Im Gespräch: Jule Pehnt von den Fridays For Future Freiburg über den Protest in Lützerath: „Wir können radikaler sein“

Jule Pehnt, Pressesprecherin der Fridays for Future Freiburg Foto: Fridays For Future Freiburg

Das kleine Dorf Lützerath, auch „Lützi“ genannt, ist längst zum Symbol der Klimabewegung geworden. Bis zum Schluss kämpften Aktivist*innen dort gegen die Räumung. Zur letzten Großdemonstration am Samstag, den 14. Januar fuhren Klimaaktivist*innen aus ganz Deutschland zum Dorf am Rande des Tagebaus. Darunter war auch Jule Pehnt, Pressesprecherin der Freiburger Fridays For Future. Fabian Lutz hat mit ihr über den Schrecken des Tagebaus, Polizeigewalt, die Enttäuschung über die Grünen gesprochen – und darüber, ob Fridays For Future von der Letzten Generation mehr Radikalität lernen können.

Kultur Joker: Liebe Jule, wie war es in Lüzerath? Ermutigend oder entmutigend?

Jule Pehnt: Es war eine komische Mischung. Zum einen gab es diese unglaublich große Menge an Menschen, 35.000 Demonstrierende, die aus allen Teilen Deutschlands angereist sind. Das hat mir viel Hoffnung gemacht. Zum anderen hat es mich sehr frustriert, diese Kohlegruben zu sehen und die Polizei, die diesen fossilen Irrsinn vor Ort verteidigt hat.

Kultur Joker: Von einigen Demonstrierenden war bereits zu hören, dass sie der Anblick des Tagebaus schockiert hätte. Ging es dir ähnlich?

Jule Pehnt: Es ist ein unglaublicher Anblick. Für mich ist der Tagebau ein Symbol dafür, was falsch läuft mit unserer Art zu leben, zu wirtschaften. Man sieht ganz plastisch, was es bedeutet, wenn ein Konzern für Profite immer weiter baggern will. Ein Konzern, der weitere Millionen Tonnen von Kohle in die Luft verfeuert. Gleichzeitig siehst du, wie die Menschen vor Ort darunter leiden. Sie werden enteignet. Die Menschen im Globalen Süden verlieren angesichts des globalen Klimawandels sogar ihr Leben.

Kultur Joker: Als die große Demonstration am Samstag stattfand, war die Räumung des Dorfs schon weit fortgeschritten. Hattet ihr tatsächlich die Hoffnung, die Räumung noch aufhalten zu können?

Jule Pehnt: Ich bin selbst seit Donnerstag vor Ort gewesen, habe demonstriert und im Camp unterstützt – da waren wir natürlich noch optimistischer als am Wochenende. Aber auch dann, trotz der vielen Menschen, die gleichzeitig geräumt wurden, haben wir bis zum Ende und auch darüber hinaus nicht die Hoffnung aufgegeben. Natürlich war klar, dass Lützerath irgendwann geräumt sein würde, aber es war wichtig, nicht aufzugeben, nicht aufzuhören zu kämpfen, selbst wenn man in der Unterzahl ist oder die Staatsgewalt nicht auf seiner Seite hat. Es hat eine große symbolische, aber auch reelle Stärke, wenn man sich dagegen stellt und eine Politik nicht akzeptiert, die Konzerninteressen folgt, weiter Kohle verfeuert und nicht darauf achtet, welche Folgen das für das Klima und die Menschen hat.

Kultur Joker: War es für dich als Vertreterin der oft als gemäßigt betrachteten Fridays For Future wichtig, dich vor Ort von einem gewaltbereiten Protest zu distanzieren?

Jule Pehnt: Eine Distanzierung von Gewalt war auf der Demonstration Konsens. Es gab nur einzelne Demonstrierende, die bereit waren, Gewalt anzuwenden. „Gewaltanwendung“ heißt beispielsweise einen Feuerwerkskörper etwas waagerechter zu schießen. Allen Teilnehmenden und Organisationen war aber klar, dass es ein friedlicher Protest wird. Das ist uns als Fridays For Future enorm wichtig. Wir kämpfen friedlich für eine bessere Welt, anders als die Gegenseite, die mit Gewalt antwortet. Gleichzeitig haben wir aber auch gelernt: Wir können radikaler sein, können deutlicher für unsere Ziele einstehen, weil wir sonst nicht gehört werden.

Kultur Joker: Haben Fridays For Future also von der Letzten Generation gelernt?

Jule Pehnt: Zunächst gibt es zwischen den Fridays For Future und der Letzten Generation große Unterschiede. Die Letzte Generation protestiert in kleinen Gruppen, Fridays For Future setzt den Fokus darauf, die Massen zu mobilisieren. Aber auch für die Mobilisierung der Massen kann man radikalere Aktionsformen wählen. Den Schritt sind wir schon in der Vergangenheit gegangen.

Kultur Joker: Kannst du Beispiele nennen?

Jule Pehnt: Lützerath war die nicht erste Besetzung, die von Fridays For Future unterstützt wurde. Im Bündnis zum Schutz des Dannenröder Forsts waren Fridays For Future dabei, ebenso bei den Besetzungen des Baus der A100 bei Berlin.

Kultur Joker: Du sagtest, dass die Gegenseite mit Gewalt, also unverhältnismäßig auf die friedlichen Demonstrierenden reagiert hatte. Kannst du das ausführen?

Jule Pehnt: Man muss sich die Waffen einmal vor Augen führen, die von der Polizei legal gegen einen friedlichen Protest eingesetzt werden können: Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer. Der vereinzelte Einsatz von Pyrotechnik, Feuerwerkskörpern oder Schlamm ist gar nichts gegen die Gewalt, die wir alle auf dem Protest zu spüren bekommen haben.

Kultur Joker: Bevor viele Demonstrierende am Samstag von Freiburg nach Lützerath fuhren, übergaben Vertreter*innen von Fridays For Future der Freiburger Abgeordneten der Grünen, Chantal Kopf, einen offenen Brief, in dem sie auf die Doppelmoral grüner Politik hinweisen und Frau Kopf zum Handeln gegen die Parteilinie auffordern. Hat Chantal Kopf bereits auf das Schreiben reagiert?

Jule Pehnt: Chantal hat auf Instagram ein Statement veröffentlicht, in dem sie die Parteilinie weiter verteidigt. Sie meinte auch ganz nett, dass sie bei der Entscheidung Bauchschmerzen gehabt hätte. (lacht) Wir hatten uns erhofft, dass sie sich gegen die Parteilinie stellt, wie es bereits andere grüne Abgeordnete getan haben. Bei einem spontanen Protest, zu dem wir am Samstagmorgen, also noch vor der Übergabe in Freiburg aufgerufen hatten, kamen mehrere hundert Menschen. Ich glaube also nicht, dass sich Chantal für die Interessen der Freiburger*innen entschieden hat.

Kultur Joker: Glaubst du, dass Lützerath den Beginn einer Spaltung der Grünen markiert?

Jule Pehnt: Ich glaube, dass sich die Grünen von der Klimabewegung entfernen werden, ebenso wie sich die Basis von der Parteispitze entfernt, wenn sie nicht ihre Wahlversprechen hält. Ich hoffe aber, dass Lützerath ein Weckruf für die Grünen sein wird. Es wurde klar, dass ihr „Weiter so!“ zur fossilen Zerstörung der Umwelt weniger Unterstützung findet, als sie dachten.

Kultur Joker: Und glaubst du, dass sich die Klimabewegung angesichts verschieden radikaler Protestformen spalten wird?

Jule Pehnt: Der Protest in Lützerath war für die Klimabewegung ein sehr vereinender Moment. Es kamen so viele verschiedene Gruppen, sowohl die Letzte Generation und Ende Gelände als auch Fridays For Future und der BUND. So etwas haben wir schon lange nicht mehr erlebt. Aber natürlich müssen wir bei Fridays For Future darüber debattieren, wie wir unseren Protest so radikal gestalten, dass er weiter aufweckt. Gleichzeitig müssen wir uns fragen, wie wir weiter anschlussfähig bleiben, in der Gesellschaft Gehör finden und nicht zu einer radikalen Minderheit werden. Diese Auseinandersetzung müssen wir intern und innerhalb der Klimabewegung führen, aber wir sind bereit, das zu tun.

Kultur Joker: Liebe Jule, vielen Dank für das Gespräch!

Bildquellen

  • Jule Pehnt: Foto: Fridays For Future Freiburg
  • Polizei und Demonstrant*innen auf der Demonstration am 14. Januar bei Lützerath: Foto: Tim Wagner