Tigerfell und schmelzender Schnee

Das Freiburger Augustinermuseum zeigt eine Retrospektive des Keramikers Horst Kerstan

Was treibt einen an, ein ganzes Arbeitsleben lang Gefäße zu schaffen: Schalen, Vasen, Schüsseln, Teetassen? Horst Kerstan hätte die Frage vermutlich nicht einmal verstanden.
Der Keramiker, der seit 1965 in Kandern arbeitete, hatte vermutlich ein eher existentielles Verhältnis zu Gefäßen. Obwohl er bereits in den 1960er Jahren auch Skulpturen aus Ton schuf, stand das Gefäß immer im Mittelpunkt. „Stellt man ein Gefäß an einen wichtigen Platz im Raum und fügt Blumen hinzu, so ist die Verbindung zwischen Mensch, Erde und Himmel gegeben“, schrieb er 1991.

Zehn Jahre nach seinem Tod widmet das Augustinermuseum Horst Kerstan nun eine umfassende Retrospektive, die nicht nur sein keramisches Werk in gut 300 Objekten vorstellt, sondern auch Querverbindungen zur Kunst sucht. Kerstan, wie auch sein Lehrmeister Richard Bampi, dessen Kanderner Werkstatt er 1965 übernahm, ließ sich von Künstlern inspirieren. Von Bampi erbte er die Verbindung zu Julius Bissier und damit auch die Neugierde auf Südostasien und die japanische und chinesische Kultur. Es kam zu Zusammenarbeiten mit René Acht, Horst Antes, Otmar Alt sowie Bernd Völkle und in den 90er Jahren entdeckte er das Werk des Malers Klaus Merkel. Seine farbintensiven Bilder sollten die Palette des Keramikers prägen. Die Bilder und Drucke der bildenden Kunst, die in der Ausstellung „Horst Kerstan. Keramik der Moderne“ im Sonderausstellungsraum des Augustinermuseums gezeigt werden, sind Kerstans eigene. Er sammelte nicht nur Objekte anderer Keramiker, sondern auch Bilder, Kalligrafien und Tuschen. Maria Schüly, die sich bereits in ihrer Dissertation mit Kerstans Lehrmeister Richard Bampi befasst hat, zeichnet nun auch für die Freiburger Schau verantwortlich. Es ist ihre letzte Ausstellung, die sie für das Augustinermuseum kuratiert hat. Der größte Teil dieser Retrospektive stammt aus Museen, vor allem jedoch aus Privatsammlungen. In Freiburg stehen die Objekte nun auf schwarzen niedrigen Podesten, deren Präsentationsfläche weiß gestrichen ist.
Ein Rundgang durch den Ausstellungsraum dokumentiert die verschiedenen Werkphasen Horst Kerstans. Kerstan setzte sich unentwegt neuen Einflüssen aus. Von der Natur schaute er sich die Formen ab. Eine Aufnahme in dem umfassenden Katalog, der zur Ausstellung erschienen ist, zeigt den Töpfer vor einer Reihe aufgehängter Kalebassen. Auch Melonen, Birnen, Äpfel oder Pilze sind Formen, von denen er sich für seine Gefäße inspirieren lässt. Anders als Bampi drehte Kerstan selbst und hatte so die Kontrolle über alle Produktionsprozesse. Die Beschäftigung mit Julius Bissier weckte die Faszination für Asien. 1970 reiste er das erste Mal nach Japan. Weitere Reisen folgten, oft in Begleitung von Wissenschaftlern und Museumsleuten, die sich ihm zu Recherchezwecken anschlossen. 1977 baut er sich nach japanischem Vorbild einen Ofen, der mit Holz befeuert wird und mit dem sich ganz andere Ergebnisse erzielen lassen als mit Öfen, die mit Strom oder Gas betrieben werden. In den 90er Jahren experimentierte er mit der Rakutechnik und Pastellfarben. Es ist vordergründig die Glasur, die an Kerstans Keramiken begeistert. Was für eine Intensität der Farbe. Auf einer melonenförmigen Vase aus dem Jahr 1969 blüht eine grüne Kristallglasur, die manchmal Türkis aufscheint, dann wieder einen braunen Grundton erkennen lässt. Und dann sind da immer wieder monochrome Glasuren: ein tiefes Ochsenblutrot, ein zartes Jadegrün und Kobaltblau. „Tigerfell“, „Kristallglasur“ oder „schmelzender Schnee“ heißen Glasuren. So poetisch kann Ton sein.
Horst Kerstan. Keramik der Moderne
Augustinermuseum, Augustinerplatz, Freiburg.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr. Bis 4. Oktober 2015.