanz, Musik – und vor allem im Theater; jenem Ort nämlich, der sich mit seiner Bühne regelrecht als „Kanzel“ für die vielen Weltverbesserungs­programme anbot.

„Die Menschen in ihrer intellektuellen Apathie aufzurütteln…“ (Gropius)

Dadurch rückte auch die Frage nach dem Theaterbau mehr und mehr ins Zentrum: Wie musste ein Theater beschaffen sein, um möglichst viel Publikum möglichst intensiv zu bespielen. Gropius’ Idee eines Totaltheaters lag quasi auf der Hand: Die (in Theatern übliche) Guckkastenbühne, bei der Bühne und Zuschauerraum voneinander getrennt sind, sollte durch eine Raumbühne abgelöst werden. Nur so sei es möglich, mit allen Mitteln „das Publikum in seiner intellektuellen Apathie aufzurütteln“; ein erschreckend moderner Gedanke…

Gropius ging es um die geistige Befreiung des Menschen; und das hing natürlich eng mit der Bauhaus­programmatik zusammen, die ja im Grunde eine Sozialutopie war. Gleichgestellte Künstler aus allen Sparten zogen an einem Strang, um die Welt besser zu machen: Kollektives Handeln für eine neue Gesellschaft.

Schlemmers Programm einer Re-Integration des Menschen in eine neue Welt

Dass das Thema Technisierung und Mechanisierung angesichts der neuen Zeit auch am Bauhaus verhandelt wurde, liegt auf der Hand. Was Gropius aber bewog, Oskar Schlemmer ab 1923 als Nachfolger für die Leitung der Bauhausbühne zu bestimmen, war gerade dessen Abgrenzung von derlei Tendenzen. Denn neben ihm selbst war es gerade Schlemmer, der sich am Bauhaus am intensivsten mit der ästhetischen und ethischen Sinnhaftigkeit seines Tuns und der Bauhauslehre auseinandersetzte.

Diese strenge Kunstmission schlug sich bereits im Triadischen Ballett nieder. Das Faszinierendste an diesem Tanzkunstwerk ist die konsequente Durchdeklination des Dreier-Gedankens. Keine Geschichte und keine Handlung erzählt dieses Stück. Wer aber sein Ballett triadisch nennt, der hatte damit eine programmatische Aussage im Sinn: Angelegt als Schauprozess zeigt es in drei Schritten (wie in einem Dreiakter oder einer Dreisatz-Sonate) den Weg auf von der Re-Integration des Alten in das Neue, um beides miteinander zu „versöhnen“. Desgleichen verfährt er in seinen Bildern und – ganz im Sinne der ursprünglichen Bauhaus-Idee – in seinem grundlegenden Unterricht „Der Mensch“.

Während in dieser Zeit also nahezu jeder Künstler innerhalb und außerhalb des Bauhauses danach strebte, das „Alte“ zu eliminieren und durch das „Neue“ zu ersetzen, richtete sich Schlemmers Kunst und Philosophie nach einer Synthese von beidem aus, indem er diesen strengen „Cut“ von Alt nach Neu durch einen dritten Schritt der Re-Integration relativierte. Und so ist es im Wesentlichen Schlemmer zu verdanken, dass man dem Bauhaus heute ganz neue Aspekte abgewinnen kann als noch vor wenigen Jahren.

Walter Gropius, 1919

Bauhaus 1919: Das Bauhaus entwarf nicht nur bezahlbare und zugleich ästhetische Architektur, es stellte sich grundsätzlich den drängenden Fragen seiner Epoche. Als Walter Gropius 1919 das Gründungs­manifest des Bauhauses schrieb, konnte er freilich nicht ahnen, welche Bedeutung seine Schule einmal erlangen würde. Stieß er doch mit seinem innovativen Konzept, das in allererster Linie die ganzheitliche Ausbildung junger Menschen vorsah, bei seinen Zeitgenossen nicht nur auf Gegenliebe. Die Schließung des Bauhauses 1933 durch die Nationalsozialisten, unter deren Druck die Schule bereits 1925 von Weimar nach Dessau und 1932 von dort nach Berlin ausweichen musste, war nur der Endpunkt zahlreicher Anfeindungen, die das Bauhaus während seines kurzen Bestehens auszuhalten hatte.
„Das Ziel des Bauhauses war kein ›Stil‹, kein System oder Dogma, kein Rezept und keine Mode! Es wirkte lebendig, weil es nicht an der Form hing, sondern hinter der wandelbaren Form das Fluidum des Lebens selbst suchte.“ (Walter Gropius, 1930)

Bildquellen

  • kultur_joker_100_jahre_bauhaus_stuttgart_weissenhof_haus_le_corbusier_c_andrea_praefcke: Das Haus Le Corbusier in der Stuttgarter Weißenhofsiedling beherbergt heute das Weißenhofmuseum., Foto: Andreas Praefcke