Im Gespräch: Funny van Dannen, Sänger und Gitarrist

Barde mit Botschaft

Funny van Dannen gilt als Deutschlands bester Barde – spätestens seit Udo Lindenberg und die Toten Hosen seine Songs aufnehmen. Der 58-jährige Wahlberliner mit der glockenklaren Ministrantenstimme wurde sogar als „Bob Dylan fürs neue Jahrtausend“ bezeichnet. Und dass, obwohl seine skurrilen Songs selten über drei Oktaven hinaus gehen und der Gesang bei ihm nicht notwendigerweise mit der Melodie harmonieren muss. Auch das aktuelle Album „Come On – Live im Lido“ deckt wieder ein breites Spektrum ab: von traurigen Dramen und ironischen Politsongs bis hin zu absurden Alltagsgeschichten und Blödeleien. Olaf Neumann sprach mit Funny van Dannen alias Franz-Josef Hagmanns in Berlin über Nationalgefühle und Homoerotik im Fußball.

Kultur Joker: „Er brachte sich das Singen bei wie eine Wunde“, heißt es in Ihrem Album. Hat das tatsächlich jemand über Sie geschrieben?

Funny van Dannen: (lacht) Das habe ich erfunden, das hat keiner geschrieben. Aber es wäre doch schön gewesen!

Kultur Joker: Welches Verhältnis haben Sie zu Ihrer Stimme?

Van Dannen: Wenn man sich das erste Mal selbst hört, kann man sich nur schlecht daran gewöhnen und denkt immer: Bin ich das tatsächlich? Aber mit der Zeit findet man sich mit dem ab, was man hat. Es mag Leute geben, die ihre eigene Stimme besonders toll finden, aber ich gehöre nicht dazu. Ich habe dazu eher ein neutrales Verhältnis.

Kultur Joker: Es heißt, man müsse sich als Künstler zuerst selbst lieben können, um zurückgeliebt zu werden.

Van Dannen: Es steht nirgendwo geschrieben, dass man sich selbst lieben beziehungsweise seine Stimme ganz toll finden muss. Meine Stimme ist einfach so wie sie ist.

Kultur Joker: Warum machen Sie Musik?

Van Dannen: Ich habe mich schon immer durch Musik und Bildende Kunst ausgedrückt. Das ist auch ein gewisser Zwang. Ich muss aufpassen, dass ich diesem Druck nicht immer nachgebe. Aus Jux und Dollerei habe ich sogar schon mal Tanzmusik gemacht.

Kultur Joker: Ihr Album „Come On – Live im Lido“ enthält ausschließlich neue Stücke, die Sie vor Publikum aufgenommen haben. Was spricht gegen Studioproduktionen?

Van Dannen: Studio-CDs sind bei mir eher die Ausnahme. Das hat sich so ergeben. Meine erste CD wurde live aufgenommen – und kam gut an. Da haben wir die zweite auch live aufgenommen. Die dritte war dann eine Studioproduktion. Und dann hieß es, die sei nicht so gut. Machen wir also wieder eine Live-Platte! Das hat sich bis heute so fortgesetzt. Es ist immer ein tolles Gefühl, Lieder zum ersten Mal vor Publikum zu spielen. Man weiß nie, wie sie ankommen.

Kultur Joker: Was gab Anlass zu dem Lied „Wir Deutschen“?

Van Dannen: Das war die Aufregung und Hysterie um die Flüchtlingsdebatte. Das ganze Nationalthema, das da wieder aufkam: Was ist deutsch? Was gehört zu uns? Im Zuge dessen wollte ich das, was ich in dem älteren Lied „Vaterland“ schon einmal besungen habe, auf den aktuellen Stand bringen. Mir war wichtig, dieses ganze hysterische Gedöns etwas zu entdramatisieren. Die Leute tun ja so, als würde das Wohl und Weh von Deutschland von ein paar tausend Flüchtlingen abhängen.

Kultur Joker: Sind Sie stolz, ein Deutscher zu sein, der „Flüchtlinge rein lässt und auf erneuerbare Energien setzt“?

Van Dannen: Ich bin auf gar nichts stolz. Dieses Gefühl ist mir völlig fremd. Deutsche sollten überhaupt den Mund halten, wenn es um Stolz geht. Was wir der Welt angetan haben, reicht dafür, dass wir mindestens 100 Jahre die Fresse halten. Im Zweiten Weltkrieg sind allein 27 Millionen Russen ums Leben gekommen. Wie viel Leid und Elend hängt daran! Sich dann hinzustellen und zu sagen: Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein, ist einfach nur dumm. Wir sollten demütig und froh sein, dass die restliche Welt uns noch freundlich begegnet. Aber natürlich dürfen wir selbstbewusst sein, was unsere Errungenschaften und gesellschaftlichen Leistungen anbelangt. Das ist ja alles prima. Deutschland ist ein guter Ort zum Leben. Ich bin zwar realistischer geworden, aber ich setze immer noch auf die guten Kräfte der Menschheit.

Kultur Joker: Hätten Sie je damit gerechnet, dass der Nationalismus so geballt zurückkehren würde?

Van Dannen: Nein, das hätte ich nie gedacht. Aber das hat natürlich auch seinen Grund. Die Leute, die von der Leistungsgesellschaft ausgeschlossen werden, sind zum Teil sehr frustriert, das hat auch etwas mit unserem System zu tun. Da stauen sich Frust und Aggressionen auf. Und der Nationalismus ist dafür ein Ventil, damals wie heute. Manchmal stelle ich sogar bei mir selbst Ressentiments und Unzufriedenheit fest.

Kultur Joker: Die rechtspopulistische AfD ist auf dem Vormarsch. Was ist das Problem der etablierten Parteien?

Van Dannen: Wir bräuchten viel mehr Leute mit Ausstrahlung. Die fehlen heute. Oft hängt es an einzelnen Typen, die ganz viel Positives ausrichten können. Die eine klare Meinung und ethische Grundsätze haben und nicht immer nur auf Umfrageergebnisse schielen. Unsere Politiker haben nicht die Klasse, die sie eigentlich haben sollten. Wirklich fähige Leute gehen lieber in andere Bereiche, wo mehr Geld zu verdienen ist. Wieso gibt es heute so wenig Idealismus? Ich glaube, Wohlstand verdirbt uns ein Stück weit.

Kultur Joker: In dem ironischen Lied „Der Albtraum“ besingen Sie einen Traum, in dem Sie Wolfgang Schäuble verprügeln. Ist das versteckte Kritik am Kapitalismus?

Van Dannen: Ja schon. In dem Lied geht es um dieses Gefühl der Ohnmacht. Es passieren Sachen, die viele Leute nicht okay finden, die aber einfach durchgedrückt werden von denjenigen an den Hebeln.

Kultur Joker: Was macht den Kapitalismus genau aus?

Van Dannen: Dieses Systematische. Er durchdringt wirklich alle Lebensbereiche. Auch wenn man denkt, das hat gar nichts mehr mit Kapitalismus zu tun, ist man trotzdem in ihm drin. Er durchdringt sogar die psychischen Verästelungen und Feinheiten des Lebens. Das macht ihn so gefährlich.

Kultur Joker: Gibt es noch Hoffnung auf Veränderung oder sind wir schon hoffnungslos im Kapitalismus versunken?

Van Dannen: Solange Menschen sich ein besseres System vorstellen können und sich gegen den Kapitalismus wehren und sich ihre Freiheiten nehmen, gibt es immer Hoffnung. Auch für den Kapitalismus wird irgendwann die Zeit abgelaufen sein. Keiner kann überblicken, wann es Zeit wird für ein neues Wirtschafts- oder Gesellschaftssystem. Aber der Kapitalismus hat auch gute Aspekte: Leistungsbereitschaft und Leistungssteigerung sind per se nichts Schlechtes. Man muss aber abschätzen können, wann etwas ins Negative kippt.

Kultur Joker: Auf dem Album stellen Sie die provokante Frage, ob das Geheimnis von Fußball latente Homosexualität sei. Haben Sie keine Angst vor einem Shitstorm?

Van Dannen: (lacht) Das ist mir völlig egal! Mich nervt schon lange, dass so ein Gedöns gemacht wird um schwul oder nicht schwul. Welchen vernünftigen Menschen interessiert es, ob in der Nationalmannschaft ein schwuler ist oder zehn? Das ist doch völlig unerheblich. Es geht doch nur darum, dass sie gut Fußball spielen. Dieses Versteckspiel ist unsäglich. Wir leben im Jahr 2017, da müsste es doch möglich sein, in einem Land wie Deutschland eine andere Einstellung zu haben, die nicht von diesen Deppen dominiert wird, die da auf den Rängen dämliche Parolen grölen.

Kultur Joker: Wie erklären Sie sich die Homophobie dieser Tage?

Van Dannen: Das ist ähnlich wie beim Nationalismus: Man kann darüber Dampf ablassen. Man hat einen Sündenbock, man kann auf Leute, die irgendwie anders sind, herabschauen und seinen Hass ablassen. Deshalb wird sich auch so schnell kein Fußballer outen. Dafür habe ich auch Verständnis.

Kultur Joker: Glauben Sie eigentlich wirklich, dass der Fußball wegen der latenten Homosexualität so attraktiv ist?

Van Dannen: Ich finde, da ist schon was dran. Ich sehe das nicht nur ironisch, um Leute zu ärgern. Der Sport bei den alten Griechen hatte ja auch eine homoerotische Komponente. Beim Sport ist immer auch eine Erotik mit im Spiel. Man muss nicht homosexuell sein, um auch mal einen schönen männlichen Körper in der Bewegung attraktiv zu finden. Das sind fließende Übergänge.

Kultur Joker: Trotz einer oftmals ernsten Thematik schwingt in Ihren Liedern immer Ironie mit. Geht es bei Ihnen nicht ohne?

Van Dannen: Das ist bei mir eine Frage der Persönlichkeit. Ich mache auch im Alltag gerne mal ein Witzchen. Ich versuche, Dinge leicht zu nehmen, die nicht so leicht zu nehmen sind. Vielleicht übertreibe ich damit auch manchmal.

Kultur Joker: In „Militärisch-industrieller Komplex“ drücken Sie Ihre Abneigung gegenüber dem Militär aus. Was hat Sie zu einem Pazifisten gemacht?

Van Dannen: Ich bin generell ein friedliebender Typ. Gewalt hat mich schon immer abgeschreckt. Leider Gottes braucht man zu jeder Gewalt gleich eine Gegengewalt. Aber grundsätzlich findet wahrscheinlich jeder vernünftige Mensch ein Leben ohne gewalttätige Auseinandersetzungen schöner. Schon als Kind hatte ich ein komisches Gefühl, wenn ich Soldaten gesehen habe. Und später lösten die Grenzer, die ich in Kreuzberg dies- und jenseits der Mauer gesehen habe, ungute Gefühle in mir aus. Obwohl ich nicht persönlich bedroht war.

Kultur Joker: Gibt es eine Alternative zu einer Armee?

Van Dannen: So wie die Welt ist, gibt es momentan keine Alternative zu einer Armee. Die Menschen sind leider nicht so, dass es ginge. Diese Ambivalenzen muss man aushalten können. In einer Demokratie muss dann halt darüber abgestimmt werden, wo Einsätze sinnvoll sind und wo man besser wegbleibt. Gottseidank hat Gerhard Schröder damals gegen einen Irakeinsatz gestimmt. Aber andere Militäreinsätze sind bestimmt auch sinnvoll.

Am 17. Februar wird Funny van Dannen im Rahmen seiner „Come on Tour“ auch im Freiburger Jazzhaus zu Gast sein. Tickets: www.funny-van-dannen.tickets.de