Museum für Neue Kunst Freiburg: Retrospektive Priska von Martin

Wiederentdeckungen sind mit besonderen Geschichten verbunden. Im Fall von Priska von Martin ist es eine von Kontrolle und Selbstbehauptung. Doch genau kann man es natürlich nicht sagen, was die Bildhauerin dazu veranlasste, ihren Nachlass der Stadt Freiburg zu vermachen. Ihrer Geburtsstadt zwar, aber ihr eigentlicher Lebensmittelpunkt war eben doch München, wo sie mit ihrem Mann und Kollegen Toni Stadler viele Jahre wohnte. Anlässlich ihres 70. Geburtstages zeigt sie auf einer Ausstellung dort noch einmal ihr Werk. Danach bringt sie sich im Bad ihrer Wohnung um. Die letzten Jahre waren dadurch geprägt gewesen, dass sich ihr Lebensradius aufgrund einer zunehmenden Lähmung und durch die Betreuung ihres Mannes verkürzte. Über viele Jahre litt sie an schweren Depressionen, es waren Phasen, während denen sie nicht arbeiten konnte. Am 12. März 1982 scheidet sie freiwillig aus dem Leben.
Das Freiburger Museum für Neue Kunst erinnert nun mit einer Einzelausstellung an die Bildhauerin. Wie andere ihrer Zeit, von Martin wird 1912 geboren, arbeitet sie figurativ. Zugleich spiegelt sich in diesen Arbeiten der Anspruch der Zeitlosigkeit wider. Manche Arbeiten wie ein bronzenes Rentier, von dem man nicht sagen könnte, ob es schwimmt oder still versinkt, weisen über sich hinaus. Ihre kleinen Pferdeskulpturen lassen hingegen gleich an verschiedene Epochen der Kunstgeschichte denken. Manche erinnern an Höhlenzeichnungen, andere wieder an mittelalterliche Skulpturen. Ihre Künstlerbücher, die wie auch Zeichnungen und Aquarelle in der Ausstellung zu sehen sind, zeigen, wie sehr sie an den Bewegungsabläufen und der Präsenz dieser Tiere interessiert war. Neben ausgeschnittenen Zeitungsfotos finden sich auch eigene Aufnahmen, die sie im Zirkus und auf Reisen gemacht hat. Die Sehnsucht nach Zeitlosigkeit nach dem Faschismus und eine Unterhaltungskultur, die eskapistisch und exotisch war, sind da nur zwei Seiten einer Medaille.
Mit Germaine Richier, Renée Sintenis und Barbara Hepworth, mit denen sie Mitte der 1950er Jahre durchaus in einem Atemzug genannt wird, kann sie nicht eigentlich konkurrieren. Schon bald nach ihrem Tod lässt die öffentliche Aufmerksamkeit nach. Doch ihr Werk ist ein Resonanzraum für Strömungen der Nachkriegszeit. In einer Paul Klee gewidmeten Skulptur ist eine Tendenz zur Abstraktion zu erkennen, ihre „17 Roten Mädchen“ aus dem Jahr 1968 wären durchaus anschlussfähig an die aufkommende Frauenbewegung gewesen und später beschäftigte sie sich mit installativen Aspekten. Und auch ihre Auseinandersetzung mit der Antike in Form von stehenden Frauenakten in Aquarelltechnik passt in die Zeit. Doch Priska von Martin blieb ein Solitär, die nie einer Künstlergruppe angehören wollte. 1931 schrieb sie sich zuerst an der Kunstgewerbeschule in München, dann an der dortigen Kunstakademie ein. Hier sollte sie auch ihren späteren Mann kennen lernen, der während des „Dritten Reichs“ in Frankfurt lehrte. Nach dem Krieg kehrte das Paar zurück nach München. Priska von Martin schuf Skulpturen, aber die repräsentativen, monumentalen Formen überließ sie ihrem Mann. Man kann dieses leicht abtun, doch lohnt sich ein Blick auf Widersprüche und ihre Formfindung. „Rhythmus üben wie ein Tänzer vom Ballett“, so beschrieb sie einmal das Modellieren. Sie wollte im Atelier die „Prägung des Ichs“ hinter sich lassen. Ihr Ich wird sie wohl nicht losgeworden sein, aber vielleicht fand sie eben aus diesem Grund auch einen derart existentiellen Ausdruck.

Priska von Martin, Museum für Neue Kunst Freiburg. Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr. Bis 13. September 2020.

Bildquellen

  • Priska von Martin mit Toni Stadlers Porträt Priska, vor 1948: Foto: Hinrich Sieveking © SOS Kinderdorf e.V. als Rechtsnachfolger im Nachlass Priska von Martin