Kunst

Glitzer-Hagel der Wut: Das Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg widmet sich dem Glitzer in einer Ausstellung

In der „Hall of Glitter“ im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg (MK&G) funkelt es überall. Dieser Raum ist das Zentrum der in sechs Kapitel unterteilten Ausstellung „Glitzer“. Keine Künstler haben ihn bestückt, sondern Menschen, die im Alltag nicht unbedingt etwas mit Kunst zu tun haben. 99 Objekte von ihnen werden in der weltweit ersten Glitzer-Schau gezeigt. Ein Turnierkleid für lateinamerikanischen Tanz in Pink stammt von Katharina Prohl aus Hamburg. Da es im Turniertanz strenge Vorgaben für die Kleidung gibt, durfte sie erst in der C-Klasse Strass tragen. Nachdem die 35-Jährige in stundenlanger Handarbeit jeden Stein einzeln mit der Pinzette aufgeklebt hat, ist dieser Dress ihr liebstes Glitzerstück.
Auch hinter den übrigen „Hall of Glitter“-Exponaten stecken persönliche Geschichten. Sie strafen jene Lügen, die behaupten, die glänzenden Partikel seien einfach Kitsch. Dieser Kritik hält MK&G-Direktorin Tulga Beyerle entgegen: „Glitzer ist ein subversives Material. Es hilft Leuten, etwas zu werden.“ Ob Feministinnen oder Queer-Community: Glitzer trotzt Unterdrückung. Er macht diejenigen sichtbar, die sonst oft an den Rand gedrängt werden. Er feiert gesellschaftliche Vielfalt, er steht für Empowerment und Selbstbestimmung.

Gisela Vola: „Untitled“, aus der Serie „Marea Verde“, 2018 © Gisela Vola

Zuweilen hat Glitzer sogar eine politische Dimension. Im „Glitter Up“-Raum werden auf Bildschirmen dokumentarische Aufnahmen aus verschiedenen Serien eingeblendet. „Pink.Glitter.Violence“ von Mirja Mitrovic zeichnet einen Protest nach. Weil 2019 Polizisten in Mexiko City nach der Vergewaltigung einer jungen Frau nicht zur Verantwortung gezogen wurden, bewarfen Demonstrierende den Sicherheitsminister mit pinkem Glitzer. Sie mussten sich für ihr „gewaltvolles Handeln“ vor Gericht verantworten, die Polizisten nicht. Das löste nicht nur einen Glitzer-Hagel der Wut aus, sondern Straßenunruhen. Einige Protestierenden zerstörten Polizeidienststellen oder Monumente.
Auch im „Sparkle And Shine“-Bereich werden Grenzen überschritten, allerdings ästhetisch. Ins Auge sticht die Videoarbeit „Style Over Substance“ von The Huxleys. Die Körper des australischen Duos sind von Kopf bis Fuß mit Glitzer überzogen, sie tragen Perücken in schrillen Farben und wirken wie Aliens. Das ist gewollt. Als die beiden in Kleinstädten aufwuchsen, fühlten sie sich wie Wesen von einem anderen Stern.
Nicht weniger extravagant wirkt das dunkle Kostüm mit Oversize-Schultern, das Bill Kaulitz während der „Humanoid-Tour“ von Tokio Hotel getragen hat. Es würde ebenso wie die Perücken der Hamburger Karl Gadzali und Mohamad Barakat-Götz, deren Klientel Dragqueens wie Olivia Jones sind, zu The Huxleys passen. „Power of Surrender“ türmt sich wie eine Rokoko-Perücke auf, die Farben Rot und Blau symbolisieren Feuer und Wasser. Mit diesem Kunsthaar, sagt Barakat-Götz, wolle er den Frieden in seiner Heimat Syrien feiern.
Rosa dominiert Jenny Schäfers Werk „Every Night in My Dreams“: ein Jugendzimmer. Es steht im Bereich „Teenage Glitter“, mit dem das Thema Identitätsfindung beleuchtet wird. Um dieses Sujet kreist auch die Arbeit der Hamburgerin. Pinke Schuhe oder ein Pferdeposter sind erwartbar, sie gelten als typisch mädchenhaft. Wer genauer hinsieht, entdeckt aber auch andere Details. Etwa ein Fan-Shirt der Band Tocotronic mit einem glitzernden Schriftzug. „Die Musiker der Hamburger Schule“, erklärt Jenny Schäfer, „haben ein neues Männerbild definiert.“
Obgleich dieses Exponat im 21. Jahrhundert verankert ist, reicht die Glitzer-Historie weiter zurück. In der Rubrik „Glittermania – Geschichte des Glitzerns“ lernt man, dass dieses Material 1934 in New Jersey erfunden wurde. Zunächst diente es vor allem als Dekoration für Festtage. Bis es Künstler für sich entdeckt haben. Geglitzert, sagt die Kuratorin Nina Lucia Groß, werde überall: „Im Pop, im Country, im Rock und natürlich in der Disco-Szene.“
Wie vielseitig Glitzer tatsächlich ist, können die Besucher im „Glitter Craft“-Raum im D.I.Y.-Verfahren selbst erkunden. Noch sind die Wände weiß, doch Nina Lucia Groß hofft, dass bald alles schimmern und glänzen wird.

Glitzer. Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg. Steintorpl., Hamburg. Bis 26.10.25

Bildquellen

  • Gisela Vola: „Untitled“, aus der Serie „Marea Verde“, 2018: © Gisela Vola
  • Ausstellungsansicht “Glitzer” im MK&G: Foto: Henning Rogge