„Herbert Maier. Wer wir sind“ – Ausstellung im Museum für Neue Kunst Freiburg

Eine Bestandsaufnahme des Menschlichen

Unter den Hunderten von Aquarellen findet sich auch ein Selbstporträt. „Wer sind wir (selbst)“, das in diesem Jahr entstanden ist, zeigt den Kopf Herbert Maiers, einen Querschnitt und einen Längsschnitt durch sein Gehirn. Die Augen geschlossen, über das Gesicht laufen Farbschlieren. Vielleicht tot, vielleicht während einer Messung der Gehirnaktivitäten. Denn irgendwo muss es ja sitzen, das Bildgedächtnis. Irgendwo muss es einen eigenen Ort geben für all das, was wir in unserem Leben jemals gesehen haben.

Herbert Maier jedenfalls kann es nicht für sich behalten. Die Aquarelle, die derzeit im Freiburger Museum für Neue Kunst unter dem Titel „Herbert Maier. wer wir sind“ zu sehen sind, das mit dieser Ausstellung seine Tradition lokalen Künstlern eine Plattform zu bieten, fortsetzt, sind eine schier maßlose Aneignung der sichtbaren Welt.

Maier setzt bei seinen Aquarellen, die alle von gleichem Format sind, dabei den menschlichen Maßstab an. Was er aquarelliert, hat auf die eine oder andere Weise mit dem Menschen zu tun. Meist sind es Kopien von Kunstwerken, manchmal sind die Vorlage Fotos oder Presseaufnahmen, oft malt er Skulpturen ab. Manchmal sind sogar abstrakte Arbeiten von Ellsworth Kelly darunter oder jenes merkwürdige Tier, das sich durch einen Blick in den Zettelkasten als Bärtierchen identifizieren lässt, das vor fünf Jahren in die Erdumlaufbahn zur Erforschung der menschlichen Diaskopie geschleust wurde. Nichts Menschliches ist Herbert Maier fremd.

Seine Ausstellung ist dabei vielleicht sogar so etwas wie ein produktives Missverständnis. Maiers visuelle Bibliothek ist nicht die Antwort auf das Zeitalter des Internets. Immer schon musste er sich die Welt aneignen. Auf seinen Reisen sind Skizzenbücher entstanden, die Vorlage zu Bildern wurden. Was abstrakt wirkt, hat oft eine ganz reale Entsprechung in der Wirklichkeit. So gesehen ist es nicht ungewöhnlich, dass der Charakter der neuen, 2010 begonnenen Serie figurativ ist. Bei Albert Baumgarten sind parallel zur Ausstellung „Herbert Maier. Wer wir sind“ Arbeiten aus den Jahren 1989 bis 2016 zu sehen: einige Werke aus der Serie der „Speicher“ und auch einige Beispiele aus der neuen Aquarellserie.

Der Vergleich zeigt, dass Herbert Maier seine Maltechnik auf die Papierarbeiten überträgt. Maier lässt die Bilder Schicht um Schicht entstehen. Der Titel „Speicher“ reflektiert die Seherfahrungen, das Material und die angewandte Zeit. Auch die Aquarelle sind Schicht um Schicht aufgebaut, am Ende überzieht er sie mit einer versiegelnden Schicht. Manche der Arbeiten, die im Museum für Neue Kunst ausgestellt werden, erinnern dadurch an Daguerreotypien. Tatsächlich wirken viele der Arbeiten, die ungerahmt auf einer Leiste präsentiert und durch einen Zettelkasten erschlossen werden, geradezu fotorealistisch.

Hörstationen stellen einige wenige der Motive vor. Er habe sie vom historischen Kontext entkleidet, ist dort vom Künstler zu hören. Man stelle sich einmal all die Geschichten vor, die diese Köpfe, Leiber oder Körperteile erzählen könnten. Was für eine Weltgeschichte von beredtem Schweigen diese Einzelschau vorstellt. Die Spiegelleiste, mit der die Präsentation im letzten Raum endet und in der der Betrachter sich selbst erblicken kann, mutet dagegen geradezu naiv an.

„Herbert Maier. Wer wir sind“, Museum für Neue Kunst Freiburg, Marienstr. 10a. Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr. Bis 26. Februar 2017.

„Herbert Maier“, Galerie Albert Baumgarten, Kartäuserstr. 32, Freiburg. Dienstag, Freitag 15 bis 19 Uhr, Mittwoch, Donnerstag 10 bis 12 und 15 bis 19 Uhr, Samstag 11-15 Uhr. Bis 22. Dezember 2016.

Annette Hoffmann