Um Tutanchamun ranken sich zahlreiche Mythen, eine Schau in Hamburg und Stuttgart gibt Erkenntnisse

Tutanchamun ist quasi der Popstar unter den Pharaonen. Um ihn ranken sich zahlreiche Mythen. Allein sein früher Tod verweist selbst den Nirvana-Frontmann Kurt Cobain oder die Sängerin Amy Winehouse auf die Plätze. Im Gegensatz zu ihnen hätte es der ägyptische Herrscher nämlich nicht einmal in den Club 27 geschafft, er starb schon mit 19. Woran, darüber herrscht in der Forschung bis heute Uneinigkeit. Einige Wissenschaftler mutmaßen, Tutanchamun könnte irgendwelche Beinleiden gehabt haben. Vielleicht eine Knochenkrankheit, möglicherweise einen leichten Klumpfuß. Begründet wird diese Theorie damit, dass in seinem Grab mehr als 100 Gehstöcke gefunden wurden. Für den Ägyptologen Nacho Ares ist das allerdings kein schlagkräftiges Argument: „In der Antike war es völlig normal, den Toten viele Stöcke in ihre letzte Ruhestätte zu legen.“

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Der Spanier hat „Tutanchamun – Das immersive Ausstellungserlebnis“, derzeit zu sehen im United Scene in Hamburg und ab dem 8. Dezember in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart, kuratiert. „Wir wissen bis heute nicht wirklich viel über Tutanchamun“, sagt er bei einem Rundgang durch die Hamburger Schau. Schon im ersten Raum zeigt sich, dass die Familiengeschichte einige Rätsel aufgibt. Gemeinhin gilt König Echnaton als Tutanchamuns Vater, die beiden sind laut Gentest auf jeden Fall miteinander verwandt. Gesichert ist Echnatons Vaterschaft dennoch nicht. Seine Mutter könnte Nofretete sein, das ist ebenfalls ungewiss. Tutanchamuns Frau Anchesenanum war wahrscheinlich seine (Halb-)Schwester. Ihre zwei gemeinsamen Kinder starben schon vor ihrer Geburt.
All das lernt man auf Informationstafeln. Natürlich geben sie auch Auskunft über die Regentschaft des Kindkönigs. Oder wie Tutanchamuns Grab am 4. November 1922 vom britischen Ägyptologen Howard Carter im Tal der Könige in Luxor entdeckt wurde. Mit mehr als 5000 Artefakten. Dieser Fund, berichtet Nacho Ares, sei weltweit auf den Titelseiten gewesen. Zum Beispiel auf den London News, dieser Artikel liegt als Kopie in einer Vitrine. In der Ausstellung gibt es ganz unterschiedliche Repliken – vom Wunschbecher, geformt wie eine Lotusblüte, bis zur liegenden Gazelle mit ausgestreckter Zunge, einer Grabbeigabe für Tutanchamun. Kopien von Skizzen belegen, was für ein talentierter Zeichner Howard Carter war. Besonders stolz ist Nacho Ares auf die Originale. Er zeigt auf eine Mumien-Halskette aus Fayence-Röhrenperlen hinter Glas. Sie wurde üblicherweise über die Toten gelegt.
Nicht minder beeindruckend: die Replik von Tutanchamuns Totenmaske. Das Original wiegt elf Kilo, hergestellt wurde es aus Gold, verziert mit blauen Lapislazuli-Elementen. Ebenso imposant ist der Nachbau des Sarkophags, der drei Särge ins sich barg. Der letzte Sarg war aus massivem Gold gearbeitet und ist ebenfalls als Replik zu sehen. So nähert man sich Schritt für Schritt der Historie des Kindkönigs an, der etwa 1332 vor Christus als Neunjähriger den Thron bestiegen hat. Er soll ein gerechter Herrscher gewesen sein, kein fieser Tyrann.
All dieses Wissen aufzusaugen, ist lehrreich. Damit dabei der Spaßfaktor nicht auf der Strecke bleibt, gibt es einige interaktive Stationen. Wer selbst gern eine Zeitreise ins Alte Ägypten machen möchte, kann in der Photobooth Platz nehmen, sein Gesicht in die Kamera halten und es in verschiedene Kostüme einfügen lassen. Mittels eines QR-Codes kann man die Fotos dann herunterladen.

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In einem anderen Raum stehen Sessel, darüber hängen Virtual-Reality-Brillen und Kopfhörer. Wenn man diese über Augen und Ohren stülpt, begleitet man den verstorbenen Tutanchamun bei seiner Reise ins Totenreich. Die Besucher schlüpfen praktisch in seinen Charakter, sie erleben seine Geschichte aus der Ich-Perspektive. Los geht es in der Grabkammer, gefolgt von einer glühenden Lava-Landschaft, in der riesige Götter Spalier stehen. Dann gilt es, vor dem Gericht des Osiris zu bestehen. Das Herz wird auf die Waage der Gerechtigkeit gelegt, zum Glück ist es nicht schwerer als eine Feder. Tutanchamun darf also als Adler zu den Feldern von Lalu, dem Jenseits der alten Ägypter aufsteigen. Auf jeden Fall ein atemberaubender Trip.
Im letzten und größten Saal laden Sitzhocker zum Verweilen ein, während die Gäste einen Zeitsprung zurück in die Vergangenheit machen. Dafür werden beeindruckende Bilder auf die Wände projiziert. „Ich bin der Pharao, ich bin ein Gott“, verkündet Tutanchamun. „Ich bin nicht tot, ich lebe.“ Sein goldener Thron schwebt majestätisch ein. Goldringe prasseln klimpernd zu Boden. Hummer und Salamander wuseln einem auf dem Parkett blitzschnell um die Füße herum. Die Betrachtenden­ kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Auf einmal schippert man über den Nil – vorbei an Flusspferden, Wüsten, Palmen. Zeitweilig erklingt sogar die Originalstimme von Howard Carter, dramatische Musik löst sie ab. Wenig später malt eine Hand die großen Wandgemälde bunt. Was für Impressionen!
Diese Schau zielt aber nicht allein auf Ergriffenheit ab. Zumindest die Wandtafel, die unter dem Motto „Hätten Sie gewusst, dass…“ bringt einen hier und da zum Schmunzeln. Eine lustige Erkenntnis: Grabkammern wurden mit Leitfäden à la Ikea gebaut. Geschichte wird an dieser Stelle mit verschiedenen Fakten aufgearbeitet. Zurück bleibt die Erkenntnis, dass die alten Ägypter ziemlich klug gewesen sein müssen. Sonst hätten sie sich wohl kaum alle 700 Hieroglyphen ihrer Schrift einprägen können. Nicht weniger herausfordernd war ihre Religion, weil sie mehr als 1000 Göttern huldigten. Ach, und die Zahnpasta wurde ebenfalls in Ägypten erfunden. Bereits damals konnten die Menschen künstliche Zähne einsetzen. Je tiefer man in das Thema eintaucht, desto mehr kristallisiert sich heraus: Der menschliche Forscherdrang war offensichtlich schon immer ausgeprägt.

„Tutanchamun – Das immersive Ausstellungserlebnis“. Bis 31. Januar 2024 im United Scene in Hamburg, Öffnungszeiten tägl. 10-21 Uhr. Vom 8. Dezember 2023 bis 25. Februar 2024 gastiert die Schau in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart, Öffnungszeiten tägl. 10-21 Uhr.

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  • Um Tutanchamun ranken sich zahlreiche Mythen, eine Schau in Hamburg und Stuttgart gibt Erkenntnisse: © MAD
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