Der Fluch der guten Tat: Bazon Brock zur gegenwärtigen Frage, wie man die Kunst erledigt

Die Kunstakademie Karlsruhe begrüßt am 25. Oktober, 19 Uhr den emeritierteren Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Bergischen Universität Wuppertal, „Denker im Dienst“, „Künstler ohne Werk“ und Kunsttheoretiker Bazon Brock zu dem Vortrag „Der Fluch der guten Tat“.
Der deutsche Aberwitz zitiert gern eine altgriechische Weisheit: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge!“ Gemeint ist bei Heraklit aber nicht der Krieg, sondern das Streiten, das Polemisieren, das Pointieren von Behauptung und Gegenbehauptung. Polemosophie ist also augenöffnende Polemik. Wie weit die Deutschen von der griechischen Autorität entfernt sind, sieht man daran, dass von allen Halbgebildeten „Polemik“ als abwertender Begriff gebraucht wird. Die Summe aus den Kasseler Gegebenheiten und der hochmögenden Kunstkritik in den deutschen Feuilletons wird wohl bei allen, die es überhaupt noch der Mühe wert finden, den Eindruck verstärken, dass die Disneylands in Paris oder Florida mehr zu bieten haben als die zu Ende gegangene Documenta in Kassel, und auch, dass diese Kunstkritiker durch ihre leider oft kenntnislose Gleichsetzung von Kunst und Kultur die Garantien aus Paragraf 5.3 GG (Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung) missbraucht haben, um die Künstler und Wissenschaftler als Kulturagenten zu verpflichten. Die Methode ist in Deutschland gut bekannt. Alle Feinde der Demokratie sind seit eh und je raffiniert genug, sich rechtsstaatlicher Freiheitsgarantien zu bedienen, um dann die Demokratie zu erledigen.
Paragraf 5.3 des Grundgesetzes stellt ausdrücklich Künstler und Wissenschaftler mit ihren Arbeitsresultaten „frei“, will sagen, dieser Paragraf entzieht sie der Zensur kultureller Kollektive, und damit auch und vor allem fundamentalistischen Absolutheitsansprüchen von Religionen und Weltanschauungen. Wenn man, wie heute gedankenfaul oder in vollster Absicht, Kunst und Wissenschaft für kulturelle Tätigkeiten hält, also Kunst- und Kulturträger nicht strikt unterscheidet (so betonte immer wieder Gottfried Benn), liest man Paragraf 5.3 GG gegensinnig als: Freiheit von Kulturkollektiven. So glauben viele heutzutage ernsthaft, im Namen von Identitätsansprüchen künstlerische und wissenschaftliche Arbeitsresultate zensieren zu dürfen oder gar zu müssen. Die Radikalität der Auseinandersetzung nimmt erheblich zu, wenn wir auf der diesjährigen Documenta die überaus schlichten Kulturleistungen, die vom Kuratorenkollektiv Ruangrupa vorgestellt werden, als Kunst präsentiert bekommen. Wenn wir uns dagegen jetzt nicht verwahren, wird es keine nächste Documenta geben, denn dann haben die Kulturen der Welt endgültig die Macht über die Künste und die Wissenschaften zurückerobert.

Bildquellen

  • Bazon Brock: Foto: Norbert Miguletz