Soziokultur war richtungsweisend

Im Gespräch: Wolfgang Herbert, Laila Koller, Dr. Heike Piehler vom E-Werk

Kaum zu glauben, dass der Betrieb im Freiburger E-Werk schon wieder fast wie normal läuft. Denn noch sind nicht alle Baumaßnahmen abgeschlossen, improvisieren ist angesagt für das Team des E-Werks. Und das hat sich mit der 45-jährigen Kulturmanagerin Heike Piehler nun komplettiert, sie steht dem Haus als Geschäftsführerin vor. Mit Wolfgang Herbert, Laila Koller und Heike Piehler, die das Leitungsteam des E-Werks bilden, sprach Annette Hoffmann über die Baumaßnahmen, darüber dass die Soziokultur längst in der Hochkultur angekommen ist und über die inhaltliche Ausrichtung des Hauses.

Kultur Joker: Frau Dr. Piehler, Sie haben zuletzt das Ästhetische Zentrum der Universität Bielefeld geleitet. Das klingt sehr akademisch, was haben Sie dort gemacht?

Piehler: Kulturmanagement in allen Sparten. Das deckt sich mit meiner Tätigkeit hier. Wir haben Musikveranstaltungen, Theater- und Tanzaufführungen und Ausstellungen organisiert, für ein Publikum von bis zu 10.000 Personen.

Kultur Joker: Sie haben sich sicherlich mit einem Konzept für das E-Werk um die Stelle beworben. Wie sieht es aus?

Piehler: Nein, ich habe mich nicht mit einem Konzept beworben. Es wäre auch verwegen, von Bielefeld aus ein Konzept zu entwickeln und damit an ein Haus zu kommen, das man noch nicht kennt. Wir werden hier im Team Konzepte entwickeln und schauen, was geht und was nicht geht.

Kultur Joker: Sie haben über Medienkunst promoviert und wollen diesen Bereich hier verstärkt zeigen. Wo wollen Sie sich zwischen dem neu gegründeten Basler Haus für elektronische Künste und dem ZKM in Karlsruhe positionieren?

Piehler: Das ist noch die große Frage. Wir haben kein Budget, das eine Konkurrenz zum ZKM zulässt (lacht). Ich hoffe aber, dass wir im Bereich der Förderung junger Kunst Akzente setzen können. Wir werden die junge Medienkunstszene in den Blick nehmen.

Kultur Joker: In Basel und in Karlsruhe kann man Neue Medien studieren, in Freiburg gibt es keine Produktionsstätten. Wie wollen Sie sich da einklinken?

Piehler: Wenn es das hier nicht gibt, ist dies doch gerade ein Grund, die Neuen Medien hier neu zu platzieren. Wir können von den Kunsthochschulen des Dreiländerecks profitieren und vielleicht eine Form der Kooperation finden, die für beide Seiten gewinnbringend ist. Wir wollen in Freiburg zeigen, was in diesem Bereich läuft.

Kultur Joker: Der Umbau des Ewerks ist noch in vollem Gange, was ist in den letzten Monaten an Sanierungsmaßnahmen geschehen?

Laila Koller: Vieles, das Dach wurde saniert und derzeit werden die Fenster ersetzt. Die Lüftung ist ein Thema, aber vor allem der Brandschutz. Die Jazz- und Rockschule sowie die Schauspielschule haben neue Fluchtwege und neue Brandschutztüren erhalten. Ein Aufzug wird auch installiert, um das Kammertheater barrierefrei zu machen. Das war eines unserer Hauptanliegen.

Wolfgang Herbert: Von den 3,8 Millionen sind etwa zwei Drittel in den Ausbau von Brandschutzmaßnahmen, Fluchtwegen und Gebäudesanierung wie Wärmedämmung und Fenster geflossen. Im ganzen Haus, auch in den Büros gibt es nun eine Brandmeldeanlage und in vielen Räumen eine Sprinkleranlage. Das sind aus sicherheitstechnischen Gründen sehr wichtige Maßnahmen. Aus Geldern, die wir durch die LAKS (Landesarbeitsgemeinschaft der Kulturinitiativen und soziokulturellen Zentren in Baden-Württemberg, Anm. d. Red.) vom Land Baden-Württemberg bekommen haben, konnten wir durch Synergieeffekte aber auch eine Verbesserung der Infrastruktur für die Zuschauer erreichen, zum Beispiel mit dem Treppenhaus und den neuen Toilettenanlagen.

Kultur Joker: Diese Brandschutzmaßnahmen waren die Initialzündung für die Sanierung. Sind sie Korsett oder haben sie auch Möglichkeiten für das Haus eröffnet?

Herbert: Korsett klingt sehr negativ. Es ist ein Korsett, zu dem wir aus Sicherheitsgründen als Veranstalter verpflichtet sind. Es stimmt aber, jetzt liegen überall Rohre frei, die verhindern, dass man die Wände anders nutzen kann oder manche Räume durch Einbauten verkleinert wurden. Diese Maßnahmen wurden von Fachleuten in Brandschutztechnik geplant und umgesetzt, die an gesetzliche Regelungen gebunden sind. Hätte man sie nicht durchgeführt, wäre die Schließung des E-Werks die Konsequenz gewesen.

Koller: Fluchtwege sind sehr wichtig. Als Veranstalter hat man einfach ein gutes Gefühl, wenn man auf ein funktionierendes System zurückgreifen kann. Was diese Sanierung angeht; wir hatten noch nie einen einstimmigen Gemeinderatsbeschluss, wenn es um das Ewerk ging. Diesmal schon, das war ein großer Erfolg. Sicher kann man sich im Fall der Brandschutztüren sagen, jetzt geht das ganze Geld in die Brandschutztüren… Andererseits hoffen wir, dass sie sich auf die Lärmdämmung positiv auswirken. Tatsächlich wurde sehr viel Geld in die Sicherung des Gebäudes investiert, nicht aber unbedingt in die Funktionalität und die Schönheit des Gebäudes.

Joker: und nicht in die Inhalte.

Koller: Genau.

Kultur Joker: Wie wird das Restaurant in das E-Werk eingebunden?

Koller: Das Restaurant wird nun vom Foyer zugänglich sein und nicht mehr allein über den Parkplatz. Wir erhoffen uns dadurch eine Belebung des Hauses. Es wird noch einen Nebeneingang geben. Der Verein ist nun Gesamtverpächter der Gastronomie und wir wollen Restaurant und Bar in eine Hand geben.

Kultur Joker: Im März war das Hiphop-Musical „Die vergessenen Befreier“ zu sehen, das die Geschichte der Soldaten aus den französischen Kolonien im 1. und 2. Weltkrieg aufgreift und das Creole Südwest – Globale Musik aus Baden-Württemberg. Diese Veranstaltungen sind exemplarisch für das Programm. Ist Interkultur die neue Soziokultur?

Koller: Interkultur ist eines der wichtigen Themen der Soziokultur. Alle wichtigen Kulturinstitutionen arbeiten in Deutschland an diesem Thema. Die Debatte hat sich verschoben, sie berücksichtigt die demografische Situation Deutschlands und dass wir seit einigen Jahren ein anerkanntes Einwandererland sind. Es ist das Publikum von morgen, aber es sind auch die Darsteller von heute. Wir würden uns wünschen, das Thema systematischer aufbauen zu können und uns hier noch mehr zu öffnen. Es ist sehr schön für uns, auch größere Produktionen wie „Die vergessenen Befreier“ zeigen zu können – die übrigens ausverkauft war.  Darin beweist sich die kontinuierliche Arbeit der letzten Jahre.

Herbert: Schauen sie sich das Theater in Freiburg an. Frau Mundel macht am Theater eine  sehr gute Arbeit. Soziokulturelle und interkulturelle Arbeit wird als Modell für das Stadttheater von morgen diskutiert. Soziokultur hat sich immer durch die Öffnung gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen ausgezeichnet, das machen die Stadttheater heute auch. Die soziokulturelle Arbeit in den vielen Zentren des Landes war dafür richtungsweisend.

Koller: Was wir seit den 1980er Jahren tun, setzt sich in etablierten Institutionen durch. Trotzdem bleibt es Teil einer politischen Arbeit. Das Theater Freiburg befindet sich in einer Vorreiterrolle. Es hat aber auch die Möglichkeiten dazu. Es werden mit Bundes- und Landesgeldern Programme geschaffen, speziell für kommunale Einrichtungen, während wir solche Möglichkeiten nicht haben. Das Theater Freiburg konnte so seinen Austausch mit dem Istanbuler Off-Theater garajistanbul finanzieren. Das ist eine kulturpolitische Debatte – im Herbst war ich als Vertreterin für Interkultur für die LAKS auf dem Bundeskongress Interkultur, und dort wurde am Fall von Nordrheinwestfalen diese Diskussion besonders scharf geführt. Auch dort werden Gelder nur für kommunale und staatliche Einrichtungen zur Verfügung gestellt, mit dem Argument, dass alle anderen es ja sowieso machen und keinen Anschub bräuchten. Damit haben wir natürlich eine Zweiklassengesellschaft. Ein solches krasses Missverhältnis gibt es in keinem anderen Land. Was die Art der Ästhetik angeht, nähern sich die Stadttheater und die freie Szene einander an, was die Förderstrukturen angeht, nicht.

Herbert: Das hat natürlich auch mit unserem viel gelobten System der Stadttheater zu tun, die in der Regel gut gefördert als Garant für hochwertige Kulturarbeit gesehen werden. In anderen Ländern sind die Strukturen und die Förderungspraxis viel durchlässiger.

Piehler: Soziokultur ist bei den Künstlern und beim Publikum angesagt, und davon profitiert das Ewerk, was man an unseren steigenden Zuschauerzahlen vor dem Umbau sehen kann. Wir entsprechen da dem Zeitgeist und überlegen, wie wir das Profil weiter ausbauen können. Künstler ticken sowieso in aller Regel international, kulturelle Grenzziehungen werden über die Jahrzehnte zunehmend schwieriger. Zudem gehen heute Künstler mit ihren Projekten vermehrt in die Gesellschaft hinein, machen die Gesellschaft selbst zum Thema. Sie verändern damit den Kulturbegriff, was sich letztlich auch im Programm der Kultureinrichtungen niederschlägt. Das Ewerk will da am Puls der Zeit sein.

Kultur Joker: Das E-Werk ist immer wieder Produzent von Theater- und Tanzveranstaltungen. Macht man sich da nicht von der regionalen Szene abhängig?

Koller: Ich finde nicht, dass wir uns davon abhängig machen, sondern, dass wir uns in der glücklichen Lage befinden, in Freiburg überhaupt eine nennenswerte Szene zu haben, die teilweise auf internationalem Niveau agiert. Die Künstler, die im Ewerk auftreten, etwa das Koreografenkollektiv, geben auch Gastspiele in Berlin, in Hamburg, im Ruhrgebiet, in Karlsruhe oder in Stuttgart, aber wir sind ihre Hausbühne. Wir wählen das Programm aus und führen Stücke auf, die zum Teil von der Stadt gefördert werden und/oder vom Landesverband freier Theater Geld bekommen. Es ist dennoch eine prekäre Lage, weil die Szene derart unterfördert ist. Es besteht immer die Gefahr, dass Gruppen abwandern.

Herbert: Wir hätten gerne einen Etat, um Produktionen initiieren zu können. Wir können versuchen, mit jungen Künstlern Stücke zu erarbeiten und umzusetzen. Dazu bräuchten wir dringend mehr Geld. Wir versuchen trotzdem immer wieder aus dem Wenigen etwas zu machen, so sind in der Pfeilerhalle des E-Werks die Produktion von Yummydance aus Japan und die Inszenierung von Avishai Milstein „Mein Kampf“ entstanden, der jetzt im Theater Freiburg Regie führt. Oft kommen Künstler mit Ideen zu uns und wir überlegen dann, wie wir sie umsetzen können und wie man sie finanzieren kann. Wir können bei der Akquise von Geldern behilflich sein oder die Technik und die Infrastruktur zur Verfügung stellen.

Kultur Joker: Das Ewerk ist auch Kulturproduzent, insofern hier bildende Künstler ihre Ateliers haben. Wie sieht das Konzept für Ausstellungen aus?

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