Ausstellung: „Otto Dix und der Isenheimer Altar“ im Musée Unterlinden in Colmar

Traumata von Krieg und Gefangenschaft

Eine Sonderschau im Musée Unterlinden in Colmar widmet sich derzeit dem Einfluss, den der Isenheimer Altar auf das Werk von Otto Dix (1891–1969) hatte. Gezeigt werden mehr als hundert Exponate, bekannte und unbekannte, Gemälde, Zeichnungen und Grafiken; hinzu kommt Archivmaterial wie Fotografien, Briefe, Bücher, Zeitungen. Das Musée Unterlinden selbst besitzt die bedeutendste Werkgruppe von Otto Dix in Frankreich und konnte zudem wichtige Leihgaben erhalten, sogar vom Vatikanischen Museum.

Der Isenheimer Altar ist ein bemerkenswertes Kultobjekt, das ursprünglich im Hospital-Orden der Antoniter die Heilung Kranker unterstützen sollte, entstanden zu Beginn des 16. Jahrhunderts in der Werkstatt des Bildschnitzers Niklaus von Hagnau im Elsass und ausgeführt von einem Maler namens Grünewald, dessen Biographie rätselhaft bleibt. Wahrscheinlich hieß er Mathis G. Nithard und wurde um 1480 in Würzburg geboren; er scheint zu jenen gebildeten Persönlichkeiten zu gehören, die sich zur Zeit der Renaissance gerne im humanistisch geprägten Elsass betätigten. Seit der Annexion des Elsass 1871 durch das Deutsche Reich wurde der Isenheimer Altar zunehmend berühmt, gar zur „deutschen Kunst“ und später zum „Vorläufer des Expressionismus“ verklärt; nicht nur Dix, sondern auch Beckmann, Heckel, Nolde und Wollheim diente er als Inspirationsquelle. Im Zuge des Ersten Weltkriegs wird der Altar 1917 nach München in die Alte Pinakothek verbracht und zieht große Besucherscharen an; im Zweiten Weltkrieg wird er erneut zur Trophäe der Deutschen.

Otto Dix nun, der sich zeitlebens von Motiven des Altars angeregt sieht, hatte sich freiwillig zum Ersten Weltkrieg gemeldet, und dessen Gräuel lassen ihn danach nicht mehr los; dafür stehen Bilder wie „Schützengraben“ (1923), der Graphik-Zyklus „Der Krieg“ (1924) und das Triptychon „Der Krieg“ (1929-1932). Dix hat sich dabei an der Maltechnik des alten Meisters orientiert sowie an dessen Darstellungen von Himmel, Astwerk und Heiligen. Um 1920 entwickelt sich Dix vom Expressiven zur Neuen Sachlichkeit, er zeichnet Armut, Kriegselend, veristische Porträts und parodiert in seinem Triptychon „Großstadt“ die „goldenen“ Zwanziger Jahre. Obwohl seine Bilder keineswegs agitatorisch angelegt sind, wurde ihnen „Wehrsabotage“ vorgeworfen; in der Tat bezieht sich Dix mit diesen mehrfach auf den Schriftsteller Henri Barbusse (1873-1935), der in seinem Roman „Le Feu“ die Schrecken der Westfront geschildert hatte – und hoffte: „Nach diesem Krieg darf es keinen Krieg mehr geben.“ Noch Dix‘ Gemälde “Flandern“ (1934-36) nennt im Titel Barbusse, dessen Literatur in NS-Deutschland, das auch Dix bereits als „entartet“ eingestuft hatte, mittlerweile verboten war. Barbusse hatte 1919 mit Romain Rolland (Literatur Nobelpreis 1915) die „Clarté-Bewegung“ ins Leben gerufen, eine Friedensinitiative, der sich u.a. Anatole France, Jules Romains und Heinrich Mann anschlossen; diese bemühte sich auch um deutsch-französische Verständigung, während nationalistische Propaganda im Deutschen Reich bereits zum Zweiten Weltkrieg anheizte.

Als sich Dix 1933 verfemt sah, viele Bilder und sein Lehramt in Dresden beschlagnahmt waren, zieht er sich nach Hemmenhofen am Bodensee zurück. Er malt Landschaften und nutzt biblische Themen als Deckmantel für die Ablehnung der NS-Herrschaft, wobei seine oft grelle Farbpalette, prononcierte Hell-Dunkel-Kontraste und eine religiöse Ikonographie wiederum auf den Isenheimer Altar weisen. Kurz vor Kriegsende eingezogen, gerät Otto Dix schließlich in ein Gefangenenlager der Alliierten in Colmar; doch er darf dieses teils verlassen und im Atelier des Malers Robert Gall (1904-1974) arbeiten. Als der Isenheimer Altar im Juli 1945 in das Musée Unterlinden zurückkehrt, setzt sich Dix nun vor Ort damit auseinander; u.a. malt er das Triptychon „Madonna vor Stacheldraht“. Unter Rückgriff auf Grüne­wald verarbeitet er bis an sein Lebensende die Traumata von Krieg und Gefangenschaft (hingewiesen sei noch auf eine derzeitige Schau im Kunstmuseum Singen, die Aspekte des Themas beleuchtet). Zur Ausstellung in Colmar ist ein Katalog erschienen.

Musée Unterlinden. Colmar. Mo, Mi bis So 9 bis 18h, Do 10-20h, Di geschlossen. Bis 30. Januar 2017

Cornelia Frenkel