Ein Gespräch mit Şenay Awad zur Foto-Ausstellung „Sieh mich an! Rassismus an muslimisch gelesenen Menschen sichtbar machen!“

Hinter den Kulissen: Firdevs Bahadir, Senay Awad, Mohammed Awad
Foto: Sozialdienst muslimischer Frauen Freiburg e.V.

„Sieh mich an!“ ist das Motto einer Ausstellung, bis zum 2. April in der Stadtbibliothek zu sehen war. Hinter dem Projekt, das im Rahmen der Wochen gegen Rassismus gezeigt wurde, steht der Sozialdienst muslimischer Frauen Freiburg. Die Ausstellung mit 20 Interviewauszügen und Fotos konzentrierte sich auf junge Menschen, die in dritter Generation in Deutschland leben. Fabian Lutz hat mit Şenay Awad vom Sozialdienst muslimischer Frauen gesprochen. Sie hat das Konzept der Ausstellung entwickelt.

Kultur Joker: Frau Awad, für Ihre Ausstellung haben Sie auch diese drei Jungen interviewt, die wir hier auf dem Foto sehen. Was können die drei uns über Rassismus erzählen?

Şenay Awad: Die drei Jungs auf dem Foto sind in der achten Klasse eines Gymnasiums. Sie sind hier geboren und beherrschen die deutsche Sprache. Trotzdem bekommen sie ständig gesagt, dass sie nicht ganz deutsch seien. Nur weil sie keine klassischen deutschen Namen haben und auch kein typisch „biodeutsches“ Aussehen. Das wollen sie nicht mehr hören. Sie sind ganze Deutsche.

Kultur Joker: Das geht in Richtung der Frage „Woher kommst du wirklich?“ Man bezweifelt die Identität der Jungs.

Şenay Awad: Ja. Ich glaube, Sie würden diese Frage nicht gestellt bekommen.

Kultur Joker: Die Ausstellung steht unter dem Motto „Sieh mich an!“ An wen richtet sich diese Aufforderung?

Şenay Awad: Die Aufforderung richtet sich an alle Deutschen, die nicht von Rassismus betroffen sind und sich nicht mit dem Thema Rassismus beschäftigen. Die Aufforderung lautet: Sieh mich an! Ich lebe hier, ich bin eine von euch. Ich gehöre zu dieser Gesellschaft, auch wenn ich für euch nicht so aussehe. Ich möchte keine Minderheit, keine Randfigur sein.

Kultur Joker: Haben Sie bei Ihrer Arbeit im Sozialdienst muslimischer Frauen oft mit Menschen zu tun, die sich als Randfiguren unserer Gesellschaft fühlen?

Şenay Awad: Ja. Das Thema Rassismus beschäftigt uns jeden Tag. Es betrifft alle unsere Klienten. Ob das Menschen sind, die Kinder im Kindergarten oder in der Schule haben oder die eine Wohnung, einen Job suchen. Sie alle stoßen auf Rassismus, weil sie nicht als deutsch gelesen werden.

Kultur Joker: Ihre Arbeit konzentriert sich auf den Alltag muslimischer Frauen. Kommt zum Rassismus da nicht auch Sexismus?

Şenay Awad: In einem Workshop hat mir eine Frau erzählt, dass ihre Sozialarbeiterin meinte, sie solle bitte kein drittes Kind in die Welt setzen. Als unsere Klientin dann schwanger war, riet ihr die Sozialarbeiterin, das Kind abzutreiben. Dahinter steckt das rassistische und sexistische Bild einer kopftuchtragenden Ausländerin mit zu vielen Kindern, die noch dazu nichts unter Kontrolle hat.

Kultur Joker: Die Ausstellung richtet den Blick speziell auf junge Menschen. Warum das?

Şenay Awad: Junge Menschen, die hier aufgewachsen sind, die deutsche Sprache beherrschen und sich selbst als deutsch sehen, sehen Rassismus besonders deutlich.

Kultur Joker: Eine erhöhte Sensibilität für Rassismus?

Şenay Awad: Ja. Die jungen Menschen sprechen besser Deutsch als Türkisch, träumen auf Deutsch, fühlen sich deutsch. Aber sie bekommen vermittelt: Egal, was ihr macht, ihr gehört nicht dazu. Nur weil sie vielleicht dunkle Haare haben oder Kopftuch tragen.

Kultur Joker: Am 19. Februar jährte sich der rassistisch motivierte Anschlag in Hanau zum zweiten Mal. Hat sich seitdem der Umgang mit Rassismus in der Gesellschaft zum Besseren gewandt?

Şenay Awad: Nach den Anschlägen in Solingen 1992, in Halle 2019 und in Hanau 2020 gibt es überall Aufrufe gegen rassistische Gewalt. Wir hören von den Medien und der Politik, dass endlich Gerechtigkeit und Gleichberechtigung herrschen müssen…

Kultur Joker: …das ist doch zumindest ein Anfang, oder?

Şenay Awad: …aber wir müssten erst einmal anfangen, die Sprache in den Medien und der Politik zu ändern. Das sieht man gerade am Beispiel des Anschlags von Hanau. Ich habe mich sehr geärgert, als ich hören musste, dass acht junge Menschen mit Migrationshintergrund gestorben seien. Es muss heißen: Acht Menschen sind gestorben. Es ist doch vollkommen egal, welchen Hintergrund diese Menschen haben! So eine Sprache spaltet die Gesellschaft. Wir wollen kein „Die“ und „Wir“. Wir sind doch längst ein „Wir“. Wir müssen zusammen an einem Strang ziehen, sonst gibt es keine Gleichberechtigung.

Kultur Joker: Politik und Medien werden maßgeblich von Menschen geprägt, die nie Rassismus erleben mussten. Ihre Ausstellung gibt den Menschen das Wort, die davon alltäglich betroffen sind.

Şenay Awad: Es wäre doch schön, wenn die Zitate unserer Ausstellung in ganz Deutschland zu lesen wären. Ich finde auch, dass Politik und Medien nicht nur von Biodeutschen gemacht werden sollten. Nur deshalb entstehen Begriffe wie „Flüchtlingswelle“ – Flüchtlinge werden mit einer Katastrophe gleichgesetzt. Oder ein anderes Beispiel: Wenn ein muslimisch gelesener Mensch ein Attentat begeht, spricht man von Terrorismus. Der deutsche Attentäter von Hanau war nur „psychisch gestört“. Das will ich nicht mehr hören.

Kultur Joker: Können Sie uns zum Ende des Gesprächs noch eine Person vorstellen, die Sie für die Ausstellung interviewt haben?

Şenay Awad: Gerne. Eine unserer Interviewpartnerinnen hat zwei Master-Abschlüsse, wohnt aber in einer Notunterkunft, weil sie in Freiburg keine Wohnung bekommt. In der Unterkunft herrscht ein schrecklicher hygienischer Zustand. Ihre Sozialarbeiterin wollte sie aufgrund ihrer prekären Lage beim Wohngeldamt anmelden. Sechs Wochen lang hat sie nichts mehr gehört. Als sie sich dann erkundigte, meinte die Sozialarbeiterin nur, sie hätte es vergessen. Das ist aber längst nicht alles. Von einem Mann im Jobcenter musste sie sich anhören: „Mit ihrem Kopftuch werden sie keine Stelle bekommen.“ Wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt, wird sie von ihren Nachbarn gefragt, ob sie in ihrer Wohnung eigentlich Gas hätte und ob sie ihr Essen mit Besteck oder mit Händen esse. Weil sie dunklere Haut hat und Kopftuch trägt, stellt sich für manche Deutsche die Frage, ob sie eigentlich zivilisiert sei.

Kultur Joker: Wie geht die Betroffene mit diesem Rassismus um?

Şenay Awad: Für sie ist es schlimm, jeden Tag gelassen und ruhig auf solche Fragen antworten zu müssen. Das ist hart, das geht auf die Persönlichkeit. Sie fragt sich, woher andere das Recht nehmen, so etwas zu sagen. Als sie nach Deutschland kam, hat sie gelernt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Für sie als muslimische Frau gilt das aber nicht.

Kultur Joker: Danke für das Gespräch!

Bildquellen

  • Hinter den Kulissen: Firdevs Bahadir, Senay Awad, Mohammed Awad: Foto: Sozialdienst muslimischer Frauen Freiburg e.V.
  • Drei Interviewpartner der Ausstellung: Foto: Sozialdienst muslimischer Frauen Freiburg e.V