Rossinis Oper „La Cenerentola“ am Theater Basel glänzt vor allem musikalisch

Brillante Koloraturen vor schwarzen Blumen

Für Gioachino Rossinis 1817 in Rom uraufgeführte Oper „La Cenerentola“ verzichtete Librettist Jacopo Ferretti ganz bewusst auf die märchenhaften Elemente, um die Geschichte von der unterdrückten Stieftochter direkter, grotesker und dunkler zu erzählen. Es gibt also keinen Zauberbaum und keine Tauben, die beim Auslesen der Linsen helfen.

Sarah Brady, Anastasia Bickel und Andrew Murphy in Rossinis La Cenerentola am Theater Basel. ©Priska Ketterer
Sarah Brady, Anastasia Bickel und Andrew Murphy in Rossinis La Cenerentola am Theater Basel. (© Priska Ketterer)

Am Theater Basel interessiert sich der italienische Regisseur Antonio Latella allerdings nicht für sozialkritischen Realismus, sondern macht aus den Charakteren Karikaturen. Statt einer Milieustudie oder einem Sozialdrama erlebt man eine mal überspitzte, mal rätselhafte Komödie ohne Tiefgang. Die Kostüme und Puppen von Graziella Pepe lassen sich nicht klar verorten. Wie überhaupt manches Szenische in der Schwebe bleibt, was dem musikalisch herausragenden Abend aber auch nicht schadet.

Die Basis für diese „Cenerentola“ wird im Orchestergraben gelegt. Das Sinfonieorchester Basel entwickelt unter Daniele Squeo einen durchsichtigen, eleganten, federnden Rossini-Klang, der große Sogwirkung entfaltet. Ein Rädchen greift ins andere – die rhythmische Präzision ist bestechend.

Auch die Klangfarben wählt Squeo mit Bedacht. Heiser klingen die Streicher, wenn sie zu Beginn eines großen Orchestercrescendos nah am Steg spielen, bevor die Maschine nach und nach an Fahrt gewinnt. Mechanisch wirken die lang anlegten Steigerungen und plötzlichen Beschleunigungen aber nie – der Dirigent lässt Orchester und Solisten an der langen Leine. Und wenn doch einmal ein Sänger davoneilt wie Andrew Murphy als großartig prolliger Don Magnifico, dann fängt er ihn mit wenigen deutlichen Dirigierbewegungen wieder ein.

Überhaupt lässt das Orchester den vorzüglichen Solisten Raum zum Atmen. Die Brillanz des Canto fiorito, des verzierten Gesangs spiegelt sich in den Trillern der Piccoloflöte und den al dente gespielten Läufen der Streicher. Mit der russischen Mezzosopranistin Vasilisa Berzhanskaya hat die Produktion eine Angelina der Extraklasse zu bieten. Schon bei ihrer ersten Kavatina „Una volta c‘era un Re“ (Es war einmal ein König) berührt dieses Aschenputtel in Slip und Unterhemd mit seinem in der Tiefe dunkel schimmernden, in der Höhe schwerelosen Gesang. Diese Angelina ist kein Heimchen am Herd, sondern von Beginn an das emotionale Zentrum der Oper und die einzige Figur, die von der Regie nicht überzeichnet wird.

Die beiden Schwestern Clorinda (Sarah Brady) und Tisbe (Anastasia Bickel), beide Mitglieder im Basler Opernstudio OperAvenir, verbreiten mit ihren Turmfrisuren und wendigen Melodielinien Zickenalarm. Das Basler Urgestein Andrew Murphy macht aus dem Vater Don Magnifico einen selbstgefälligen Unterschichtentyrann mit Haudrauf-Charme und schlechtem Geschmack.

Den Philosophen Alidoro (Tassos Apostolou) sieht der Regisseur als autistischen Spielleiter, der fast die ganze Zeit auf der Bühne ist, das Geschehen aus der Distanz betrachtet und sich vielleicht wie mancher Zuhörer überlegt, was die palmengroßen schwarzen Blumen in der Bühnenmitte bedeuten (Bühne: Antonella Bersani). Auch die gesichtslosen, wulstigen Puppen, die die Akteure umgeschnallt haben, bleiben rätselhaft, zumal sie zur bloßen Dekoration verkommen (Choreinstudierung: Michael Clark). Leben haucht die Regie ihnen nicht ein.

Dass der Prinz Ramiro (Juan José de León) und sein Kammerdiener Dandini (Vittorio Prato) in Basel ein schwules Pärchen sind, ist auch nicht mehr als ein Gag. Als sich Ramiro in Angelina verliebt, schmeißt sich Dandini vor lauter Kränkung an Don Magnifico ran, der mit der plötzlichen homoerotischen Zuneigung überfordert ist.

Aber die Solisten machen das Beste aus der plakativen Personenführung. Juan José de León ist ein eleganter, höhensicherer Tenore di grazia, wie man ihn in dieser Brillanz selten hört. Tassos Apostolou hat nicht nur einen beweglichen, immer sonoren Bariton, sondern beweist als verkleideter Prinz und enttäuschter Liebhaber auch großes komödiantisches Talent.

Am Ende verstummt das von Dirigent Daniele Squeo erhitzte, herrlich durchgeknallte Geschnatter der Akteure, wenn Vasilisa Berzhanskaya bei Angelinas letzter Arie „Nacqui all‘affano e al pianto… Non piú mesta“ (Ich wurde geboren in Leid und Tränen… Nicht mehr traurig) ihren großen Auftritt hat. Leichtgängige Koloraturen treffen auf spektakuläre Sprünge und wunderbare Legatolinien.

Die nächsten Vorstellungen: 14./17./22.1., 2./11.2., Karten: www.theater-basel.ch und tel. 0041 61 295 11 33.

Georg Rudiger