Im Gespräch: Joey Kelly, Musiker und Extremsportler

Im Wettlauf zum Südpol, zu Fuß durchs wilde Deutschland und mit dem Bulli ohne Geld von Berlin nach Peking – Musiker und Extremsportler Joey Kelly erzählt am 4. Februar 2022 auf dem 18. MUNDOLOGA-Festival im Konzerthaus Freiburg live spannende und motivierende Geschichten aus seinem von Herausforderungen geprägten Leben. Im Interview berichtet er von magischen Momenten in der libyschen Wüste und Muffensausen im Regenwald.

Kultur Joker: Herr Kelly, Sie haben schon sehr viel erlebt und gemacht. Kommt Ihnen ihr Leben besonders voll und dicht vor?

Joey Kelly: Ich bin auf jeden Fall immer ausgelastet und beschäftigt. Ich empfinde das aber nicht als Stress.

Kultur Joker: Zwischen 2017 und 2020 waren Sie und ein Teil Ihrer Geschwister als legendäre Band „The Kelly Family“ mit „25 Years – Over The Hump“ auf Arena-Tournee. Mussten Sie die Tour pandemiebedingt abbrechen?

Joey Kelly: Am 23. Februar haben wir in München das letzte Konzert gegeben. Das war so geplant. Wir wollten danach eine Pause machen. Von der Pandemie waren wir als Musiker nicht betroffen, im Gegensatz zu fast allen Kollegen.

Kultur Joker: Im Sommer 2020 haben Sie sich das Grüne Band vorgenommen, eine 1400 Kolimeter lange wilde Vegetationszone mit vielen Biotopen an der einstigen deutsch-deutschen Grenze. War dieser Ultramarsch geplant oder kam die Idee erst durch die Pandemie auf?

Joey Kelly: Das habe ich eingebaut, weil der Nordpol-Marathon, den ich letztes Jahr im April machen wollte, auf dieses Jahr verlegt wurde und von diesem Jahr aufs nächste Jahr. Ich hatte auch geplant von München nach Venedig zu laufen und eine ganze Reihe anderer Geschichten. Corona hat das alles verhindert. Und dann habe ich umdisponiert.

Kultur Joker: Wie lange waren Sie unterwegs?

Joey Kelly: Ich bin die Strecke über vier Jahreszeiten gelaufen, immer so etwa 300 Kilometer. Im Sommer 2020 ging es los, die nächste Etappe dann im Herbst, die dritte im Februar und die letzte Etappe im Frühling. Im Süden habe ich viele Zeitzeugen getroffen, zum Beispiel jene Leute, die 1979 mit einem selbstgebauten Heißluftballon in den Westen geflogen sind, aber auch viele Zeitzeugen, die man nicht kennt. Menschen die geflohen oder enteignet worden sind, Verwandte verloren haben.

Kultur Joker: War das im Vergleich zu den extremen Herausforderungen, denen Sie sich sonst stellen, eine sehr beschauliche Art des Unterwegsseins?

Joey Kelly: Ich hatte den Anspruch jeden Tag mindestens 42 Kilometer zu marschieren, also schon knackig, jedoch nicht so wie beim Deutschlandlauf über 900 Kilometer ohne Geld, Essen und Unterkunft, oder wie bei einem Wüstenlauf auf Zeit, sondern etwas entspannter. Und trotzdem hatte es der Marsch auch in sich.Wenn du im Februar bei minus 24 Grad in Thüringen morgens um 6 Uhr startest und dann über 40 Kilometer durch 50 Zentimeter hohen Schnee läufst, dann ist das schon auch anstrengend.

Kultur Joker: Konnten Sie es dennoch genießen?

Joey Kelly: Ja, das grüne Band ist ein Traum. Über 150 Naturschutzgebiete liegen an der Strecke. Es gibt viele Tiere. Ein sehr außergewöhnlicher Flecken Deutschlands, der den meisten unbekannt ist. Mario Goldstein und Andreas Killing sind die Strecke auch gelaufen. Von denen habe ich die Idee quasi geklaut.

Kultur Joker: Sie sind Musiker und mit Ihrer Familie berühmt geworden. Wie sind Sie zum Extremsport gekommen?

Joey Kelly: Ich habe mit 24 den Ausdauersport für mich entdeckt. Eher zufällig. Ich hatte gewettet, dass ich einen Jedermann Volkstriathlon schaffe. Das hatte ich gepackt und dachte: Wow! Also im Ziel dachte ich, das machst du nie wieder. Aber ein paar Tage später dachte ich, ach, wenn du jetzt trainieren würdest. Und dann habe ich trainiert. Bald kam der erste Marathon und der erste Ironman und der erste Wüstenlauf und da war ich voll im Thema drin. Ich mache das seit 25 Jahren und es macht mir immer noch Spaß.

Kultur Joker: Wie sieht es mit Verletzungen aus? Ihr Körper ist hohen Anforderungen ausgesetzt.

Joey Kelly: Beim Sport hatte ich kaum Verletzungen bisher, keine Einschränkungen und keine Probleme. Mir geht’s richtig gut.

Kultur Joker: Verwenden Sie mentale Techniken und Tricks, um in Momenten, in denen Sie das Gefühl haben, Sie können oder wollen nicht weiterlaufen, gewappnet zu sein?

Joey Kelly: Es gibt viele Leute, die sowas anwenden. Ich finde das auch ganz gut, aber ich habe es bis jetzt noch nicht gebraucht.

Kultur Joker: Welche Durchhaltestrategie verfolgen Sie bei extremen Herausforderungen?

Joey Kelly: Ich bin vorbereitet. Ich habe Erfahrungswerte und teile mir die Kraft ein. Ich kämpfe und quäle mich und komme dann auch an.

Kultur Joker: Sie hatten nie Angst, Ihrem Körper vielleicht zu viel zuzumuten?

Joey Kelly: Ich kämpfe auch mit Ängsten, aber keine auf den Körper bezogenen. Ich hatte zum Beispiel Angst davor, mich zu verlaufen oder es nicht ins Ziel zu schaffen. Manchmal bin ich gefühlt das letzte Drittel nur noch auf allen Vieren vorwärtsgekommen. Extremer Leistungsabfall. Dann musste ich wieder im ersten Gang laufen und nicht mehr im fünften. Aber ich habe es immer ins Ziel geschafft.

Kultur Joker: Wenn die Gefahr besteht, dass man sich verläuft, sind also nicht alle Strecken perfekt ausgeschildert?

Joey Kelly: Ich habe mich schon bei so manchen Wettkämpfen verlaufen und das ist ein komisches Gefühl. Zum Beispiel im Amazonasgebiet bei einem 220 Kilometer langen Dschungel-Marathon. Da läuft man als Selbstversorger. Ich hatte mich verlaufen und war drei Stunden im Niemandsland. Da bekommt man Muffensausen.

Kultur Joker: Und wie haben Sie den Weg wiedergefunden?

Joey Kelly: Ein Kollege von mir hatte sich auch verlaufen. Wir hatten uns dann gefunden. Wir wurden vorher geschult und auf eine solche Situation vorbereitet. Wir markierten die Stelle, an der wir uns gerade befanden und liefen von da aus sternförmig in verschiedene Richtungen. Da wir die gelaufenen Wege markierten, fanden wir nach dem Umkehren bei erfolgloser Suche immer wieder zum Ausgangspunkt zurück. Das haben wir so lange gemacht, bis wir auf den richtigen Weg gestoßen sind.

Kultur Joker: Was für ein Gefühl ist es, wenn man ein Ziel erreicht und damit vielleicht sogar die eigenen Grenzen verschoben hat?

Joey Kelly: Wenn ich im Ziel ankomme, bin ich erleichtert und froh darüber, dass ich mich nicht mehr belasten muss. Aus dem Moment ziehe ich Kraft und Motivation, jahrelang. Wenn ich an die verschiedenen Wettkämpfe und die Ergebnisse denke, motiviert mich das, weiter zu trainieren. Das beflügelt schon.

Kultur Joker: Kennen Sie auch Tiefs nach dem Wettkampfhoch?

Joey Kelly: Man hört von diesem großen Fall danach, aber ich habe das nie gehabt. Ich weiß zwei Jahre im Voraus, welche Events ich machen werde. Da gibt es Kontinuität. Wenn ein Wettkampf beendet ist, mache ich eine Woche Pause und fange dann wieder an zu trainieren, weil ich weiß, dass drei Monate später die nächste Herausforderung wartet.

Kultur Joker: Bei einem Wüstenlauf kommt zur Strecke extreme Hitze dazu. Wie geht man damit um?

Joey Kelly: Man kann sich ein bisschen akklimatisieren, sich also vor Ort an das Klima gewöhnen und anpassen. Das funktioniert. Dann sollte man sich vor der Hitze und Sonne durch die richtige Bekleidung, diszipliniertes Trinken, leichte Ernährung und Sonnencreme schützen. Trotzdem sind Wüstenläufe Extremsituationen, die man meistern muss.

Kultur Joker: Gemeinsam mit Markus Lanz haben Sie an einem Wettlauf zum Südpol teilgenommen. 400 Kilometer in zehn Tagen bei Temperaturen von bis zu minus 40 Grad. Geht man bei Minustemperaturen ähnlich vor?

Joey Kelly: Ja. Ich hatte eine Handvoll Wettkämpfe in Eiseskälte. Extreme Kälte ist aus meiner Sicht schwieriger als extreme Hitze. Wenn du Erfrierungen hast, kann es bedrohlich werden. Es gibt auch keine Möglichkeit sich vor Kälte zu verstecken, so wie man vor der Sonne Schutz im Schatten suchen kann. Da werden Fehler bestraft. Man muss sich entsprechend anziehen und darf sich nicht so schnell bewegen, dass man von innen schwitzt und von außen friert. Wenn man dann steht, ist man ein Eisblock. Das erfordert Kopf und KnowHow.

Kultur Joker: Sie waren in sehr vielen unterschiedlichen Regionen und Ländern der Erde, im Regenwald, in Wüstengebieten, Berg- und Eislandschaften. Gibt es eine Region, die Ihnen besonders gut gefällt, in der Sie am liebsten unterwegs sind?

Joey Kelly: Norwegen finde ich total klasse. Ein wunderschönes Land. In Afrika hat mir Namibia sehr gefallen. In Südamerika zieht es mich nach Argentinien. In Nordamerika finde ich Kanada richtig gut. Jedes Gebiet auf der Welt hat seine Reize.

Kultur Joker: Ihre nächsten großen Herausforderungen sind der Nordpol-Marathon im April 2022 und ein Trip auf der Panamericana.

Joey Kelly: Da werde ich mit einem antiken LKW ohne Geld unterwegs sein. Ich will mir die Panamericana erkämpfen, erarbeiten. Eine große Herausforderung. Auf die freue ich mich jetzt schon.

Kultur Joker: Mit Ihrem Sohn sind Sie von Berlin nach Peking gefahren. Ebenfalls ohne Geld. Wie kam es dazu?

Joey Kelly: Ich hatte das schon drei Jahre zuvor geplant und ihn dann gefragt, ob er Lust hätte mitzukommen. Da war er 19. Jetzt ist er 21. Er hat ja gesagt, es interessierte ihn und dann haben wir das zusammen gemacht.

Kultur Joker: Und das hat gut harmoniert? Sie waren für längere Zeit eng zusammen.

Joey Kelly: Ja, sehr gut. Luke begleitet mich schon seit über 10 Jahren und war bei vielen Wüstenläufen und Challenges im Kamerateam dabei. Er ist sehr erfahren mit Extremsituationen. Das Kamerateam muss sich auch bewegen, es läuft zwar nicht mit, macht aber viele Erfahrungen und ist Belastungen ausgesetzt. Er wusste also sehr genau, was auf ihn zukommt. Luke ist Leistungssportler, macht Leichtathletik, läuft deutsche Meisterschaften. Er hat Talent und Ehrgeiz.

Kultur Joker: Wo hat es Ihnen auf der Reise nach Peking besonders gefallen?

Joey Kelly: Die Mongolei war besonders schön. Die Menschen, die Steppe, die Gobi-Wüste. Es ist ein riesiges Land mit nur 2,8 Millionen Menschen. Die Hälfte davon lebt in der Hauptstadt. Auf dem Land leben die Menschen immer noch in Jurten, mit ihren Pferden und Schafen.Wir wurden in eine solche Jurte, die etwa fünf Meter im Durchmesser misst, zum Tee eingeladen. Drei Generationen lebten dort zusammen: die Oma, die Tochter mit vier Kindern, die Männer. Da fragt man sich, wie machen die das? Sehr beeindruckend.

Kultur Joker: Wie kann man sich den geplanten Marathon am Nordpol vorstellen?

Joey Kelly: Man fliegt nach Spitzbergen und von da aus zum Nordpol. Innerhalb von ein paar Stunden nach der Landung wird gestartet. Man kann sich zuvor auf Spitzbergen länger akklimatisieren, der Startpunkt ist 1000 Kilometer entfernt. Ich fliege da aber nur zwei bis drei Tage vorher hin. Ich bin Amateursportler und mache das nur aus Spaß.

Kultur Joker: Sie sind ohne Geld und Verpflegung zweimal durch Deutschland gewandert und haben unterwegs ausschließlich draußen geschlafen. Von was ernährt man sich da?

Joey Kelly: Von Wilhelmshaven zur Zugspitze. Knapp 1000 Kilometer, einmal in 18 Tagen und später von Warnemünde aus nochmal in 15 Tagen. Äpfel und Pflaumen habe ich gepflückt, es war September. Eigentlich war es ein Hungermarsch. Ich habe nicht viel gegessen und ziemlich abgenommen.

Kultur Joker: Sie haben nirgendwo angeklopft und um eine Scheibe Brot gebeten, sondern nur von dem gelebt, was Sie gefunden haben?

Joey Kelly: Genau, diese Regel hatte ich mir selbst gesetzt. Ich habe mich von dem ernährt, was ich am Wegesrand gefunden habe. Das war nicht viel und es schmeckte nicht besonders gut.

Kultur Joker: Macht es einen stark und selbstbewusst, wenn man eine schwierige Situation oder eine Herausforderung wie diese über einen längeren Zeitraum ausgehalten und erfolgreich bewältigt hat?

Joey Kelly: Man wird auf jeden Fall demütig und dankbar. Wenn man ankommt und wieder essen kann, was man möchte, weiß man das sehr zu schätzen.

Kultur Joker: Welcher Wettkampf ist Ihnen besonders eindrücklich in Erinnerung geblieben?

Joey Kelly: Ein sehr harter aber gleichzeitig auch sehr schöner Wettkampf war die Libyen Challenge, ein Orientierungslauf über 200 Kilometer, nonstop durch die libysche Wüste. Wegen politischer Unruhen findet er aktuell nicht statt. Alle 20 Kilometer gab es einen Checkpoint, an dem man einen Stempel und Wasser bekam. Anschließend versuchte man mit dem GPS den nächsten Checkpoint zu finden. In der Nacht lief ich durch Gebirgslandschaften auf einer Höhe von zweieinhalbtausend Meter. Man schläft also zwischendurch nicht, auch nicht kurz, sondern ist nonstop auf den Beinen. Am Tag entdeckte ich im Vorbeilaufen viele Felsenhöhlen, in denen vor tausenden von Jahren Menschen lebten und die Wände bemalten. Das zu sehen, zum Anfassen nah, ist unbeschreiblich. Die sind einfach da, ohne Zugangsbeschränkungen, und es waren viele. Die Trails in den Bergen waren nicht ungefährlich. Teilweise ging es links und rechts hunderte Meter in die Tiefe. Man musste konzentriert den Weg verfolgen. Am frühen Nachmittag, die Sonne knallte auf den letzten 40 Kilometern, war ich umgeben von den schönsten Dünen der Welt. Nach 36 Stunden kam ich ins Ziel und dachte: Wahnsinn! Was für ein Kraftakt, was für eine Natur, was für eine Landschaft!

Kultur Joker: Sie stehen mit Ihrem Vortrag „Abenteuer Leben“ am 4. Februar 2022 um 20 Uhr auf der großen Bühne im Konzerthaus Freiburg. Was erwartet die Zuschauer?

Joey Kelly: Es wird drei Teile geben. Im ersten berichte ich von meinen Erlebnissen unterwegs im Grünen Band. Im zweiten Teil geht es um das 12.000 Kilometer lange Reiseabenteuer von Berlin nach Peking im Bulli ohne Geld. Und anschließend wir es ein Best of geben. No Limits.

Kultur Joker: Joey Kelly, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Infos zu Joey Kellys Live-Reportage und weitere Programmpunkte des 18. MUNDOLOGIA-Festivals unter: www.mundologia.de

Bildquellen

  • Joey Kelly: Foto: MUNDOLOGIA / Stachelhaus
  • Joey Kelly: Foto: MUNDOLOGIA / Stachelhaus
  • Joey Kelly: Foto: MUNDOLOGIA / Stachelhaus