Benedikt von Peter und Caterina Cianfarini inszenieren in der neuen Basler Ringproduktion „Das Rheingold“ als eine Art Prequel

Anlässlich der neuen Ringproduktion herrscht am Theater Basel noch bis zum 8. Oktober Festivalstimmung. An „Rheingold“-Abenden ist das Publikum zum Beispiel eingeladen, sich eine gute Stunde vor Vorstellungsbeginn auf dem Theatervorplatz einzufinden. Performt wird dort „Rheinklang – Ein Chorritual“. Die kultische Zeremonie gipfelt darin, dass schwarz gekleidete Sängerinnen und Sänger (Profis und Laien), halb privat, azyklisch um vier Feuerschalen kreisen. Zu dem Plätschern des Tinguely-Brunnens und dem Quietschen der vorbeifahrenden Straßenbahnen werden Es-Dur-Akkord-Töne gesungen. Elektronische Sounds mischen sich drunter. Getragen werden Gefäße, vom Silbernen Kelch über den gepunkteten Kaffeebecher bis hin zur Frischehaltebox aus Plastik. Final wird mit aus dem Rhein geschöpften Wasser gelöscht und die Akteure gehen flashmobartig in alle Richtungen auseinander. Vier nur noch qualmende Feuerschalen bleiben zurück.
Ein vierköpfiges Produktionsteam steckt zusammen mit dem britischen Komponisten Matthew Herbert hinter der skurrilen Klang-Performance. Herbert ist bekannt für das Dokumentieren und Vertonen von Umgebungsgeräuschen. In „Rheinklang“ stellt er Wagners „Es-Dur-Urklang“ den realen Urklängen des Rheinwassers in seinen verschiedenen Aggregatzuständen gegenüber. „Wir sind die Natur, wir sind die Erde und wir sind das Wasser – diese Elemente zu feiern und zu schützen bedeutet, uns selbst zu feiern und zu schützen.“, lautet die Message.
Im Opernhaus folgt ein intellektuell herausfordernder „Rheingold“-Abend unter der Regie von Intendant Benedikt von Peter und Caterina Cianfarini. Erzählerin ist Brünnhilde, die ursprünglich am Vorabend der Ring-Tetralogie noch keine Rolle spielt. Sie will rückblickend verstehen, was sie zum Initiieren der „Götterdämmerung“ treiben wird. Aufgearbeitet wird mit Mitteln der Familienaufstellung. Das Publikum soll gemeinsam mit der Lieblingstochter Wotans Einblick in leidvolle Erfahrungen, Tabu-Themen oder Muster innerhalb ihrer Herkunftsfamilie bekommen. „Das Rheingold“ als Prequel ist zeitlich vor der „Götterdämmerung“ verankert. Selbst im „Ring“-Plot firme Operngäste kommen an ihre Verständnisgrenzen. Zweieinhalb Stunden lang gilt es, Motive und Nebenaktionen aller sich regulär und zusätzlich auf der Bühne befindenden Figuren zu dekodieren. Was geschieht da zum Beispiel während des Orchestervorspiels? Wird womöglich das Ergebnis von Brünnhildes erster Therapiesitzung gezeigt, die unter der Frage gestanden haben könnte: „Wer hätte in welchem Zustand an Siegfrieds fiktivem Kindergeburtstag teilgenommen?“ „Hätte Opa Wotan, der Strippenzieher der Familie, für den Enkel „Alberichs Fabel“ als Puppentheater aufgeführt?“
Ob die Walküre nach der Therapie neue Entwicklungsschritte gehen wird? Plant das Regieteam etwa, den Vierten Abend nicht in einem Inferno enden zu lassen?
Den Akteuren beim Spielen zuzusehen, ist eine Wonne. Die Rollen sind optisch und charakterlich treffend besetzt. Offensichtlich wird die intensive Figurenarbeit, die das Ensemble gemeinsam durchlaufen hat.
Katrin Lea Tegs extra geschmacklose Hipster-Retro-Kostümierung sitzt. Großartig passen dazu die ungepflegten halblangen aschblonden Haare der Männer. Freias Äpfel verhelfen offensichtlich nicht gänzlich zu ewig strahlender Jugend.
Wie angekündigt legt die Inszenierung weniger Wert auf die großen Wagnerklänge, mehr auf intimes Kammer-(Musik!?-)Theater. Leider fällt infolge dessen die gesangliche Qualität einzelner Akteure hinten runter. Heraus kommt etwas von einer komischen Oper. Solenn‘ Lavanant-Linke singt Fricka mit dünn-unmündiger Stimme und Nathan Berg deklamiert rüpelig-rülpsig den ordinären und charakterlosen Strippenzieher Wotan. Thomas Faulkner haucht einen in Freia verliebten, überzarten Fasolt und Runi Brattaberg grölt Fafners Bauarbeiterschläue mit wenig Textverständnis heraus. Auch Andrew Murphy kann als Mime musikalisch nicht recht punkten und Hanna Schwarz‘ Gastauftritt als Erda, der ist eben sehr würdevoll. Überzeugend schön bei Stimme sind Mime, Karl-Heinz Brandt, Froh, Ronan Caillet, Donner, Michael Borth und Loge, Michael Laurenz. Selbst die betrogenen Rheintöchter, Inna Feodirl, Valentina Stadler und Sophie Kidwell und die entführte und missbrauchte Freia, Lucie Peyramaure, vergessen das Singen nicht.
Damit bis zur Rampe möglichst publikumsnah gespielt werden kann, stecken die Instrumente unter der Leitung von Jonathans Notts in einem mit Gitterrost verdeckten Graben – Bayreuth lässt grüßen. Das Orchester scheint seine Schwierigkeiten mit der ungewohnten Situation zu haben. Tempo und Intonation leiden darunter. Schade, denn wie sehr gefallen die Momente, an denen immer wieder affekt- und lustvoll Wagners Musik auf den Punkt gebracht wird.
Klarstes theatrales Mittel ist das Bühnenbild von Natascha von Steiger. Das Geschehen findet in einem Einheitsraum statt. Links steht Walhall, die etwas kleiner geratende Stadtvilla im Glas-Beton-Stil samt Satteldach. Die Rheintöchter, die überlebensgroß je von drei Puppenspielern geführt werden, bespielen hinten rechts einen toten Baum. Darin schaukelt später auch Loge. Parallel zum Bühnenrand befindet sich eine lange Tafel und rechts das Loch im Bühnenboden, der Abstieg nach Nibelheim. Die klaren Orte geben der chaotischen Soap ein wenig Struktur. Doch halt! Verwirrende Umdeutungen finden auch auf Bühnenbildebene statt. Der Abend endet mit einem Cliffhanger. Siegmund zertrümmert eine Wand in der von Fafner und Fasolt erbauten Feste mit Hilfe von Donners Hammer. Aus dem entstandenen Loch entsteigt die dort eingemauerte Sieglinde…

Bildquellen

  • Die neue Basler Ringproduktion „Das Rheingold“: Foto: Ingo Höhn