Kunst

Eine andere Sicht: Künstlerinnen ohne Gendering in der Galerie Albert Baumgarten

Albert Baumgarten präsentiert in seiner Freiburger Galerie aktuell sechs Künstlerinnen. Der Charme liegt in der Zusammenstellung. Es sind verschiedene Generationen vertreten. Angeführt wird die Schau von Hanni Rocco (1896–1990), der Nachlass befindet sich im Bestand Baumgartens. Mit sieben Objektkästen ist sie dabei. Rocco hat beinahe ein Jahrhundert erlebt, mit allen Veränderungen und Verwerfungen: Als studierte Violinistin feierte sie gemeinsam mit ihrer Freundin, der „Halbjüdin“ Maria Proelss, Erfolge bei Konzerten in Salons, zuerst in Frankfurt, dann in Berlin. Die Bedrohung in der NS-Zeit ließ sie nach Hemmenhofen am Bodensee emigrieren, ins Umfeld von Otto Dix und Erich Heckel; 1953 zog es beide nach Freiburg. Nach dem Tod Marias wandte sich Hanni nach und nach als Autodidaktin der Bildenden Kunst zu, mit knapp 80 Jahren kamen die ersten Bilder, bald dann die Objektkästen, die kleine Episoden und flüchtige Wahrnehmungen aus dem Augenwinkel als für sie wesentlich thematisieren, so hier: die Arbeiten „mir träumte von Magritte“ oder „Kaiser Franz im fernen Osten“ – ironisch darauf anspielend, wie es erfolgreiche Profi-Fußballer zum Karriereausklang zunehmend in reiche Emirate lockte, wobei Beckenbauer seine aktive Zeit als Spieler tatsächlich bei Cosmos New York beendete.
Die weiteren gezeigten Künstlerinnen gehören den Geburtsjahrgängen zwischen 1962 und 1971 an – und lieferten neu ein. Ruth Bussmann ist mit sieben Ölbildern auf Holz und Leinwand vertreten. In den Farben und der malerischen Gestaltung reduziert, fast kühl kommen die Menschen daher, die sie in vermeintlich belanglosen Alltagssituationen einfängt. Horizont- und Geländelinien wirken nicht natürlich, sondern das konstruktive, beinahe abstrakte Gerüst bestimmt, der Umraum bleibt leer. Die dargestellten Protagonisten richten immer einen Blick irgendwohin, meist aus dem Bild heraus, so gut wie niemals zum Betrachter, oft präsentieren sie ihre Rückansicht.
Die nächste ist Donata Wenders, die Frau des Filmemachers, künstlerische Fotografin seit drei Jahrzehnten, national und international vielfach in Ausstellungen vertreten: Von ihr stammen zwei Aufnahmen der Pina Bausch, unscharf verwaschen im Zigarettendunst – wer’s mag; aber auch sehr schöne mit „Studie XI und XIII“ betitelte Arbeiten im Tiefdruck, die eine auf der Stelle tanzende Frau einfangen.
Anne-Sophie Tschiegg aus Mulhouse ist ein Social-Media-Erlebnis, mit knapp 100.000 Followern auf Instagram, der Vater Schweizer, die Mutter Französin. Also malt sie kreischend bunt – Landschaft, Flora, Porträts. Die ungehemmte Farbigkeit kommt attraktiv daher, erregt Aufmerksamkeit. Das Konzept erinnert an die ‚Jungen Wilden‘ der 1980er Jahre. Bei den Kopfbildern könnte man fragen, ob angesichts der Verfremdungen durch die multiplen Acryl-Kleckse in den Gesichtern die individuelle Wiedererkennbarkeit des oder der Dargestellten, eigentlich die Grunddefinition der Gattung Porträt, noch gegeben ist.
Die Schweizerin Heike Müller nimmt gern Fotos aus Familienalben zur Vorlage für ihre Malerei: so auch bei dem monumentalen Werk „Sonntags um drei“ (170 x 170 cm) im Hauptraum der Galerie. Da sind Menschen, die sich kennen, beim munteren Picknick am See vor alpiner Kulisse versammelt, Familie und Freunde offenbar. Wer das ansieht, wird durch das pseudo-biografische Moment zu unterschiedlichsten Assoziationen und Kommentaren verführt.
Schließlich: Julia von Troschke, ausgebildete Bühnenbildnerin, ihre Mutter hat das Tagebucharchiv in Emmendingen begründet. Sie lebt in Oberndorf am Neckar. Der Mann betreibt eine Schreinerei. Vielleicht auch deshalb nähert sie sich spannend dem Material Holz an. In Mischtechniken entstehen Arbeiten, die beinahe reliefartige Resultate liefern, wie „Tanz“: Drei Mädchen in je eigener Bewegung, sie schauen sich nicht an, jede agiert für sich – wieder die Frage des Blicks auf die menschliche Umgebung.
Der Titel der Ausstellung, so betont Baumgarten im Gespräch, sei mit Bedacht ohne Fragezeichen oder Ausrufungszeichen gewählt. Hier geht es um gültige Kunst von Frauen – ohne den Zwang zu ganz spezifischen Frauen-Themen halt. Das überzeugte ihn, und nun auch den Besucher. Eine kluge Auswahl. Der ‚Dreh‘ der Präsentation liegt sowohl in der Hängung – weitgehend sind die Teilnehmerinnen da ‚durcheinander‘, aber gekonnt präsentiert – als auch im Titel und dem Ausgangsimpuls.

Eine andere Sicht. Ruth Bussmann, Heike Müller, Hanni Rocco, A-S Tschiegg, Julia von Troschke, Donata Wenders. Galerie Baumgarten, Kartäuserstr. 32, Freiburg.Di–Fr 15–19 Uhr / Sa 11–14 Uhr. Bis 22.03.25

Bildquellen

  • Ruth Bussmann: „Passanten #36“, 100 x 140 cm: © Galerie Albert Baumgarten