Gerade jetzt geht es um Zusammenhalt

Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer

Am 8. Mai hätte die Katholische Akademie eine Tagung zum Thema „Die Zukunft der Migrationsgesellschaft“ veranstaltet. Ein Thema, wie es aktueller nicht sein könnte, mit ExpertInnen wie Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer („Was hält die Gesellschaft zusammen“), Prof. Dr. Naika Foroutan („Die Postmigrantische Gesellschaft“), Prof. Dr. Regina Polak („Migration, Flucht und Religion“), Dr. Abdel-Hakim Ourghi („Ihr müsst kein Kopftuch tragen“), Björn Bicker („Was glaubt Ihr denn“) Tunay Önder („Migrantenstadl“) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Aufgrund der Corona-Krise entfällt die Tagung jedoch. An Gültigkeit verlieren ihre Fragestellungen aber mitnichten. Statt einer bloßen Veranstaltungsabsage also einige Überlegungen zur nötigen Fortdauer eines wichtigen Diskurses.
Wilhelm Heitmeyer, Soziologieprofessor an der Universität Bielefeld, hätte den Eröffnungsvortrag zur Tagung gehalten: „Was hält die moderne Gesellschaft zusammen?“ Gerade angesichts der aktuellen Krise bleibt seine Fragestellung im Raum. Besonders in Krisenzeiten zeigt sich unsere moderne Gesellschaft mit all ihren Konflikten, aber auch Integrationsmöglichkeiten. Heitmeyer betont, wie wichtig es ist, dabei einige neue Zusammenhänge zu erkennen, etwa „zwischen ökonomischen Faktoren mit veränderten Formen der Arbeitslosigkeit, die ohnehin mit der aufziehenden Digitalisierung anstehen. Damit geraten auch soziale Desintegrationsprozesse über Statusverluste und Abstiegsängste verstärkt in den Blick. Die kulturellen Faktoren drängen zur Aufmerksamkeit im Zuge der aufkommenden neuen Flüchtlingsbewegung im Kontext der bisherigen Migrationsgesellschaft. Schließlich sind es die politischen Konsequenzen, die sich im Zuge der Rechtsentwicklung in Deutschland und Europa mit großer Vehemenz stellen. Auch ist jede moderne Gesellschaft eine Konfliktgesellschaft. Ohne geregelte Konflikte ist kein friedlicher sozialer Wandel möglich.“

Josef Mackert

Gerade auch in Krisenzeiten ist es wichtig, Konflikte auszutragen, aber auch für alle Mitglieder der modernen, auch durch Migration geprägten Gesellschaft zu liefern. Denn soziale Desintegrationsprozesse drohen jederzeit, sind etwa mit Abstiegs-ängsten verbunden. „Diese Prozesse befördern Aggression und Gewalt, um Anerkennung zu erreichen. Zudem forcieren sie einen autoritären Nationalradikalismus, der in Parlamenten vertreten ist und auf eine homogene deutsche Gesellschaft hinarbeitet, also Integration der ursprünglichen Deutschen durch Ausgrenzung der ‚Anderen‘. Dies ist keine günstige Perspektive für die Migrationsgesellschaft.“ Auch die Corona-Krise wird deutlich auf die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft wirken. Umso wichtiger ist es, gerade in dieser Zeit weiter über ihre Grundlagen zu reflektieren.
Josef Mackert, Studienleiter für „Zukunftsfragen der Gesellschaft“ in der Katholischen Akademie und Leiter der ausgesetzten Tagung, sieht die Gefahr, dass ein kritisches Thema das andere verdrängt. „Spätestens nach den Anschlägen von Halle und Hanau muss auch dem Letzten klar sein, dass die Gestaltung unserer Migrationsgesellschaft eine der wichtigsten Zukunftsfragen für uns alle ist – für viele tatsächlich eine Frage, bei der es um Leben und Tod geht. Jetzt aber stehen wir vor der Situation, dass die Folgen der Corona-Pandemie alle gesellschaftlich nötigen Diskurse zum Verschwinden zu bringen drohen.“ Ein gesellschaftlicher Modus des Vergessens wäre jedoch fatal. Schließlich könne es neue Anschläge geben. Mackert versucht das Thema also im öffentlichen Diskurs zu halten. „Ich möchte dem Publikum in Freiburg die Statements der eingeladenen Gäste zum Thema zugänglich machen und vor Ort darüber im Gespräch bleiben.“ Noch ist offen, wie dies geschehen wird, Mackert ist jedoch bereits im Kontakt mit den ExpertInnen. „Versprechen kann ich, dass wir die Arbeit an einer guten Zukunft der Migrationsgesellschaft eher intensivieren werden.“
An anderer Stelle wirkt Josef Mackert bereits auf eine kritische Auseinandersetzung mit den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen hin. Im Rahmen eines Appels der
Initiative „Kultur macht reich“ plädiert er für einen „fürsorglichen Dialog“ mit den durch die Corona-Krise existenzgefährdeten freien KünstlerInnen Freiburgs. Die Corona-Krise macht deutlich, wie wichtig es bleibt, über die eigene Gesellschaft und die Wertschätzung aller ihrer Mitglieder zu reflektieren. Es ist wichtig, gerade jetzt zusammenzuhalten. Ein bloßes Aussitzen und Abwarten richtet Schäden an, die wir vielleicht nicht abschätzen können, die uns dafür aber umso plötzlicher treffen werden.
Weitere Infos zur Initiative „Kultur macht reich“: www.kulturmachtreich.net

Bildquellen

  • ensemble recherche: promo
  • EP12_Portugal_Atlantica_Wodan: Atlantik im Europa Park
  • Josef Mackert: Michael Bamberger