Wenn die Wände Ohren haben: „Tartüff oder Der Geistige“ nach John von Düffel feierte Premiere im Wallgraben Theater
Ein Labyrinth à la Escher füllt die Bühne des Wallgraben Theaters: Jede Menge Türrahmen und Durchgänge, alles grau in grau. Herrschaftliche Trostlosigkeit, in die sich nun wie in einem Karrussel die Spieler*innen vorstellen. Ohne ein Wort, in schrillen Kostümen. Dann geht es los, mit einem bissig-hitzigen Schlagabtausch zwischen Madame Pernelle (herrlich als geharnischte Matrone: Peter Haug) und Hausherrn Orgons neuer Frau Elmire (schillernde Schlange: Iris Melamed) um deren Luxus und Verschwendung. Das hat Witz und Verve (Regie: Marcel Keller: „Mutter muss weg“, „Eine Stunde zweiundzwanzig vor dem Ende“).
„Tartüff oder Der Geistige“, hat John von Düffel seine „Meta-Komödie“ genannt, in der er zwei Molière-Klassiker zusammen mixt und entlang der Themen Anspruch und Verzicht in puncto Klimakrise in die Gegenwart und eine bankrottgegangene Unternehmerfamilie transportiert (Uraufführung 2023 in Bremen). Dreh- und Angelpunkt, vor allem aber Projektionsfläche ist der hassgeliebte Tartüff, Dauergast Orgons und Nachhaltigkeitsfanatiker, der wie ein Guru mit weißer Robe und wehender Haarmähne durch das Haus wandelt und belehrende Weisheiten am Band zum Besten gibt. David Köhne gibt ihn als melancholischen Geist mit unterdrückter Libido. Mit seinem Auftauchen gehen quasi die Lichter aus, Sparen ist die neue Religion.
Sehr gut gespielt und lustig schnurrt das mit allen bekannten Ränken und Intrigen dahin, pointierte Dialoge und viel Slapstick bringen Farbe ins graue Orgon-Haus, wo der Hausherr (Hans Poeschl) sich nicht nur den Ansprüchen seiner vergnügungssüchtigen Ehefrau stellen muss, sondern auch denen der beiden erwachsenen Kinder: Natalja Althauser gibt ihre Mariane als blauäugiges Prinzesschen mit Handy, das unbedingt das Erbe und damit einen Mann will. Falk Döhler ist ein schockschwer in seine Stiefmutter verknallter Damis, der vor Hormonen platzt und so dämlich ist, dass er ständig gegen Türrahmen knallt und auch mal einen leeren Safe sprengt. Die von Tartüff eingeforderte Askese ist kein Thema für diese verwöhnte Brut, nur Orgons Mutter Madame Pernelle trägt das Kreuz stolz über der gestärkten Bluse – bebt ihre Brust doch vor tiefer Liebe zu diesem Heiligen….
Dass ausgerechnet sie über ihre Verhältnisse gelebt hat und nun die Familie in die Armut stürzt, ist da nur eine der Absurditäten. Raffiniert zieht Emire derweil die Strippen, manipuliert und kreiert immer neue Zickzackwendungen. Ihre flammende Suada für den Luxus ist dann auch einer der Höhepunkte dieser gutgemachten und eleganten Komödie, bei der die Wände Ohren haben: Unter Horrorclownmaske, Lampenschirm, Tischen und Tüchern bekommt hier jeder und jede alles mit – nur nicht Tartüff. Der wird am Ende aus dem Haus gejagt – über die Bühne flimmern schnell geschnittene Projektionen von Dürre, Feuer, Krieg und Elend. Die Orgons scheißen drauf – und leben weiter lustig auf Pump: „Unser Biotop ist der Verschwendung!“.
So gibt’s zwar Mahnung in diesem Stück, so richtig gerecht wird es dem Thema allerdings nicht, unter die Haut geht da wenig: Tartüff ist ein freudloser Nomade, mit Überzeugung, Solidarität oder gar Vernunft hat seine Haltung nichts zu tun, vielmehr mit einem der von vielen Teilen der Bevölkerung als Verbotspolitik empfundenen Diskurses. Spaß macht diese Inszenierung aber unbedingt.
Weitere Termine und Tickets: www.wallgraben-theater.com
Bildquellen
- Wenn die Wände Ohren haben: „Tartüff oder Der Geistige“ nach John von Düffel feierte Premiere im Wallgraben Theater: Foto: Wallgraben Theater