Andriy Zholdak inszeniert einen musikalisch starken „Macbeth“ am Theater Freiburg

Ein Herrscher, dessen Gier nach Macht unersättlich ist, der buchstäblich über Leichen geht und einen Flüchtlingsstrom auslöst. Macbeth zieht eine Blutspur hinter sich und scheint in seinem Wahn von niemandem gestoppt werden zu können. Sicherlich hätte der ukrainische Regisseur Andriy Zholdak diese Geschichte am Freiburger Theater ganz aktuell erzählen können, aber ein Foto eines zerstörten Hochhauses, das aus der Ukraine stammen könnte und vor dem dritten Akt von Giuseppe Verdis Oper auf der Leinwand zu sehen ist, bleibt der einzige Bezug zum von Wladimir Putin befohlenen Krieg Russlands gegen sein Heimatland.
Schon in seiner Freiburger Inszenierung von Pergolesis „Stabat Mater“ vor zwei Jahren verwendete Zholdak eher lose Assoziationen und eine symbolische Bildsprache. Auch sein „Macbeth“ bleibt unkonkret. Gewalt wird nur angedeutet – die brutale Geschichte kommt ohne einen Tropfen Kunstblut aus. Im Videovorspann traben Hirsche durch eine Winterlandschaft. Römische Ziffern von I bis XII, von denen einige im Laufe des Abends herunterfallen, schmücken die Wand des klassizistischen, schwarz-weiß gestalteten Palastes (Bühne und Videodesign: Daniel Zholdak). Die Hexen sind Grazien, die elfengleich in luftigen Sommerkleidern über die Bühne springen (Kostüme: Simon Machabeli), aber auch mal wie Nornen Schicksalsfäden spinnen. Büchern und Spiegeln gilt ebenfalls die Aufmerksamkeit der Regie. Die einzelnen Stränge von Zholdaks Regiearbeit bleiben jedoch lose und verheddern sich auch manchmal, wenn ein skurriles Dienerpaar immer wieder die Spannung bricht und der glatzköpfige Doktor (Lorenz Kauffer) im vierten Akt, warum auch immer, mit engem Abendkleid und High Heels herumstöckelt.
Musikalisch hinterlässt der szenisch zu wenig fokussierte Abend einen starken Eindruck. Das liegt zum einen am Philharmonischen Orchester Freiburg, das einen plastischen Klang entwickelt und die Wechsel zwischen Hell und Dunkel, Leicht und Schwer auskostet. Der erste Kapellmeister Ektoras Tartanis schärft die Kontraste und lässt das Orchester auch mal so knackig wie eine Banda klingen. Nur in der rhythmischen Präzision bleiben am Premierenabend noch Wünsche offen. Auch der Chor- und Extrachor (Leitung: Norbert Kleinschmidt) ist in seinen vielen Auftritten so variabel wie voluminös. Tartanis führt die dröhnenden Massenszenen bis zur Schmerzgrenze, aber nie darüber hinaus – die klangliche Balance bleibt gewahrt.
Juan Oroczo macht mit seinem gewaltigen, dunkel timbrierten, nicht immer intonationsreinen Bariton aus Macbeth einen machthungrigen Getriebenen, der seine Gewissensbisse verdrängt und durchaus Gefallen findet an der lolitagleichen Hexe (Marlene Hanhörster), die ihn fast permanent herausfordert. Roxana Herrera Diaz ist als Lady Macbeth die starke Frau, die mit Machtinstinkt und Skrupellosigkeit das Geschehen vorantreibt. Die chilenische Sopranistin beglückt mit großer Durchschlagskraft, aber auch vielen Zwischentönen. Dem unheilvollen Paar fällt neben König Duncan auch Banco (mit erdigem Bass: Jin Seok Lee) zum Opfer. Erst Macduff (mit lyrischem Schmelz, aber zu forciert: Junbum Lee) gelingt es in der finalen Schlacht, Macbeth zu töten, indem er auf der Freiburger Bühne im Armdrücken gegen ihn gewinnt, nachdem er alle Zimmerpflanzen (Wald von Birnam?) umgeworfen hat – auch hier fehlt es leider an szenischer Verdichtung. Am Ende hat Duncans Sohn Malcom (Hyun Han Hwang) die Krone auf. Sogleich wird der neue König von Lolita bezirzt. Die Geschichte wiederholt sich.

Weitere Vorstellungen: 8.10., 1./10./20./30.11., www.theater.freiburg.de

Bildquellen

  • Roxana Herrera Diaz und Lorenz Kauffer: Foto: Martin Sigmund