Gut genuschelt, Udo!

Im Gespräch: Udo Lindenberg, 64, Panikrocker und seine Lebensgefährtin Tine Acke, 33

Udo Lindenberg sieht aus wie einer, der Udo Lindenberg parodiert: auffällige Sonnenbrille, markante Lippen und der obligatorische Hut, unter dem das Haar strohig hervorlugt. Olaf Neumann traf den Panikrocker (64) nebst seiner Lebensgefährtin Tine Acke (33) im Atlantic Hotel in Hamburg. Sie sprachen über den opulenten Fotoband „Stark wie Zwei 2007-2010“ und das Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“ (Premiere: 13. Januar 2011). Das Musical erzählt mit den großen Hits des Sängers ein Stück deutsch-deutscher Geschichte

 

Kultur Joker: Herr Lindenberg, Ihre Sangeskarriere dauert nun schon fast 40 Jahre an. Seitdem sind Sie fast zu Tode fotografiert worden. Lassen Sie Fotografen noch gerne an sich ran?

Udo Lindenberg: Ja. Vor allem, wenn es so unauffällig passiert wie bei Tine. Sie ist eine Schattenfrau, sie schießt aus der Hüfte. Plötzlich wirst du voll getroffen. Keine Inszenierung mehr, keine Riesenleiter, keine Lampen. Ich lass mich heute mehr nebenbei fotografieren.

Kultur Joker: Frau Acke, für den Bildband „Stark wie Zwei 2007-2010“ haben Sie den Entstehungsprozess des gleichnamigen Albums dokumentiert. Udo Lindenberg nennt Sie seine „Schattenfotografin“. Was ist Ihr Trick?

Tine Acke: Als Fotografin sehe ich ihn am liebsten mysteriös und geheimnisvoll. Als Schattenfigur. Udo hat mir gezeigt, dass man Dinge auch kann, wenn man sie nicht herkömmlich gelernt hat. Udo ist ja auch kein klassischer Sänger. Ich bin ja Illustratorin. Das hat auch mit Fotografie zu tun.

Lindenberg: Als Fotografin hat sie keinen akademischen Hintergrund. Tine ist ein Naturtalent. In diesem Buch geht es aber nicht nur um mich, sondern um die Dokumentation des gesamten „Stark wie Zwei“-Projektes, des Albums, der Show und den Begegnungen. Die tollen vier Jahre von der Platte bis hin zum Rockliner. Deshalb ist es auch ein eher schönes Buch. Es gab sicher auch mal Zeiten, bei denen ich wie Bukowski unterm Tisch lag. Aber die wollte ich nicht zeigen. Es ist ein Comeback-Buch. Etwas zum Abfeiern.

Kultur Joker: Die Jahre vor 2007 werden in dem Buch mit Attributen wie „Selbstzweifel“, „Lethargie“ und „Whiskey“ versehen. Wie nahe stand Udo Lindenberg am Abgrund?

Lindenberg: Es gibt zwar auch Fotos aus dieser Phase, aber die kommen vielleicht später mal raus. In meinen 50ern hatte ich ziemliche Selbstzweifel. Ich fragte mich: „Wie kriege ich die Kurve von einem eher jugendbetonten Gummihosenkasper zu einem würdevollen Rock-Chansonier?“ Wollte ich in die Rolle von großen alten Jazzern reinwachsen oder so werden wie Yves Montand oder Charles Aznavour? Im Rock’n’Roll gibt es wenige Figuren, an denen du dich orientieren kannst. Es gibt Mick Jagger, David Bowie oder noch Bob Dylan. Viele Musiker bauen im Alter entweder ab oder hören total auf. Aber bei mir war mit Mitte 50 kein Ende abzusehen. Wie sollte ich also in meine 60er oder 70er Jahre reinwachsen? Da ich diesen Weg nicht nüchtern gesucht habe, sondern in Verbindung mit Alk und sonstigen Drogen, gibt es aus dieser Zeit logischerweise ein paar ziemlich harte Fotos. Die haben hier nicht reingehört, weil es eine Art Geburtstagsbuch ist.

Kultur Joker: Sie haben viele Berater an Ihrer Seite. Welche Rolle spielt dabei Tine Acke?

Acke: Ich bin seine härteste Kritikerin. Immer, wenn alle anderen ihn vollschleimen und sagen: toll gemacht, sage ich: hmm, mal überlegen. Ich glaube, ich bin von allen die Kritischste.

Lindenberg: Ich tausche mich zum Beispiel auch mit Annette Humpe aus, aber nicht so intensiv wie mit Tine. Wir hängen viel zusammen ab.

Kultur Joker: 2011 soll ein „MTV Unplugged“-Album erscheinen. Wie weit ist das Projekt fortgeschritten?

Lindenberg: Die Aufnahmen wollen wir im Mai machen. Eventuell auf einem Schiff oder in einem Hotel. Mal gucken. Mit alten Songs, die kaum noch jemand kennt, und komplett neuen. Die Themen sollen eine Überraschung bleiben. Zur Tagespolitik werde ich mich in meinen Songs eher nicht äußern. Früher war das anders. Da habe ich zuweilen Leitartikel aus dem Spiegel oder der Zeit vertont.

Kultur Joker: Herr Lindenberg, welche Dinge bleiben Ihnen selbst verborgen, die Tine Acke aber sieht?

Lindenberg: Zum Beispiel Malereien am Himmel von New York. Ich sehe die nicht, weil ich meine Sonnenbrille trage oder den Hut weit runter gezogen habe. Tine ist ein Augen-Mensch, ich ein Denker-Mensch. Und ein Hörender.

Kultur Joker: Ihre Rock-Liner-Kreuzfahrten bieten mehr als nur ein Konzert. Was ist das für ein Konzept?

Lindenberg: Es gibt zum Beispiel Rock-History-Vorträge oder nie gesendetes Beatclub-Material von Jimi Hendrix oder The Who. Oder es flitzen irgendwelche Gitarristen auf die Bühne, die zeigen, wie Keith Richards 1973 seine Licks gespielt hat. Im Casino werden Carl Carlton und Pascal Kravetz Sessions spielen. Der ganze Kahn ist total auf Rock’n’Roll. Bei Landausflügen wollen wir unterwegs Bands aufsammeln und mit ihnen Sessions machen. Ein Dampfer der Völkerfreundschaft. So was hat es bisher noch nicht gegeben.

Kultur Joker: Reizt Sie das im Moment mehr als Konzerte in Hallen an Land?

Lindenberg: Ja. Gleichwohl weiß ich, dass wir diese Landkonzerte auch wieder machen müssen. Viele Leute können nicht auf den Rock-Liner mitkommen, weil er viel kostet. Aber wir haben auch Viererkabinen, die günstiger sind.

Kultur Joker: Jan Delay hat seine ersten musikalischen Schritte auf Ihrem alten Schlagzeug gemacht. Erkennen Sie den jungen Udo in ihm wieder?

Lindenberg: Jan hat meine Songs aufgesogen wie Alete-Kost. Heute ist er ein sehr guter Freund und Berater. Jans Meinung zählt. Hinsichtlich seiner Nasaltechnik und Phrasierung liegt zwischen ihm und mir eine leichte Verwandtschaft vor.

Kultur Joker: Käme Jan Delay für eine Rolle im Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“ infrage, das am 13. Januar in Berlin startet?

Lindenberg: Jan wäre mir vielleicht schon zu ähnlich. Wir haben jetzt jemanden gefunden, der sehr eigenständig ist. Er heißt Serkan, ist türkischer Herkunft und spricht die Sprache der Straße. Ein sehr guter Mann. In die Nuscheltechnik musste ich ihn nicht einweisen, die konnte er auch so schon. Eine Riesenbesetzung. Insgesamt haben wir drei Hauptdarsteller auf Standby, falls einer mal krank wird. Ich bin nicht bei jedem Casting persönlich dabei, ich vertraue Uli Waller und Thomas Brussig.

Kultur Joker: Thomas Brussig hat das Musical geschrieben, Uli Waller vom St.Pauli Theater führt Regie. Eine Ostalgie-Komödie?

Lindenberg: Nein. Es ist eine wahrhaftige Geschichte, wie ich es auch in meinen Songs überwiegend gemacht habe, die von deutsch-deutschem Leben erzählen. Aber sie beinhaltet auch Scherze. Themen wie Stasi, Inhaftierungen, Belehrungen, Flucht und Schießbefehl werden dabei nicht ausgespart. Das Stück ruft dazu auf, dass sich die Menschen aus dem Osten und dem Westen intensiver und sensibler begegnen.

Kultur Joker: Ein Stück für die ganze Familie oder nur eher etwas für echte Rock’n’Roller?

Lindenberg: Auf der Bühne stehen echte Brüllboxen mit ordentlichem Sound und reichlich Rock’n’Roll-Lampen. Unsere Stilistik eben. Tanzen wird auch nicht das Fernsehballett. Uli Waller arbeitet nicht mit den üblichen Musical-Attributen, er macht etwas sehr Spezielles. Eine Fusion von Theater à la Zadek, Musical und Rock’n’Roll. Wir werden zum Beispiel auch Konzertszenen haben.

Kultur Joker: In dem Musical werden Themen wie Stasi nicht ausgespart. Peter Maffays Stasi-Akte war 323 Seiten dick. Und Ihre?

Lindenberg: Über mich gibt es einen ein Meter hohen Packen Stasi-Akten. Die fliegen alle bei mir rum. Ich habe nicht alles, aber einiges gelesen. Ein Wunderwerk an Abstrusitäten. Ich habe die Dinger kommentiert, bemalt und upgeblowt. Sie werden auch Teil des geplanten Museums sein.

Kultur Joker: Peter Maffay wurde sogar im Westen ausspio-niert…

Lindenberg: Ich glaube, die haben damals den gleichen Spitzel auf mich angesetzt. Der Typ war zwei- oder dreimal bei mir. Dann habe ich ihn wieder nach Hause geschickt.

Kultur Joker: Im „Sonderzug nach Pankow“ verhohnepipelten Sie einst den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, 1987 kam es zu einer ziemlich angespannten Begegnung. Wie erinnern Sie das?

Lindenberg: Das war in Wuppertal. Ich habe ihm eine Gitarre überreicht: Gitarren statt Knarren. Mit dem Ding in den Flossen machte Honecker einen sehr bedröppelten Eindruck. Ein Steiftier von der ganz weggetretenen Sorte. Hon-ecker dachte, die Gitarre stand ihm nicht so gut und wollte sie gleich wieder weiterreichen. Ich sagte: „Herr Honecker, halten Sie sie doch mal für ein paar schöne Fotos“. Und ich fragte ihn: „Wann spielen wir mal wieder in der DDR?“ Seine Antwort: „Die FDJ will sich drum kümmern“. Den Rest der Story kennt man ja. Neulich habe ich Egon Krenz irgendwo am Flughafen getroffen und wollte von ihm wissen, ob er immer noch im Knast wohnt. Aber ich glaube, er ist schon wieder raus.

Kultur Joker: Seit langem möchten Sie Ihre Sammlung mit Bildern und Andenken aus vier Karriere-Jahrzehnten in Hamburg präsentieren. Haben Sie die leise Hoffnung, dass die Stadt Hamburg Ihnen beim Aufbau der „Panik-City behilflich ist?

Lindenberg: Ja und nein. Die haben den Kulturetat reichlich gekürzt und machen ganze Museen zu. Ob sie es hinkriegen, gleichzeitig ein neues aufzumachen, muss man sehen. Die „Panik City“ soll nicht komplett aus städtischen Mitteln finanziert werden, sondern nur die Umbauten. Die Investoren, die mitmachen würden, bräuchten die Unterstützung der Stadt als ein Zeichen. Mal gucken. Wenn es hier nicht stattfindet, dann in Berlin oder in einem anderen Bundesland. NRW zum Beispiel. Das dauert also noch zwei oder drei Wochen, aber kommen wird es auf jeden Fall.

Kultur Joker: Es gibt Gerüchte, dass Sie Hamburg den Rücken kehren und ins Grand Hyatt am Potsdamer Platz in Berlin ziehen wollen. Ist da etwas dran?

Lindenberg: Da, wo meine Sachen hingehen, wird auch mein Herz hingegen. Da ich sowieso gute Connection mit Berlin habe, kann es gut sein, dass ich dort mal lande. Aber im Moment ist alles noch offen.

Kultur Joker: 2002 haben Sie Wahlkampf für Gerhard Schröder gemacht. Er gilt als Ihr Busenfreund…

Lindenberg: Freundschaft muss man erleben. Da muss man sich öfter miteinander treffen und mehr miteinander zu tun haben. Ich sehe Gerhard Schröder aber nur ab und zu mal. Wir kommen gut mit einander klar, aber es gibt durchaus ein paar kritische Beobachtungen.

Kultur Joker: In dem Song „Hallo Angie (Das Merkel ich mir)“ stellten Sie die Kanzlerin augenzwinkernd als Ihren Fan dar. Ist Frau Merkel eine Rock’n’Rollerin?

Lindenberg: Das kann sie ja noch werden. Wunder gibt es immer wieder. Ich glaube, Angie kann mich immer noch nicht so richtig einordnen.

„Udo Lindenberg. Stark wie Zwei 2007-2010“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf, Hardcover im Großformat, 312 S. in Farbe, Euro 49,90.

Das Musical „Hinterm Horizont“ mit den Songs von Udo Lindenberg feiert am 13. Januar 2011 Weltpremiere im Theater am Potsdamer Platz in Berlin. Ticket-Hotline: 01805/4444

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