Im Gespräch: Christoph Müller, Leitung Gstaad Menuhin Festival & Academy

Seit über 20 Jahren leitet Christoph Müller das Gstaad Menuhin Festival & Academy. Dort widmet er sich nun intensiv dem Thema Nachhaltigkeit. Georg Rudiger hat mit ihm gesprochen über neue Herausforderungen für Kulturveranstalter, die Reihe „Music for the Planet“ und die Zusammenarbeit mit dem Festspielhaus Baden-Baden.

Kultur Joker: Normalerweise ist ein Musikfestival im Sommer dazu da, den Besucherinnen und Besucher besondere Musikerlebnisse in einer schönen Umgebung zu bescheren. Man möchte sich unterhalten und sich auch ablenken vom Alltag. Das Gstaad Menuhin Festival hat ja auch den Auftrag, Touristen während der Sommersaison in die Berge zu locken. Das diesjährige Motto „Demut“ klingt aber nicht nach Genuss.

Christoph Müller: Demut ist für mich kein negativer Begriff. Sprachhistorisch gesehen bedeutet er „Mut zum Dienen“, was mit positiven Assoziationen einhergeht. Es geht uns darum, den Zeitgeist aufzugreifen. Wir leben in einer anderen Welt als vor einigen Jahren. Wir spüren immer stärker die Folgen des Klimawandels, die Coronapandemie hat uns bis in die Grundfesten erschüttert, der Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt Europa auf eine echte Probe. Es war uns klar, dass wir als Kulturveranstalter nicht weitermachen können wie bisher mit unseren Städteschwerpunkten, die wir in den Festivalausgaben 2018 bis 2022 ins Zentrum stellten. Wir möchten den Zustand der Welt aufnehmen und reflektieren. „Wandel“ heißt unser übergeordnetes Thema der nächsten drei Jahre.

Kultur Joker: Demut vor der Natur ist ein wichtiger Punkt für Sie. Denn Sie haben den ganzen Festivalbetrieb durch eine Klimaagentur untersuchen lassen. Was kam dabei heraus? Und wo setzen Sie den ersten Hebel an?

Müller: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, in unserem Betrieb nachhaltiger und CO2-ärmer zu werden. Die größten CO2-Treiber bei einem Musikfestival an einem dezentralen Ort wie Gstaad sind die Anreisen der Künstler und des Publikums. Bei den Künstlern verhandeln wir inzwischen das Thema Anreise wie die Gagen, die Hotelübernachtung und das Programm. Wir versuchen zu erreichen, dass sie klimaneutral oder zumindest klimaschonend anreisen. Das wirkt sich letztendlich auch auf die Auswahl der Orchester, Chöre und auch Einzelkünstlerinnen und -künstler aus. Unser Publikum möchten wir ebenfalls diesbezüglich sensibilisieren, indem wir auf die attraktiven öffentlichen Verkehrsverbindungen hinweisen und einen Bus-Service einrichten.

Kultur Joker: Die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit äußern sich auch programmatisch, unter anderem durch die von der Geigerin Patricia Kopatchinskaja betreute Reihe „Music for the Planet“. Was kann man sich darunter vorstellen?

Müller: In diesen drei Konzerten, die Patricia konzipiert hat, möchte sie schonungslos aufzeigen, dass die Natur in Gefahr ist. Es geht ihr darum, durch Musik die Menschen auch emotional für die Thematik des dramatisch beschleunigten Klimawandels zu sensibilisieren. Sie nimmt beispielsweise ein Meisterwerk wie Ludwig van Beethovens „Pastorale“ – und kreiert dazu eine Geschichte mit einer klaren Botschaft.

Gaechinger Cantorey beim Eröffnungskonzert © Raphael Faux

Kultur Joker: Das Festival beginnt am 14. Juli in der Kirche Saanen mit der h-Moll Messe von Johann Sebastian Bach – ein ungewöhnliches Werk für eine Festivaleröffnung. Ist diese Programmierung auch von dem Motto „Demut“ inspiriert?

Müller: Die h-Moll-Messe ist ein Statement zum Festivalbeginn, weil sie die Themen „Demut & Glaube“ sowie „Demut & Vorbilder“ verbindet. Johann Sebastian Bach ist bei beiden Schwerpunkten Dreh- und Angelpunkt. Dieses epochale Meisterwerk, das übrigens seit 2015 als UNESCO-Weltkulturerbe gilt, durch ein spezialisiertes Ensemble zu erleben, das historische Aufführungspraxis mit großer Leidenschaft verbindet, stellt die Besonderheit zum Festival-Beginn dar. Deshalb haben wir die Gaechinger Cantorey unter Hans-Christoph Rademann eingeladen.

Kultur Joker: Hatten Sie auch den Gedanken, gleich zu Beginn des Festivals eine eher nachdenkliche Stimmung zu kreieren?

Müller: Durchaus. Auch der sakrale Raum der Kirche Saanen schafft diesen Rahmen. Wir servieren die Leichtigkeit und unterhaltenden Programme später im siebenwöchigen Festival. Ich glaube nicht, mit diesem Auftakt die Feierlaune zu verderben, denn die Faszination für Musik und deren Interpretation wird alle packen, die es miterleben. Wir wollen kein reines Entertainment-Festival sein. Das ist nicht unser Anspruch. Diese spirituelle Dimension beim Eröffnungskonzert ist bewusst gewählt.

Kultur Joker: Neben den Konzerten in den Kirchen des Saanenlandes mit Kammermusik und geistlicher Musik gibt es noch das große Festivalzelt Gstaad, in dem die Conducting Academy mit dem Gstaad Festival Orchestra, aber auch große Symphoniekonzerte stattfinden. Hier ist auch eine halbszenische „Tosca“ mit Sony Yoncheva in der Titelpartie zu hören, die am 27. August auch ins Festspielhaus Baden-Baden kommt. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Müller: Ich versuche grundsätzlich, bei besonders aufwändigen und teuren Projekten Partner für Kooperationen zu finden. Beim Festspielhaus Baden-Baden hat die „Tosca“ gut in die Jahresplanung gepasst, weil das Haus damit nach der Sommerpause die neue Saison eröffnen kann.

Kultur Joker: Geht die Zusammenarbeit mit Baden-Baden weiter?

Müller: Wir sprechen über weitere Projekte, weil die Zusammenarbeit für beide Seiten attraktiv ist. Ich hoffe sehr, dass das auch in den kommenden Jahren klappt.

Kultur Joker: Auf welches Konzert in Gstaad freuen Sie sich besonders?

Müller: Auf die h-Moll-Messe zu Beginn. Aber ich höre mir jedes Konzert an und betreue auch die Künstlerinnen und Künstler. Deshalb wird es viele Highlights für mich geben.

Kultur Joker: Haben Sie das Gefühl, dass das Publikum, für das Sie das Festival machen, diesen Wandel mitgehen möchte?

Müller: Was den Vorverkauf angeht, liegen wir zum jetzigen Standpunkt sogar über dem Vorjahresniveau. Ich denke, unser Publikum wird das Konzept gut annehmen. Und ich glaube, es gibt in diesen unsicheren Zeiten eine große Sehnsucht, durch Musik zur Ruhe zu kommen und zum Nachdenken angeregt zu werden.

Kultur Joker: Vielen Dank für das Gespräch!

Gstaad Menuhin Festival & Academy, Bis 2. September 2023. „Tosca“ konzertant mit dem Gstaad Menuhin Festival Orchestra am 27.8., 17 Uhr im Festspielhaus Baden-Baden.

Bildquellen

  • fullhd: © Raphael Faux
  • Christoph Müller leitet seit über 20 Jahren das Gstaad Menuhin Festival & Academy: © Adrian Moser