Regisseur David Bösch zeigt eine blutige „Elektra“ am Theater Basel

Walzer im Schlachthaus

David Bösch mag es düster. Schon in seinem Basler „Idomeneo“ aus dem Jahr 2013 reihte er eine Nachtszene an die andere. Am Ende zog keine Humanität ein, sondern Barbarei, die weißen Kleider der Choristen waren blutbefleckt. Jede Menge Blut gibt es auch in Richard Strauss‘ einaktiger Oper „Elektra“: Schon in der Vorgeschichte sind grausame Verbrechen geschehen.

Mal apathisch, mal blutrünstig: Rachel Nicholls als Elektra. (© Sandra Then)
Mal apathisch, mal blutrünstig: Rachel Nicholls als Elektra. (© Sandra Then)

Agamemnon hat seine Tochter Iphigenie getötet, um die Gunst der Götter zu gewinnen und wurde deshalb von seiner Ehefrau Klytämnestra und ihrem Liebhaber Ägisth im Bade erstochen. „Es ist die Stunde, wo sie dich geschlachtet haben“, erinnert sich die verstörte Tochter Elektra in ihrer Auftritts-Szene. „Dein Blut rann über deine Augen, und das Bad dampfte von deinem Blut.“

Am Theater Basel dominieren diese schaurige Visionen auch die Szenerie. Die Bühne von Patrick Bannwart und Maria Wolgast ist eine Mischung aus Schlachthaus und Kinderzimmer. Die hohen Wände sind rot getüncht. Ein Schaukelpferd steht verloren auf dem blutgetränkten Boden. Die Teddys im rotbefleckten Kinderbettchen wirken verloren in der unbehausten Umgebung. „Where is Papa“, steht an der Rückwand. Grablichter erinnern an den Tod des Vaters.

David Böschs Inszenierung, die schon in Antwerpen und Essen zu sehen war, stülpt die inneren Vorgänge der Protagonisten nach außen. Das drastische Bühnenbild setzt auf Überdeutlichkeit und manchen Schockmoment, wenn beim Auftritt von Klytämnestra Tierkadaver vom Schnürboden baumeln. Zwischentöne kennt es keine. Es kann nicht die Spannung dosieren und auch keine Intimität in diesem Kammerspiel schaffen.

Das ist aber nicht das einzige Problem der „Elektra“ in dieser Basler Neueinstudierung (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Barbora Horáková Joly). Das Sinfonieorchester Basel begleitet unter der Leitung von Erik Nielsen zu vorsichtig. Der Musikdirektor des Basler Theaters achtet auf Transparenz und Hörbarkeit der Stimmen, verliert dabei aber die dramatische Unterfütterung. Die Schärfen der Partitur geraten zu weich. Zum anderen fehlt der Personenführung die Genauigkeit.

Elektra ist in Basel keine hochdramatische Wuchtbrumme, sondern sowohl körperlich als auch stimmlich ein durchaus zerbrechliches Geschöpf. Rachel Nicholls schlanker, durchaus tragfähiger Sopran, der in der Tiefe und der Höhe noch präsenter wird, zeigt Elektra mal als apathische Tochter, die sogar für einen kurzen Moment ihren Kopf an die Schulter ihrer Mutter lehnt, mal als blutrünstiger Killer mit Kettensäge. Der Weg vom traumatisierten Kind zur grausamen Rächerin bleibt aber verborgen. Die psychologischen Übergänge fehlen. Und wenn sich diese eher undefinierte Elektra seelenruhig ein Glas Sekt einschenkt, während ihre Mutter zu den panischen Fieberwellen der Streicher von Orest ermordet wird, dann gerät die Personenregie zur Willkür.

Michael Kupfer-Radecky gibt mit warmem, fliessendem Bariton und Rauschebart einen zauseligen Frauenversteher, der planlos herumsteht, wenn er nicht gerade auf seinem früheren Kinderstuhl Platz nimmt. Pauliina Linnosaaris lyrische, in der Höhe wunderbar leuchtende Chrysothemis erscheint im türkisfarbenen Sommerkleid (Kostüme: Meentje Nielsen) lange Zeit als die unbeschwerte Schwester, die ein normales Leben ersehnt, sich am Ende aber doch skrupellos am Muttermord erfreut.

Ursula Hesse von den Steinen ist als Klytämnestra die einzige, die mit ihrer enormen Präsenz und ihrem farbenreichen, dunklen Mezzo ein so packendes wie stimmiges Rollenporträt zeichnen kann. In der großen Szene „Ich habe keine guten Nächte“, in der sie Elektra von ihren Albträumen berichtet und von dieser in die Enge getrieben wird, zeigt sie sich zu verstörenden Streicherclustern und bizarren Bläsereinwürfen als verletzliche Frau. Je länger der Abend dauert, desto intensiver wird das Spiel des Basler Sinfonieorchesters. Nielsen gibt dem Orchester mehr Raum, um sich zu entfalten. Es wird vom sensiblen Begleiter zum selbstbewussten Akteur und erzeugt eine Sogwirkung, die dem Abend gut tut.

Am Ende lässt David Bösch Glitzerkonfetti regnen. Während die Schwestern ausgelassen tanzen, schlitzt sich Orest, nachdem er Ägisth (distinguiert: Rolf Romei) getötet hat, die Pulsadern auf. Dazu läuft jede Menge Kunstblut die Wände herunter. „Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins: Schweigen und tanzen!“ singt Elektra in irrer Freude. Und tanzt dazu Walzer.

Georg Rudiger

Weitere Vorstellungen: 1./ 16. Februar, 3./13./21. März, 8./23. April.