Reale Fantasie oder fantastische Realität: Keramiken und Gemälde von Sara Gassmann bei Kunst KOCH in Freiburg

Schon die Präsentation ist außergewöhnlich: Großraumbüros, weitläufige Flure, Treppenhäuser oder Lagerräume dienen als Galerie für die regelmäßigen Kunstausstellungen in der KOCH Freiburg GmbH im Industriegebiet Nord. Die Öffnungszeiten decken sich weitgehend mit den Arbeitszeiten der Beschäftigten. Konkret: Die Kunstinteressierten bewegen sich nicht in der speziellen Atmosphäre eines der üblichen Kulturtempel, sondern begegnen beim Kunstgenuss hautnah dem tätigen Leben in den profanen Räumlichkeiten eines Großhandelsbetriebs für Beschläge (das sind Scharniere, Klinken, Schlösser, Griffe und die dazu gehörenden Montagewerkzeuge) sowie Türen, Tore und weitere Bauelemente. Hier fungiert der mit den üblichen elektronischen Hilfsmitteln bestückte Büroschreibtisch auch als Skulpturenstele, neben der möglicherweise gleich das Telefon klingelt. Die MitarbeiterInnen in den Büros oder den anderen Geschäftsräumen gehen ganz normal in der ihrer Tätigkeit entsprechenden Arbeitskleidung parallel zu den Ausstellungen ihren Beschäftigungen nach.
In der aktuellen Ausstellung mit dem Titel „Kormoran“ sind zahlreiche Keramikskulpturen und zumeist großformatige Gemälde der in Basel lebenden und arbeitenden Künstlerin Sara Gassmann zu entdecken. Erlebnis ist das passende Charakteristikum für die Präsentation, denn schon der erste Eindruck der überbordenden farblichen Leuchtkraft der Gassmannschen Werke stimmt die BetrachterInnen positiv. Es sind durchweg Abstrakta, die jedoch in ihren Farben und Formen immer reale Bezüge zur uns umgebenden natürlichen Umwelt aufweisen, nahezu ausschließlich Detailzitate aus Flora und Fauna. Es sind immer nur reale Andeutungen, die auf eine Fährte locken, aber sie bieten keinerlei Erkenntnissicherheit. Man sieht wohl eine angedeutete Fischflosse, aber niemals den Fisch und die Vogelfeder formt sich nur in der eigenen Fantasie zur Ganzheit und ebenso alle anderen unzähligen Hinweise auf Interpretationsmöglichkeiten. Diese detaillierten Realitätsspuren treten stets mehrfach in einem Bild oder den Skulpturen auf, überlagern sich, oder verschwimmen farblich miteinander oder auch ineinander. Einerseits bieten sich schnell naheliegende Assoziationen an, wie zum Beispiel die faszinierende Unterwasserwelt eines Korallenriffs. Aber im zweiten Blick eben doch wieder nicht.
Diese dialektische Widersprüchlichkeit verweigert den unmittelbaren kulinarischen Genuss und liefert – positv formuliert – den Einschaltknopf für das Räderwerk der eigenen Fantasie. Sie provoziert nach dessen Betätigung die eigene Vorstellungswelt und schließlich die eigene Urteilsfindung in einem genussvollen Prozess. Das vermag nur, wie in diesem Fall, gute Kunst.
Die eindeutige Stärke von Sara Gassmann ist ihre unbändige Lust und ihre Experimentierfreudigkeit mit Farben. Sie zeigen sich auch für die Bemalung ihrer Keramikskulpturen. Man könnte sie als die Fortsetzung ihrer Malerei mit anderen Mitteln bezeichnen. Dies erschließt sich aber nur vollends, wenn man ganz nahe an die Exponate der umfangreichen Bodeninstallation in einem lichtdurchfluteten Raum – direkt neben dem nur durch eine Glasfront abgetrennten Pausenraum für die Beschäftigten – herangeht.
Der Besuch der Ausstellung ist vorbehaltlos gleich in doppeltem Sinn zu empfehlen: Einmal begeistern die Wirkmächtigkeit und handwerkliche Präzision der Werke von Sara Gassmann und ebenso das Erlebnis einer außergewöhnlichen Präsentation an einem außergewöhnlichen Ort.

Sara Gassmann. Kunst Koch, Hanferstr. 26, Freiburg. Bis 07.07.2023

Bildquellen

  • Bodeninstallation Keramiken und Bilder im Anschluss an den Pausenraum: Foto: Erich Krieger