„Ich hasse Männer“ – Ein Essay über die Misandrie

Vorweg, bitte keine Panik. Ich hasse nicht alle Männer und Pauline Harmange, die Autorin des Essays „Ich hasse Männer“ (Rowohlt, 2020), auch nicht. Oder vielleicht doch? „Na gut, ich wage mich vor: Ich hasse Männer. Alle, wirklich? Ja, alle. Ich habe prinzipiell keine hohe Meinung von ihnen“, schreibt Harmange direkt im Einstieg. Und mal ehrlich, verübeln können wir ihr das nicht.
Seit 2015 betreibt die französische Kommunikationswissenschaftlerin den feministischen Blog „Un invincible été“, auf dem sie Alltagsgeschichten und wissenschaftliche Erkenntnisse niederschreibt. In den Kommentarspalten wimmeln sich unzufriedene und missmutige Männer, ausgerüstet mit Worten voller Hass und Unverständnis für eine Frau, die im 21. Jahrhundert noch immer über die Gleichstellung von Frauen* schreibt. Das ist doch alles Schnee von gestern, wir dürfen schließlich wählen gehen und auf dem Papier sind wir gleichgestellt. Also bitte Ruhe dahinten.
Tja, ganz so sieht es in der Realität nicht aus. In einem Interview mit der taz (Caroline Rosales, 2020), erklärt Harmange ihre Beweggründe für diesen provokativen Essay, der in Frankreich beinahe eine Staatsaffäre ausgelöst hätte. Bei ihr habe sich eine Art feministisches Bournout eingestellt – etwas, das viele Feminist*innen (die Autorin dieses Artikels eingeschlossen) nachvollziehen können. Der feministische Kampf ist ermüdend, irgendwie desillusionierend.
Dabei sei alles schon gesagt, meint Harmange. Es gibt Studien, wissenschaftliche Belege und eine Frauenbewegung, die seit Jahrhunderten für die Rechte der Frauen kämpft – und dennoch ändert sich heute kaum noch etwas. Aus dieser feministischen Ohnmacht heraus ist dieser Essay entstanden, der Frauen* endlich eines zugesteht: Wut.
In dem Kapitel „Die Männer, die die Frauen nicht liebten“ beleuchtet Harmange die Konzepte der Misogynie (Frauenhass) und Misandrie (Männerhass). Die Autorin sieht Misandrie als Reaktion auf Misogynie und der in diesem Kontext existierenden Gewalt gegen Frauen*, die seit Jahrhunderten stattfindet und im kollektiven Gedächtnis verankert ist. „Erinnern wir uns daran, dass das Gewaltspektrum der Frauenhasser vom Cybermobbing bis zum bewaffneten Attentat reicht“ (Harmange, 2020, S. 42) – sie führt hier den Amoklauf an der Polytechnischen Hochschule in Montréal 1989 auf, bei dem ein 25-Jähriger mit einem halbautomatischen Gewehr 14 Studentinnen erschoss. Und auch aktuelle Zahlen sehen nicht rosig aus. Der Bericht „Partnerschaftsgewalt. Kriminalistische Auswertung – Berichtsjahr 2020“ des Bundeskriminalsamtes zählt 146.655 Fälle von Gewalt in Partnerschaften, davon sind 80,5 Prozent der Betroffenen Frauen*.Außerdem 460 Morde in Partnerschaften, darunter 359 an Frauen*.
Was lösen diese Zahlen in Ihnen aus? Wut? Gut so. Aber wie vermitteln wir unsere Wut? Bereits im Kindesalter werden Jungen* und Mädchen* unterschiedlich sozialisiert – was am Ende dabei rauskommt, ist das, was wir in der Genderforschung das „kulturelle Geschlecht“ nennen. Es beeinflusst unsere Verhaltensweise und Wahrnehmung – wie wir z.B. auf Wut reagieren, hängt davon ab, wie wir als Kinder gelernt haben, Wut zu kanalisieren. Männer* lernen ihre Wut durch Gewalt auszudrücken – Frauen*, naja, am besten gar nicht, beobachtet Harmange. Starken Frauen wie ihrer Mutter, die sonst vor keiner Konfrontation zurückschreckt, fehlen in partnerschaftlichen Konflikten die Worte. Es ist eine Sturzflut der Gefühle, die meist in Tränen und dem Verlust der Artikulation endet. Erst als Feministin habe Pauline Harmange gelernt, wirklich wütend zu werden.
Liebe Männer, wer bis hierhin durchgehalten hat, Chapeau! So viel Kritik auf einmal ist gar nicht so leicht wegzustecken. „Ich hasse Männer“ ist ein bewusst provokant geschriebener Essay, ein anderer Redakteur meint: Wer feministische Basics lernen möchte, greift zu diesem Büchlein.

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  • Feministisches Burnout – Der feministische Kampf ist ermüdend, irgendwie desillusionierend: Foto: Anna Shvets/pexels