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„Ich salutiere nicht vor korrupten Regierungen“: Im Gespräch mit Carlos Santana, Musiker, Woodstock-Veteran, Weltstar

Carlos Santana ist weltbekannt für seine Fähigkeit, Rockmusik mit lateinamerikanischen Rhythmen zu verschmelzen. Mit 78 Jahren hat der Weisheitslehrer und Woodstock-Veteran mehr zu tun als je zuvor: Er bereitet ein Album mit Eric Clapton vor, plant ein globales Woodstock-Festival und will im Sommer zahlreiche Konzerte in Europa spielen. Mit dem Fusion-Gitarristen sprach Olaf Neumann via Zoom über Donald Trump und das neue, kompositorisch komplexe Santana-Album „Sentient“. Es ist eine spirituelle Reise durch die endlosen Möglichkeiten der Musik mit vielen Stargästen.

Kultur Joker: Das Album „Sentient“ (empfindungsfähig) enthält einige Ihrer spektakulärsten Duette in neuen Bearbeitungen. Haben Sie dafür die Gitarrenspuren neu eingespielt?

Carlos Santana: Ich habe zwei, drei der Stücke überarbeitet, „Blues For Salavador“ oder „I‘ll be Waiting“, aber die Gitarren nicht neu aufgenommen. Ich habe diese Songs in eine andere Reihenfolge gebracht. So sind sie zu neuem Leben erwacht. Ich bin dankbar, dass ich ein gefühlvolles Album mit Run DMC, Michael Jackson, Smokey Robinson, Miles Davis und meiner Frau Cindy Blackman machen konnte. Nicht vielen wird es zugetraut, mit solch großartigen Künstlern Musik zu machen. Ich bin ein wirklich gesegneter Mexikaner.

Kultur Joker: Was wollen Sie mit dem Album ausdrücken?

Santana: Ich möchte zum höchsten Wohle der lebenden Menschen auf dem Planeten sagen, dass Musik heilt und die Angst vertreibt. Ich möchte die Menschen daran erinnern, dass korrupte Konzerne keine Macht über mich oder über dich haben. Grenzen sind eine Illusion.

Kultur Joker: Donald Trump baut eine Mauer zwischen den USA und Mexiko. Was halten Sie davon?

Santana: Er muss keine Mauer bauen. Die Mauer ist in den Köpfen der Menschen schon da. Trump ist ein Instrument der Ignoranz, er ist das Schlechteste der Vereinigten Staaten. Die Besten der Vereinigten Staaten sind diejenigen, die Wasser, Nahrung und eine heilende Hand bringen wollen. Das sollten die wahren Präsidenten sein und nicht jemand, der den Dritten Weltkrieg propagiert. Donald Trump repräsentiert das Elend, er macht den Menschen in den Vereinigten Staaten Angst. Er repräsentiert nicht das Höchste, das Tiefgründigste oder das Bedeutendste. Er hat keinen Wert. Er ist wie Halloween ohne Süßigkeiten.

Kultur Joker: Trump hat seinen Wählern die „größte Abschiebeaktion in der amerikanischen Geschichte“ versprochen. Wie fühlt es sich an, als gebürtiger Mexikaner unter solch einem zynischen Präsidenten zu leben?

Santana: Ich bin ein multidimensionaler Geist. Ich salutiere aus Respekt der amerikanischen Flagge. Aber für mich sind die Menschen auf diesem Planeten die einzig wahre Flagge. Ich habe auch Respekt für die deutsche, französische oder mexikanische Flagge. Ich weiß, wofür sie stehen. Aber ich bin kein Patriot. Ich salutiere nicht vor korrupten Konzernen und Regierungen. Ich bin frei von Politikern, dem Papst und Zuhältern. Ich folge meinem Herzen und ich bin eins mit Jesus. Aber auch mit Buddha, Allah, Krishna und Rama. Ich habe keine Gefühle für das, was Tyrannen tun. Ich messe ihnen keinen Wert bei. Denn der einzige Wert, den ich habe, sind Kinder. Wenn sie lächeln und dir die Hand geben, vertrauen sie dir. Das ist unbezahlbar. Deshalb mache mir keine Sorgen und habe keine Angst vor dem, was Donald Trump darstellt. Für mich ist er wie Nebel in San Francisco oder London. Irgendwann lichtet die Sonne immer den Nebel.

Kultur Joker: Sie haben auch ein Instrumental-Cover von Michael Jacksons Ballade „Stranger in Moscow“ aufgenommen. Mit Ihrem Gitarrenspiel visualisieren Sie Jackson und das, was er tun würde. Können Sie sich so gut in ihn hineinversetzen, weil er wie Sie Vollblutmusiker war?

Santana: Ja, und er wollte den Weltfrieden. „Stranger in Moscow“ ist interessant. Ich war in Ostberlin, als es den Checkpoint Charlie noch gab, 1987. Ich weiß, wie es ist, nach Russland oder nach Jerusalem zu reisen. Ich kenne die Gefahr, die von diesen Konflikten ausgeht, weil sie ideologisch begründet sind. Aber wenn man sein Herz mit Licht erfüllt, bringt man Harmonie auf beide Seiten. So wie es Desmond Tutu, Mutter Theresa und der Dalai Lama getan haben. Manche Menschen kommen auf diesen Planeten, um Einheit und Harmonie zu bringen. Damit kann ich mich als Musiker identifizieren. Ich bin Bob Marley, ich bin John Lennon und Bob Dylan. „One Love“, ‚Imagine‘ und ‚Blowing in the Wind‘, das lebe ich.

Kultur Joker: Miles Davis und Sie haben nur eine einzige Session zusammen gespielt.

Santana: Ja, aber diese Session war anders. Wir haben sie 1990 für unseren Freund Paolo Rustichelli gespielt. Er hatte Songs für Miles Davis, für Wayne Shorter, Herbie Hancock und auch für mich geschrieben. Fünf davon sind auf meinem neuen Album zu hören.

Kultur Joker: Mit Miles Davis Sie sind auch einmal live aufgetreten, bei einem Benefizkonzert für Amnesty International im Jahr 1986. Wie war das?

Santana: Ich habe damals dem Promoter Bill Graham gesagt: „Dieses Festival ist nichts ohne Miles Davis! Du musst ihn mit einbauen!“ So brachte Graham schließlich Miles dazu, Ja zu sagen. Als Gegenleistung dafür, dass ich ihn gebeten hatte, an dieser unglaublichen weltweiten Veranstaltung von Amnesty International teilzunehmen, erlaubte Miles mir, mit seiner Band aufzutreten. An diesem Tag spielte ich nacheinander mit Miles Davis, Ruben Blades und den Neville Brothers. Alles an einem Tag!

Kultur Joker: In Ihrer Band waren viele Musiker, die auch mit Miles Davis gespielt haben.

Santana: Ja, mein Bassist Benny Rietveld zum Beispiel hat lange Zeit mit Miles gespielt. Ich bin sehr, sehr dankbar, weil wir eine Familie sind. Ich habe auch ein Album namens „The Swing Of Delight“ mit Miles‘ legendären Sidemen Wayne Shorter, Herbie Hancock, Tony Williams und Ron Carter aufgenommen. Ich hatte zuerst Todesangst, Mann! Denn ich habe einen so großen Respekt vor diesen Musikern. Aber bei ihnen fühlte ich mich wie zu Hause und war völlig entspannt. Wenn du einfach aus deinem Herzen heraus spielst, wird es dir gut gehen.

Kultur Joker: Mit Eric Clapton und Derek Trucks wollen Sie jetzt ein neues Projekt gründen: Eric, Derek und der Mexikaner. Wann wird man von diesem Trio etwas hören können?

Santana: Eric und ich reden ständig darüber. Wir wollen Spaghettiwestern-Musik wie in „Spiel mir das Lied vom Tod“ machen. Ungefähr so wie Eric und ich es bei dem Song „The Calling“ auf meinem Album „Supernatural“ taten. Eric ist mein Bruder. Eines Tages werden wir eine Symphonie der Träume erschaffen. Ich habe ihm gesagt, dass dies nicht wie ein Banjo-Duell sein wird. Denn wir sind zwei Künstler, die den Himmel, die Erde, die Linke, die Rechte, das Drinnen und Draußen vervollständigen. Ich liebe Eric als Mensch und als Musiker. Wir werden Dinge erschaffen, die wir lieben.

Kultur Joker: „Coherence“ ist ein neues Lied mit Ihrer Frau Cindy Blackman Santana. Wenn Sie beide zusammen Musik machen, verfolgen Sie damit immer etwas zutiefst Spirituelles?

Santana: Ja. Jemand hat mir erzählt, dass Cindy zu mir geschickt wurde, um mir zu helfen, mein inneres Klosett zu reinigen. (lacht) Cindy und ich halten das Gespräch sauber, tiefgründig und bedeutungsvoll. Das ist kein dummer Scheiß. Auf und abseits der Bühne bringen wir uns gegenseitig nur reine, frische Blumen. Das sind keine Plastikblumen.

Kultur Joker: Wird Ihre Frau Sie bei der „Oneness“-Tour begleiten?

Santana: Ja, sie ist die Schlagzeugerin in unserer Band. Zwischen ihr, Paoli Mejias und Karl Perazzo gibt es eine Menge Energie.

Kultur Joker: Die „Oneness“-Tour ist sehr umfangreich. Wird es Ihre letzte Konzertreise dieser Größenordnung sein?

Santana: Ich weiß nicht, wann und wie ich aufhören werde. Denn ich bin immer daran interessiert, neue musikalische Szenarien zu erschaffen. Unter anderem schwebt mir ein globales Woodstock vor. Drei Tage – Freitag, Samstag und Sonntag – beginnend in San Francisco und dann um die ganze Welt mit Künstlern von überall her. Am Sonntag würden wir mit einer Sinfonie abschließen. Ich möchte es „Oneness“ nennen, nicht Woodstock. Das schwebt mir neben einem neuen Album vor. Ich plane auch ein eigenes Tonstudio. Es gibt eine Menge Dinge, die ich mit Freude tun möchte. Aber mehr als alles andere möchte ich in Ehren halten, was Wayne Shorter einmal sagte: „Sei glücklich und habe Spaß!“

Kultur Joker: Sie haben bis heute dutzende Platten veröffentlicht. Haben Sie für die „Oneness“-Tour eine Setlist zusammengestellt, die Ihrer gesamten Karriere gerecht wird?

Santana: Ja. Ich habe mir zwei, drei verschiedene Szenarien überlegt. Eines beginnt­ mit „Soul Sacrifice“, denn es ist sehr schwierig, eine Show nicht mit diesem Song zu starten. Er war schließlich ein Höhepunkt in Woodstock. Bei diesem Festival gab es für mich nur drei Bands, die von der Energie her wirklich wichtig waren: Jimi Hendrix, Sly & The Family Stone und Santana. Alle anderen waren auch wichtig, aber nicht so sehr für mich. Ich habe eine Setlist zusammengestellt, die gestern, heute und morgen würdigt, wenn wir nach Europa kommen.

Kultur Joker: Ist das Live-Spielen der wichtigste Teil Ihrer Arbeit?

Santana: Nein. Ich denke, die Studioarbeit ist auch sehr, sehr wichtig für mich. Beides ist wie Ein- und Ausatmen. Der Atem ist das Wichtigste. An diesem Punkt in meinem Leben besitzen das Studio und die Bühne denselben Stellenwert.

Kultur Joker: 1962 zogen Sie von Mexiko nach San Francisco. Wollten Sie der Armut in Ihrem Heimatland entkommen?

Santana: Als Kind wusste ich nichts über diese Dinge. Vielleicht haben sich meine Mutter und mein Vater damit beschäftigt, denn das ist es ja, was Eltern tun. Mir ging es mehr darum, einen Ort zu betreten, an dem Willie Mays, Roy Rogers und später B.B. King wirkten. Für mich bedeutete Amerika Disneyland. Ich wollte alle Rechte in Anspruch nehmen, Popcorn essen und Coca Cola trinken. Was gibt es Amerikanischeres als Coca Cola. Für mich war es ein soziales Experiment, diesen Teil von Amerika zu betreten. Und dann hing ich mit den Hippies ab. Ich respektiere, bewundere und ehre Amerika, das ein soziales Experiment ist. Ich identifiziere mich aber nicht mit irgendetwas, das brutal ist oder mit der Sklaverei. Die einzigen echten Amerikaner sind die Indigenen, denn sie waren vor allen anderen hier. Ich weiß also, was hier passiert. Ich weiß, wer zuerst salutiert.

Kultur Joker: Könnte man sagen, dass Sie den amerikanischen Traum leben?

Santana: Ich lebe eher den Welttraum. Der ist viel weiter gefasst als der amerikanische. Amerika ist nur eine Nation. Und die Welt ist das ganze Ding. Ich sage Ihnen, Mann, ich habe kein Problem damit, hier zu leben. Wenn ich die Vereinigten Staaten verlassen würde, würde ich weglaufen, mich verstecken, fliehen. Ich verlasse Amerika nur, wenn ich etwas finde, das viel besser zu meiner Seele passt. Wenn ich also jemals die USA verlassen würde, was ich nicht muss, würde ich hier auf Hawaii bleiben oder nach Neuseeland ziehen.

Kultur Joker: Herzlichen Dank für das offene Gespräch!

Im Rahmen der “Oneness Tour” tritt Santana u.a. am 28. Juni im Zürich-Hallenstadion sowie am 18. Juli auf dem Montreux Jazz Festival auf.

Bildquellen

  • Santana: © Roberto Finizio