Sogartige Wirkung: Die Albertina in Wien zeigt die Ausstellung „Warum drei Töne kein Dreieck bilden“ der Künstlerin Katharina Grosse

„Die Verführung der Leute durch den Raum“ passiert beim Betreten. Sie funktioniert ob die Leute nun kurz oder lang sind. Manch ein Kind tanzt dabei vor Farbe. Monströs, so gebärden sich die Wände in den beiden großen Ausstellungsräumen. Im kleinen, elf Treppen tiefer liegenden Raum erhebt sich ein mehr als zwei Meter hoher Stoffpilz, dessen Tücher im Umschreiten von Kalkweiß zu samtigen Grün und changierenden Rot wechseln. Vor dem Eintreten in diesen Trakt für Wechselausstellungen sind die Besucher­Innen auf dem roten Teppich zwischen Marmorköpfen illustrer Magnaten der Vergangenheit wie demjenigen von Kaiser „Augustus“ geschritten. Seit 250 Jahren besteht dieses Museum der Kaiserstochter Marie Christine Habsburg und des Herzogs Albrecht von Sachsen-Teschen. Es ist bekannt durch seine Sammlung von Millionen hochkarätiger Zeichnungen von Albrecht Dürer bis zu Maria Lassnig. Die Albertina im ersten Bezirk Wiens nahe der Staatsoper, der Hofburg und seit 1988 unmittelbar neben Alfred Hridlickas Denkmal gegen Krieg und Faschismus ist ein Begriff.
1961 in Freiburg im Breisgau geboren, lernte Katharina Grosse 1982-1986 an der Kunstakademie Münster bei Norbert Tadeusz und Johannes Brus, danach 4 Jahre in Düsseldorf zuletzt als Meisterschülerin von Gotthard Graubner. Sie erhielt den begehrten Villa Romana Preis, Florenz; das Schmidt-Rottluff- und das Stipendium des Kunstfonds Bonn e.V. Mit 38 Jahren wurde sie Gastprofessorin an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe, danach in Bremen und schließlich an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee. Auszeichnungen folgten, darunter 2014 der Große Staatspreis für Bildende Kunst Baden-Württemberg. In zahlreichen Einzelausstellungen zeigt sie mit ihrem Team monumentale Farbinstallationen und Tafelmalerei. Zu letzterer schreibt sie: „It is pure sexuality when I paint.“

Ausstellungsansicht © Katharina Grosse / Bildrecht, Wien 2023, Foto: Sandro E. E. Zanzinger Photographie (2023)

Der Katalog mit Texten von Monika Rinck und Fotos der Künstlerin zeigt auf 133 Seiten „Verunklart, was dazugehört“, leider in schwierig zu lesender froschgrüner Leuchtfarbe. Für Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder gehört Katharina Grosse „… zu den wichtigsten Künstler:innen der Gegenwart … wie das wilde Denken ist sie experimentell und unberechenbar. Expansion und permanente Grenzüberschreitung, Freiheit und Autonomie bilden die Grundpfeiler dieses Ouevres.“ Solche Worte liefern Stoff zum Nachdenken.
Der „Echoraum, in dem die Vergangenheit in die Gegenwart nachhallt“, hier ist die Eingangssituation in das ehemalige Wohnpalais gemeint, wurde von Grosse und ihrem Team in ein „Universum aus Farbe“ verwandelt. „Farbströme und –stränge fließen in gegenläufige Richtungen. Ein Sprühnebel aus Aerosolen entfaltet sich in unterschiedlichen Farbintensitäten“. Colour Field Painting kommt in den Sinn, und die Soak-Stain-Technik einer Helen Frankenthaler, bei der sie Acrylfarben mit Wasser verdünnte. Der lyrische Ausstellungstitel „Warum drei Töne kein Dreieck bilden“ könnte auch die Folge eines psychedelischen Trips sein oder im Zusammenhang mit synästhetischer Erfahrung stehen. Einer Erfahrung, die wir nicht erst bei Wassily Kandinsky im gleichzeitigen Sehen von Musik und Farbe kennengelernt haben.
Die Vorbereitung für Grosses Malaktionen in Wien dauerten anderthalb Wochen. „Das Sprühen geht wahnsinnig schnell“ meint die Künstlerin im weißen Schutzanzug. In den Ausstellungsräumen wurden jede Ritze und sämtliche Kanäle wie Steckdosen, Beleuchtungs- und Klimaanlagen sowie Leitungen geschützt. Der recycelte Kunststoff zwischen zwei Aluminiumschienen gespannt. Es entstand eine Raum in Raum Konstruktion als eine Art Bühne. Diese im Besprühen performative und installative Malerei zeigt im Resultat rythmische und arythmische Bewegungen, eine Art Aneignung der Räume. Der Philosoph Roland Barthes, der 1957 in „Mythen des Alltags“ auch über die „transformative Qualität von Plastik“ sinnierte, hat sicherlich formal Recht, doch es bleibt die Frage nach der Verträglichkeit von Grosses Malgründen. Dagegen steht die Umwandlung und Übermalung physischer Architektur in stets sogartiger Wirkung.

Katharina Grosse, Warum drei Töne kein Dreieck bilden. Albertina, Albertinaplatz 1 1010 Wien. Bis 01.04.2024

Bildquellen

  • Ausstellungsansicht © Katharina Grosse / Bildrecht, Wien 2023,: Foto: Sandro E. E. Zanzinger Photographie (2023)
  • © Katharina Grosse /: Bildrecht, Wien 2023 Foto © eSeL