Atom-Renaissancen – wie viele denn noch?

Renaissance [rənɛˈsɑ̃s] (französisch: „Wiedergeburt“, „Wiedererweckung“) bezeichnet die europäische Kulturepoche zwischen 1400 und 1600, die eine Wiederbelebung antiker Kunst und Gedanken zum Ziel hatte. Historiker:innen zufolge war sie viel mittelalterlicher, als lange angenommen wurde.
Was aber ist eine Atom-Renaissance? Und vor allem: wie viele gab oder gibt es? Haben wir gerade wieder eine? Braucht es dafür zwangsläufig einen realen Boom oder zumindest einen merklichen Zuwachs in der Branche? Oder genügt es, wenn reichweitenstarke Nuklear-Technikromantiker mal wieder eine Renaissance fühlen? Dann hätten wir schon einige Atomrenaissancen erlebt. Dank eifriger Wiedergeburts-Wehen-Schreiber findet man in den Zeitungsarchiven seit den 1990-ern in fast jedem Jahr Schlagzeilen mit diesem Wort – bisher ist nie was draus geworden.
Nachdem damalige (?), vorherige (?), unvollendete (? ) Atom-Renaissancen im Nichts verschwanden, bzw. die letzte (?) Atom-Renaissance auf einer der drei Dauerbaustellen* des European Pressurized Reactor, EPR, seit 2005 im Geburtskanal feststeckt, wird jetzt also wieder eine ausgerufen. Diesmal entspringt die „Wiedererweckung“ dem französischen Wahlkampf und soll wohl – weil die subventions-lüsterne Lobby gerade nach europäischen Geldtöpfen giert – noch mal Zweifel streuen am deutschen Atomausstieg. Kurz vor dem Finale im Dezember 2022. Ein grünes EU-Finanz-Taxonomie-Etikett zur künstlichen Befruchtung muss her, denn ohne Geldspender droht der Branche die Erzeugungs-Unfähigkeit.
Wegen der französischen Präsidentschafts-Wahlen im April 2022 werden Blendgranaten zu Schlagzeilen: „Macron will eine Milliarde für den Bau von Mini-AKW ausgeben“. Boah, da haut aber einer auf die Torte! Eine Milliarde!
Um das mal einzuordnen: in Frankreich sollte Anfang der 2000-er mit einer „neuen Reaktorgeneration“ eine von diesen Atom-Renaissancen eingeleitet werden. Von der dritten Reaktor-Generation, den angekündigten 200 EPR-Reaktoren weltweit, ist in Frankreich eins in Bau (in Worten: einer). Drei Milliarden sollte er kosten. Im Moment liegen die Schätzungen bei mehr als 19 Milliarden – mit Luft nach oben. Die Idee zu dieser Atomrenaissance stammt aus den früher 1990-ern und sollte eine Antwort auf Tschernobyl sein. Die Älteren erinnern sich noch: Kohl und Mitterand haben damals die Geburtshelfer-Kröten organisiert.
Macron war damals noch ein Kind. Heute spricht er von einem “Triptychon“ aus „Atomkraft, Wasserstoff und Erneuerbaren Energien“, mit dem er die Grande Nation fit für die Zukunft machen will. Origineller Weise soll für die Erneuerbaren noch weniger rausspringen als die läppische Milliarde bis 2030 für die Atomkraft: 0,5 Mrd €, gerade mal die Hälfte.
„Ach Macrönschen!“ möchte man dem Noch-Präsidenten zurufen, der sich gerade im nuklearen Überbietungswettbewerb mit weiteren – je weiter rechts desto nuklear-affineren – Präsidentschaftskandidat:innen befindet: „Warum wollt Ihr denn Euren Wasserstoff mit Atomstrom erzeugen, anstatt mit den deutlich günstigeren Erneuerbaren? Ihr habt anderthalb Mal so viel Platz im Land wie wir, viereinhalb Mal so viel Küstenlinie für Windkraft, anderthalb Mal so viele Sonnenstunden und trotzdem produziert ihr nur 1/4 unserer Solar- und 1/3 unserer Windstrom-Menge!“
Die Antwort ist bekannt, Macron selbst hat sie mehrfach gegeben: “Ohne zivile Atomkraft keine militärische Atomkraft, ohne militärische Atomkraft keine zivile Atomkraft.“ Die technologische Sperrhaltung der Atommacht gegen Solar- und Windkraft ist nur folgerichtig: Wenn die günstigen Erneuerbaren die Atomkraft aus dem zivilen Strommarkt fegen, hat die militärische Seite riesige Infrastruktur-Probleme. Da geht es um Fachkräfte, Ausbildungs-, Universitäts-, und Forschungs-Kapazitäten, um Lieferketten-Kontinuität, Stückkosten-Senkung durch ökonomische Skalierungs-Effekte, Spezial-Materialien – all das bräche weg, wenn die militärische Atomkraft ohne das zivile Rückgrat dastände.
Vieles leuchtet ein, sobald man begreift, dass kleine militärische Reaktoren, mit denen z.B. U-Boote angetrieben werden, elementarer Teil der nuklearen Abschreckung sind. Die Australier waren kürzlich ganz heiß auf atombetriebene U-Boote, mit all ihren militärstrategischen Vorteilen gegenüber Verbrennungsmotor-getriebenen Kriegsschiffen. Dafür nimmt man schon mal diplomatische Verwicklungen in Kauf.
Jetzt will Frankreich also wieder eine Atom-Renaissance inszenieren, hat den dicken, völlig übertragenen EPR noch immer nicht zur Welt gebracht und geht mit dem Gedanken an kleine, modulare Reaktoren, SMR (Small Modular Reactor), schwanger. „Nuward“ soll der kleine heißen, das steht für „Nuclear Forward“. „Dahinter stehen unter anderen die französischen Unternehmen EDF und Naval.“ Heißt es lapidar in der FAZ und es folgen Abschnitte mit den Reizworten „Gamechanger“, „Neubewertung“ und „Klimaschutz“.
Das Wort „Naval“ überliest man nur allzu gerne, wenn man nicht weiß, dass der teilstaatliche Rüstungskonzern, die Naval Group, U-Boote und andere Kriegsschiffe baut, auch solche mit Atom-Antrieben. Weiterhin am SMR-Projekt Nuward beteiligt sind das Commissariat à l‘énergie atomique, CEA, ein zivil-militärischer Gemischtwarenladen, der den Ministerien für Verteidigung (!), Wirtschaft und Forschung unterstellt ist. Und Technicatome ist mit an Bord. Das Unternehmen produziert und wartet Atomreaktoren für den Marineantrieb für U-Boote und Flugzeugträger der Militärflotte. Diese Informationen sind zwar wichtig zur Einordnung, stören aber eher bei der Erzählung vom vermeintlichen „Klimaretter“.
Der kleine Nuward soll optimistischen Schätzungen zufolge in den 2030-ern das Licht der brennenden Welt erblicken. Damit der Zu-spät-Kommer auf dem Markt laufen lernen kann, wird man die Erneuerbare Konkurrenz weiter aktiv verdrängen müssen. Klimaschutz-Verhütung ist manchmal echt schwer zu vermitteln.
*Olkiluoto, Finnland, offizieller Baubeginn = 12.8.2005. Flamanville, Frankreich, offizieller Baubeginn = 3.12.2007, Hinkley Point C1, England, offizieller Baubeginn = 11. Dezember 2018, Hinkley Point C2, England, offizieller Baubeginn = 12. Dezember 2019. Der offizielle Baubeginn ist nach IAEA-Definition der Tag, an dem der erste Beton für das Reaktorgebäude gegossen wird. Mehrjährige Vorab-Bauarbeiten am AKW-Standort zählen nicht zur Bauphase.

Bildquellen

  • Renaissance – die Erschaffung Adams, persifliert von Eva: Foto: promo