Zwischen Kinderzimmerspiel und Zirkusmagie: Michael Schachermaiers Adaption von Andersens Kunstmärchen „Die Schneekönigin“ im Theater Freiburg

Jahreszeiten-Roadmovie, Klimawandel- und Familienstück, Hommage an die Freundschaft und das Leben – Michael Schachermaiers Adaption von Hans Christian Andersens Kunstmärchen „Die Schneekönigin“ (1844) ist vieles und schafft wie schon seine Vorgänger-Produktionen „Das kalte Herz“ und „Die kleine Seejungfrau“ den Transfer ins Heute. Jetzt feierte seine Inszenierung mit Theaterzauber, mitreißendem Schauspiel und toller Live-Musik im Großen Haus des Theater Freiburg Premiere.
Die Nebelmaschinen laufen auf Hochtouren und produzieren frostiges Gestöber, blau-graue Holzgerüste bilden schräge Ebenen, den Bühnenprospekt füllt ein riesiges Kettenkarussell. „Jahrmarkt“ und „Betreten verboten“ steht da am rot-weißen Absperrband. Stimmungsvoll ist das Bühnenbild des Künstlerteams Karl Fehringer und Judith Leikauf. Mal Frühlingswiese, Schwimmbad oder Eispalast – immer neu werden die schlichten Elemente gepuzzelt und durch knallbunte Requisiten verwandelt.
Doch jetzt ist erst mal eisiges Irgendwo – eine Art Götter-Prolog erzählt von der Liebe von Sonne und Mond, vom zerbrochenen Zauberspiegel und den Jahreszeiten-Geschwistern. Wer ihre vier Spiegelscherben wieder zusammenfügt, hat „uneingeschränkte Macht über das ganze Universum“. Uuh – klingt gruselig… Gut, dass nun die kesse Flocke (Natalina Muggli) wie ein freundlicher Gnom um „Eure Eisigkeit“ herum wuselt und die beiden Musiker (Robert Pachali, Timo Stegmüller) mit auf der Bühne sitzen und so lustige Hüte tragen. Mit Turmperücke und elegantem Fellmantel (Kostüme: Su Bühler) wirkt die Schneekönigin (Julienne Pfeil) auch gar nicht böse, nur fremd und kühl. Poetisch ist ihr Geigen-Lied vom Zauberwald, zu dem Hunderte von Schneeflocken über die mitternachtsblaue Leinwand taumeln (Musik und Komposition: Malte Preuss).
Dann flitzen mit viel Akrobatik und Slapstick endlich Gerda (Josephine Nahrstedt) und Kai (Jonas Dumke) in Rollschuhen über die Szene: Beste Freunde seit zwölf Jahren, sie Mathe-Freak, er Geschichtenerzähler, beide klug und genial, albern und witzig, mutig und versponnen. Zack, schneidet sich Kai an der ersten Spiegelscherbe, ist nun im Bann der Schneekönigin und hat eine Mission: Begleitet von Spionin Flocke soll er die fehlenden Teile finden und zum Eispalast bringen – eine Odyssee durch die Jahreszeiten beginnt. Gerda weicht ihm zum Glück nicht von der Seite, auch wenn Kai ihr auf dieser Reise durchs Wunderland immer fremder wird: Ständig ist ihm kalt, ernst ist er und zunehmend auch fies und gemein.
Das Licht wird rosiger, leuchtende Schirm-Blumen ploppen auf, Vera (Julienne Pfeil) trällert und gurrt voller Frühlingsgefühle, während ihr Mann Lenz mit der Frühjahrsmüdigkeit kämpft. „Lass mich deine Biene sein, ich kuschle mich in deine bunte Blüte ein…“. singen die beiden nach Frank und Nancy Sinatras Ohrwurm „Something stupid“. Das ist witzig – genauso wie der coole August Sommer in seiner neon-orangenen Baywatch-Shorts auf dem Bademeister-Turm oder der aufbrausende Harvey Herbst mit seiner roten Sturmfrisur (alle: Tim Al-Windawe).
Und Flocke? Ist immer dabei – verkleidet sich erst als Schneeglöckchen, dann als Eisverkäufer und mimt schließlich mit Riesenschwanz, Nagezähnen und Öhrchen-Perücke ein Eichhörnchen… Spritzige Dialoge, Detaillust und viel Körperspiel (Choreografie: Graham Smith) halten dieses Stationen-Theater in Schwung, jede Szene hat einen stimmungsvollen Song und hält den Spagat zwischen Kinderzimmerspiel und Zirkusmagie. Denn unter den tollen Kostümen tragen alle Figuren hautenge, schwarz-weiß-gestreifte Jumpsuits. Ja, die Welt ist viel zu heiß. Was also, wenn immer Winter wäre? Ewiges Eis – ganz still und friedlich, ohne Gewusel und Gefühle? Das kann nicht die Lösung sein.

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Bildquellen

  • Natalina Muggli, Nina Kehr und Julienne Pfeil in „Die Schneekönigin“: Foto: Rainer Muranyi