Mit Galgenhumor in die Apokalypse

Philippe Manourys neues Musiktheater „Kein Licht“ eröffnet die neue Saison an der Straßburger Oper

Ein ganzes, in diesem Jahr geschriebenes Kapitel hat Elfriede Jelinek dem US-Präsidenten gewidmet und damit ihrem nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 entstandenen und 2012 ergänzten Text „Kein Licht“ ein nicht minder bedrohliches Update verpasst. Mit dem Stück beginnt die Spielzeit 2017/18 an der Opéra national du Rhin.

"Kein Licht": Die multimediale Untergangsshow regt zum Nachdenken an. © Klara Beck
„Kein Licht“: Die multimediale Untergangsshow regt zum Nachdenken an. © Klara Beck

In der Realität leistet sich Donald Trump aktuell gerade eine beängstigende Verbalschlacht mit dem nordkoreanischen Diktator Kim-Jong-un. Auf der Opernbühne kommt der US-Präsident auch schon vor, ohne namentlich genannt zu werden. Aber nach einem Satz wie „Er darf überall hingreifen, überall hineingreifen, alles angreifen, alle Länder angreifen“ ist klar, wer damit gemeint ist.

„Thinkspiel“ nennen der Komponist Philippe Manoury und der Librettist und Regisseur Nicolas Stemann ihr zweistündiges Musiktheater, das nach der Uraufführung im August bei der Ruhrtriennale nun im Rahmen des Musica-Festivals an der Straßburger Oper als französische Erstaufführung zu sehen ist. „Thinkspiel“ ist dabei durchaus wörtlich gemeint. Aktuelle Themen wie Kapitalismuskritik, Atomausstieg oder die blinde Technikgläubigkeit regen zum Nachdenken an. Ironische Brechungen und sarkastische Aussagen wie „Die Natur müsste auch nicht immer so übertrieben reagieren, finde ich, also die ist schon auch selber schuld“ entwickeln einen Galgenhumor, der dem apokalyptischen Setting durchaus gut tut.

Die Oper beginnt mit einem dramaturgischen Kunstgriff. Mit der Uraufführung des Orchesterwerks „Pas de Lumière“ soll der Katastrophe von Fukushima gedacht werden. So können Musiker zwischen die gelb-grün strahlenden Tanks platziert werden (Bühne: Katrin Nottrodt). Das Entsetzen, das in den Originalvideos vom 11. März 2011 nachhallt, wird vom Altsolo einer Trauernden (Christina Daletska) in Musik übertragen. Das Neue-Musik-Ensemble „United instruments of Lucilin“ aus Luxemburg spielt unter der Leitung von Julien Leroy einen düsteren Orgelpunkt. Und eine gedämpfte Trompete tritt in Dialog mit einem Hund, der die Melodielinien mit punktgenauem Jaulen beantwortet.

Der Terrier Cheeky erhält eine Hauptrolle in diesem Stück. Ein streunender Hund im menschenverlassenen Fukushima nach der Katastrophe – ein starkes Bild! Allerdings ist seine Trainerin Karina Lapreye immer mit auf der Bühne, so dass die bemerkenswerten Hundeauftritte dann doch ein wenig nach Zirkus aussehen. Zwei Schauspieler, die präsenten Caroline Peters und Niels Bormann, führen mit Jelineks virtuosen Texten durch diese schwarze Komödie. Ein Solistenquartett (Sarah Maria Sun, Olivia Vermeulen, Christina Daletska, Lionel Peintre) singt gegen die Trostlosigkeit an und strahlt einen Rest menschlicher Wärme und Gefühle aus.

Philippe Manourys Musik changiert zwischen traditionell opernhaften Passagen und kühlen, mechanischen Repetitionsmustern. Der Abend hat leichte Momente, wenn die beiden Schauspieler als Hans und Gretel den deutschen Atomausstieg hinterfragen oder das als Handpuppe gespielte, zeternde Atommännchen wieder zurück in seine Kiste gesteckt wird (Kostüme: Marysol del Castillo). Mitten in der Aufführung lecken die Rohre und Wasserströme fluten die Bühne. Die Wirklichkeit bricht ein. Die Übergänge zwischen Katastrophe und Komik funktionieren leider nicht immer.

Aber langweilig wird es jedenfalls nicht bei dieser multistilistischen, multimedialen Untergangsshow, die im letzten Teil an Dringlichkeit gewinnt. Ein brennender Erdball, der schließlich explodiert. Kein Licht mehr bis auf das Strahlen der Kernstäbe. Und kein Laut mehr bis auf das Jaulen des Hundes.

Georg Rudiger