„Buxe voll“

Im Gespräch: Helge Schneider, geniales Allroundtalent

Wenn Helge Schneider auf George W. Bush macht und mit Cowboyhut und steifer Lederjacke zur dadaistischen „Fressekonperenz“ in Berlin lädt, sind Lachsalven garantiert. Wie nicht anders zu erwarten, nimmt der Musikclown aus Mülheim an der Ruhr das Motto seiner neuen Tournee “Buxe voll” wörtlich. Die viel zu weite Hose vollgestopft mit allerlei exotischen Instrumenten, entlarvt er Bundestagsdebatten als Parodien ihrer selbst und verspricht eine Nationalhymne für den Phantasie-Staat „U.S. OPA“. Olaf Neumann quetschte das Allroundtalent aus – über sein DVD-Debüt, seinen nächsten Roman und – den Tod.

Kultur Joker: Herr Schneider, Sie haben ein neues Programm erarbeitet. Was bedeutet das Tour-Motto „Buxe voll“?

Helge Schneider: Jeder denkt jetzt an „Hose voll“. Es könnte aber auch die Buchse vom Cinch-Stecker gemeint sein. Früher hieß das „chinesischer Stecker“, er kam nach dem so genannten Bananenstecker auf. Die Zeiten ändern sich – ich aber nicht. Es ist wieder Showtime für mich. Das Motto muss bei mir immer kurz und bündig sein. „Buxe voll“ war das, was meine 14 Autoren herausgefunden hatten. Ich habe verschiedene Instrumente dabei und will Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren motivieren, selber mal wieder Musik zu machen. Hätte ich selbst kein Instrument gelernt, wäre ich sicherlich Boxer oder Feldjäger geworden.

Kultur Joker: Sie haben sich eine Konzertpause von neun Monaten gegönnt. Was haben Sie währenddessen gemacht?

Schneider: Ich muss auch mal ausspannen und was anderes machen. Zum Beispiel, um meine Motorräder kümmern, Wiese schneiden, Basteln, Urlaub machen und Zeit mit den Kindern verbringen. Egal, wie viel Zeit man hat – es ist immer zu wenig. Ich will seit Jahren meinen Keller herrichten, dass ich da mal Tischtennis spielen kann. Ich fotografiere, zeichne und schreibe Bücher. Jetzt will ich meine erste DVD rausbringen – mit einem Auftritt aus Berlin.

Kultur Joker: Gemessen an Ihrer Live-Produktivität sind in den vergangenen Jahren erschreckend wenige Helge-Schneider-CDs veröffentlicht worden. Im Frühjahr 2010 erschien ein offizielles Bootleg, das es nur per Mailorder gibt. Wann wird es von Ihnen endlich neue Lieder geben?

Schneider: Ich würde gerne mal wieder eine Schallplatte machen. Aber es ist sehr schwer, Lieder wie „Telefonmann“, „Katzeklo“ oder „Meisenmann“ zu schreiben. Es ist vollkommen ausgeschlossen, etwas zu machen, das genauso ist. Ich müsste schon etwas völlig Neues erfinden. Schallplatten hin, Schallplatten her – mit der neuen DVD will ich den Leuten auch mal was zum Gucken bieten. Meine Konzerte muss man sehen und nicht nur hören. Letztes Jahr haben wir zwölf Tage in Berlin aufgenommen, von denen ich mir jetzt einen schönen ausgesucht habe. Im Laufe der Jahre habe ich ganz viel gefilmt. Es wird auch noch eine Rückblick-DVD mit alten Sachen geben. Die sind nicht so gut aufgenommen, aber das hat vielleicht größeren Reiz als zehn Kameras. Schon in den 80er Jahren habe ich die Kamera immer selber an die Seite gestellt. Den frühen Videokameras musste man die Einheit, wo das Band drin war, noch auf den Rücken schnallen. Bislang war ich immer zu faul, eine DVD zu machen. Ich gehe auch nur noch selten ins Studio, um Musik aufzunehmen. Ich trete am liebsten auf.

Kultur Joker: Wann sind Sie besonders gut in Form?

Schneider: Das ist völlig unberechenbar. Vielleicht, wenn ich mir die Haare vorher gewaschen habe – oder wenn sie ganz fettig sind. Es hat auch viel damit zu tun, wie man sich von innen heraus fühlt oder was man gerade noch so erlebt hat. Ich weiß es wirklich nicht.

Kultur Joker: Inwieweit hängt das Gelingen einer Show von Ihrer Band ab?

Schneider: Wenn ich gut bin, kann ich die Band mitreißen. Bin ich es nicht, dann ist sie auch nicht gut. Wir sind nicht unbedingt darauf getrimmt, die allerbeste Musik der Welt abzuliefern. Wenn man sich mal verspielt oder alles ein bisschen hausbacken klingt, dann passt das auch zu dem, was ich da mache.

Kultur Joker: Ihre neue Band heißt „Holzkopp“, besteht aber größtenteils aus altbekannten Leuten. Warum ist Superdrummer Pete York nicht mehr dabei?

Schneider: Pete macht jetzt erst mal eigene Projekte. Ich wollte auch mal einen anderen Rhythmusgeber haben. Auf der Bühne sind wir zu viert und ich spiele selbst wieder Klavier. Dadurch habe ich viel mehr Freiheiten.

Kultur Joker: Ihr neuer Schlagzeuger Willy Ketzer arbeitete mit Tom Jones, Liza Minnelli, José Carreras und Jerry Lewis. Er wurde mehrfach von der Fachpresse zum besten deutschen Big-Band-Schlagzeuger gewählt.

Schneider: Der Rhythmus ist bei unserer Musik das A und O. Sobald Du beim Rhythmus eine andere Atmosphäre hast, wird der Song ganz anders. Ich lege da großen Wert drauf, weil ich selber auch Schlagzeug spiele. Die dürfen auf keinen Fall schlechter sein als ich. Vor 20 Jahren habe ich mit Willy Ketzer im Duo gespielt. Schon damals fiel mir auf, dass der Junge Schneid hat.

Kultur Joker: Am 19. Mai soll Ihr neuer Roman „Satan Loco“ erscheinen. Haben Sie das Buch schon fertig geschrieben?

Schneider: Ich bin noch dabei. Wenn’s fertig ist, sage ich Bescheid. Deshalb ist die Verlagsankündigung auch ganz vage. Ob Kommissar Schneider darin auftreten wird, ist noch nicht raus. Mir macht es Spaß, einen Buchtitel anzukündigen und das eigentliche Werk dann erst zu schreiben. Aber dieser Punkt muss irgendwann auch kommen.

Kultur Joker: Was löst bei Ihnen die Inspiration aus?

Schneider: Sie kann umgekehrt auch ausgelöscht werden. Sobald ich merke, dass es keinen Spaß macht, lasse ich es wieder sein. Dann muss die Veröffentlichung halt geschoben werden. Um kreativ zu sein, brauche ich Freiheit. Wenn ich sehr eingebettet bin ins Familienleben oder eine Tournee, dann kann ich es nicht machen. Das ist wie bei einem Maler. Zur Kreativität gehört eine zweite Ebene der Freiheit. Man darf nicht gesagt bekommen, wann man etwas zu machen hat. Es muss von selber passieren. Aber auch das ist nicht hundertprozentig sicher. Bücherschreiben ist extrem. Es wird ganz stark beeinflusst von Kräften, die ich überhaupt nicht im Griff habe als Mensch.

Kultur Joker: Wo schreiben Sie in der Regel?

Schneider: Auf dem Speicher habe ich mir eine Schreibmaschine aufgestellt. Die ist aber so laut, dass ich manchmal überlege, doch wieder auf dem Laptop zu schreiben. Das ergibt aber ein ganz anderes Buch. Computer, Schreibmaschine oder von Hand geschrieben führen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Das ist eine Art Ritual. Simmel war nur auf seiner Olivetti der Simmel, als den man ihn kennt. Das gilt auch fürs Klavier. Ich habe drei Flügel. Auf jedem spiele ich eine andere Musik. Ich werde letztendlich das Instrument mitnehmen, von dem ich weiß, dass es von selber spricht.

Kultur Joker: Innerhalb der vergangenen zwölf Monate sind Ihre langjährigen künstlerischen Wegbegleiter Christoph Schlingensief, Andreas Kunze und Charly Weiss gestorben. Gab der Tod der Freunde Anlass, sich über Ihr eigenes Leben Gedanken zu machen?

Schneider: Es sind sogar vier Freunde gestorben. Beerdigungen werden bei mir langsam zur Gewohnheit. Ich denke dann immer, dass ich dort weitermachen werde, wo wir aufgehört haben. Ein Teil von Charly Weiss, Andreas Kunze, Christoph Schlingensief oder Raimund Hüttner lebt in mir noch intensiver weiter. Sie nehmen sogar einen Teil meiner gegenwärtigen Arbeit mit ein.

Kultur Joker: Sie haben an Alexander Kluges neuer DVD „Wer sich traut, reißt die Kälte vom Pferd. 31 Filme: Landschaften mit Eis und Schnee. 40 Geschichten: Stroh im Eis“ mitgearbeitet. Was reizt Sie am intellektuellen Fach?

Schneider: Das habe ich im Sommer in München gemacht. Alexander Kluge hat aufgrund seines Alters eine Affinität zum Dritten Reich. Ich spiele dann immer Typen wie den Enkel von Adolf Hitler oder Hermann Göring. Aber ich bin auch Voltaire, Karl Marx und der große Verführer Casanova. Ich finde es spannend, in die Gedankenwelt eines russischen Revolutionärs um die Jahrhundertwende einzutauchen. Die Welt von heute ist natürlich ganz anders. Alle wollen nur Geld verdienen und die Kultur bestimmter Regionen wird weggekehrt. Eine traurige Geschichte.

Kultur Joker: Was macht Sie besonders traurig?

Schneider: Die Zerstörung der Landschaft geht trotz allem immer weiter. Auf grünen Feldern, die früher von Bauern bestellt wurden, entstehen riesige Einkaufszentren. Die Innenstädte verwaisen vollends und es gibt keine Fachgeschäfte mehr. Schallplattenläden verschwinden allerorten. In Plattenverträgen steht heutzutage drin, dass deine CDs bei Firmen wie Schlecker verkauft werden. Früher ging ich immer in ein Musikfachgeschäft und fragte den Verkäufer, ob er etwas im Stil von Louis Armstrong hätte. Darauf antwortete er: „Wie wär’s denn mit Paolo Conte? Oder lieben Sie Freejazz à la Archie Shepp?“ Das habe ich mir dann in einer Kabine angehört. Ich hatte aber gar keinen Plattenspieler. Ich ging da nur hin, um Musik zu hören und zu lernen. Ich bin aber niemand, der den guten alten Zeiten nachweint.

Kultur Joker: Was gefällt Ihnen an der Gegenwart?

Schneider: Die Erinnerungen. Das Schöne ist, dass man lebt und die Erinnerungen mitnimmt. Die Pressekonferenz von heute fand ich unheimlich abstrus und lustig. Sie wird noch lange in mir weiterleben. Meine neue Jacke aus Pferdeleder ist wirklich der Brüller. Ich kaufe meine Bühnensachen immer in ganz normalen Herrenbekleidungsgeschäften. Aber diese Lederjacke ist nicht für die Bühne geeignet. Sie steht von ganz allein.

Kultur Joker: Sie haben ein neues Wappen kreiert. Was bedeutet „U.S. OPA“?

Schneider: Es steht für die Vereinigung von Amerika mit Europa. Meine Idee ist, den Atlantik trockenzulegen. Dann kann man zu Fuß nach Los Angeles marschieren und Angelina Jolie die Hand schütteln.

 

DVD: Helge und Band – Komm hier haste ne Mark! Live (DVD, Roofmusic) – Erscheint im Frühjahr.

DVD: Alexander Kluge – Früchte des Vertrauens (4 DVDs, Absolut Medien GMBH, Spieldauer: 658 min.) Mit Helge Schneider u.a.

Buch: Helge Schneider – Satan Loco (KiWi) – VÖ: 19.5.

Helge Schneider kommt im Rahmen seiner Tournee am 9. Mai ins Konzerthaus Freiburg und am 14. Mai ins Stadtcasino Basel. Karten: www.reservix.de oder www.eventim.de.