Über den Augenblick hinaus

Die Fondation Beyeler zeigt eine umfassende Ausstellung mit Werken von Wolfgang Tillmans

Wenn man ganz am Ende der Ausstellung angelangt ist, geht Wolfgang Tillmans noch einmal weiter. Die Kompilation von drei Musikvideos erweitert die Kunst Tillmtans um die bewegte Zeit. In „La Palma“ gebiert das Meer Schaum, Woge um Woge schwemmt die See ihn an den Strand. Der Schaum türmt sich, fällt in sich zusammen und breitet sich wieder aus. Er ist ein bisschen braun, wirkt nicht mehr ganz frisch, vielleicht sogar ein bisschen abstoßend. Einen Moment später sieht man lauter bunte Glanzpunkte auf den Schaumkronen, die wie Sterne im All leuchten. Und – das alles ist kein bisschen kitschig.

Bekannt geworden ist Wolfgang Tillmans als Chronist der 90er Jahre. In den Aufnahmen seiner Freunde fand sich eine Generation wieder. Der Fotograf, der selbst 1968 in Remscheid geboren wurde, war ein Teil von ihr. Er fotografierte die Körper, nicht selten schwule Männer, das Begehren, den Hedonismus. Musik, genauer Acid House, spielte eine Rolle, weil sie ein Aufgehen in der Gemeinschaft der Tanzenden versprach und zu einer Bewegung wurde, die in ganz Europa gefeiert wurde. Und weil sie eine Mode hervorbrachte, die auf eine ungezwungene Weise nonchalant, nachlässig und individuell war. Tillmans selbst ging 1990 nach Bournemouth zum Studieren und lebte ab 1992 in London.

Wolfgang Tillmans‘ auf zwölf Säle angelegte Ausstellung in der Fondation Beyeler wäre eine Retrospektive, wenn sie gesetzter wäre. Doch die zusammen mit Theodora Vischer gehängte Ausstellung geht nicht chronologisch vor, sondern zeigt zusammenhängende Gruppen: Stillleben, Porträts, abstrakte Aufnahmen. Zudem variiert Tillmans alle Möglichkeiten des Abzuges und der Hängung. Manchmal sind die Fotografien – wie bei der Serie der „Freischwimmer“ beachtliche Großformate, dann so klein wie Urlaubsfotos, einige sind nur mit einem Klebestreifen an der Wand befestigt.

Während sich insbesondere die Großformate, bei denen er mit verschiedenen Lichtquellen und Chemikalien auf Fotopapier experimentierte, wie Malerei betrachten lassen, die Stillleben durch die beiläufige Inszenierung irritieren, berühren die Porträts durch Nähe. Selbst dann, wenn sich Tillmans vermeintlich toten Gegenständen zuwendet, ist Empathie zu spüren. Umso mehr, wenn Wolfgang Tillmans politische Proteste festhält, sei es für die Rechte von Homosexuellen, der Black-Lives-Matters-Bewegung oder gegen Neonazis in Deutschland. Es ist eine Empathie, die ansteckt und gute Laune macht. Allein deshalb sollte man diese Ausstellung nicht versäumen.

Was formlos wirkt, ist das Ergebnis vieler formaler Überlegungen. Wo Tillmans etwa eine Gruppe von Porträts seiner Freunde präsentiert, ist bestimmt eine einzelne Aufnahme zu sehen, die so hoch hängt, dass man sich anstrengen muss, etwas zu erkennen. Der Künstler reflektiert über die Bedingungen seiner Werke, so hat er Fotopapier zu einem weichen Bogen gelegt und drei dieser Arbeiten übereinander gehängt. Er hat Fotokopierer aufgenommen und thematisiert dadurch den Charakter der Fotografie als Reproduktionstechnik.

Mit Tillmans‘ Fotografie ist es ein bisschen so wie mit seiner Aufnahme „Leaf for Architects“ aus dem Jahr 2013. Sie zeigt im trüben Wasser zwei Blätter der Victoria-Seerose, eines davon ist umgeklappt, so dass man die Blattrippen sehen kann. Jemand hält einen rot-gelben Sonnenschirm ins Bild, dessen Speichen an die Blätter erinnern. Tatsächlich inspirierte die Pflanze mit ihren kreisrunden schwimmenden Blättern schon des Öfteren Ingenieure und Architekten, worauf auch Tillmans‘ Titel anspielt. Alles verweist aufeinander. Und an diesem Ort verweist es zudem auf die Seerosen von Monet und die Wasserfläche vor Renzo Pianos Museumsbau.

Der Ausstellungskatalog zitiert den Künstler im Vorwort. „Es geht um einen Begriff von Freiheit, Freiheit zu schauen, zu machen, zu spielen, zu leben, zu lieben. Die Ausstellung hat etwas sehr Positives. Das ist wichtig in dieser Zeit“, sagt Tillmans.

Annette Hoffmann

Wolfgang Tillmans. Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Riehen-Basel.
Täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr. Bis 1. Oktober.
www.fondationbeyeler.ch