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Zwischen Klischees und knallharten Riffs: Hat die Metalszene ein Männerproblem? (ESC 2025)

Die Scheinwerfer tauchen die Bühne in ein gleißendes Licht, das sich auf glänzenden Rüstungen und den verzierten Instrumenten der Musiker:innen spiegelt. Johanna von der Vogelweides Geige ruht auf ihrer Schulter, der Bogen schwebt für einen kurzen Moment über den Saiten – dann erklingt der erste, messerscharfe Ton. Die Bühne des ESC-Vorentscheids wird zum Schauplatz einer unausgesprochenen Debatte: Wie viel Platz wird Frauen in der Metal-Szene eingeräumt?
Die 2004 gegründete Band Feuerschwanz schaffte es bis ins Finale des Vorentscheids „Chefsache ESC 2025“. Ihr Song „Knightclub“, der mittelalterliches Flair mit modernen Metal-Elementen verbindet, wurde mit 49 Prozent mit Abstand am häufigsten von den neun Vorentscheids-Beiträgen gestreamt und kristallisierte sich als Publikumsliebling heraus. Die Jury traf vor der Zuschauerabstimmung eine Vorauswahl, sehr zum Ärger vieler Fans. Das Ergebnis: Die fränkische Band wurde aussortiert. Das Jury-Mitglied Stefan Raab räumte der Band im Wettbewerb eher geringe Chancen ein, da beim Telefonvoting zu 60 Prozent Frauen anriefen: „Das muss man mit bedenken.“ Für Unmut sorgte auch Moderatorin Barbara Schöneberger, die die Band als „muskelbepackte Männer mit stahlharten Brüsten“ ankündigte, die in vollständiger Besetzung mit drei Frauen auf der Bühne steht, an diesem Abend jedoch nur mit Geigerin Stephanie Pracht alias Johanna von der Vogelweide.

Hart, laut, aggressiv und vielfältig?
Die Metal-Szene hat den Ruf männerdominiert zu sein. Attribute wie hart, laut und aggressiv werden der Metalmusik üblicherweise zugeschrieben. Diese Charakteristika werden traditionell Männern nachgesagt und zeichnen ein sehr einseitiges Bild.
Während laut einer Befragung für das Buch „Metal – Musik, Szene und Lebenseinstellung“ von Roland Hesse (2012) nur etwa 14 Prozent der Besuchenden von Metal-Festivals Frauen waren, rechnete der Veranstalter von Rock am Ring und Rock im Park 2019 bereits mit 40 Prozent Frauen unter den 160.000 Fans.
Dass Frauen auf Metal-Festivals längst keine Minderheit mehr sind, haben auch die Veranstalter:innen realisiert. In einer Gesellschaft, in der sexuelle Übergriffe und Gewalttaten gegenüber Frauen zum Alltag gehören, erkennen immer mehr Festivals die Notwendigkeit, aktiv etwas dagegen zu tun und arbeiten mit Awareness-Teams zusammen, wie zum Beispiel das Metal-Festival Summer Breeze 2025 mit dem Verein Act Aware e.V..

Frauen erobern die Metal-Bühnen
Männer dominieren die Bühnen der Festivals, die ein deutlich eintönigeres Bild als das Publikum aufzeigen. Beispielsweise hatte das Full Force Festival 2022 insgesamt 322 Musiker:innen auf der Bühne, darunter nur 17 Frauen. In den vergangenen Jahren hat es zunehmende Diskussionen über Diversität und Inklusion auf Metal-Festivals gegeben. Aktive Bemühungen zeigen die Veranstalter von Rock am Ring und Rock im Park. Sie geben an, dass 2023 der Anteil von Bands mit nicht männlich gelesenen Personen bei knapp 30 Prozent liegt, was mehr als einer Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr entspricht.
Frontfrauen im Metal sind schon lange keine Ausnahme. Als „Queen of Metal“ wurde Doro Pesch in Deutschland mit ihrer 1983 gegründeten Band Warlock bekannt. Sie beweist, dass Frauen von Anfang an live auf der Bühne mithielten.
Heutzutage ist die Zahl von Metalbands mit weiblichen Mitgliedern deutlich gestiegen. Beispiele hierfür sind Bands wie Nightwish, Epica, Jinjer, Within Temptation und League of Distortion. Sie zeigen, dass Frauen in verschiedenen Subgenres des Metal aktiv sind und zur Vielfalt der Szene beitragen.

Überschreiten von Gendergrenzen
Die bewusste Grenzüberschreitung zwischen Geschlechterrollen hat in der Metalszene eine lange Geschichte. Auf der einen Seite finden sich die Glam Metal Bands der 1980er Jahre, wo ein androgynes Erscheinungsbild unter männlichen Musikern weit verbreitet war. Mit hautengen Spandex-Leggins, dramatischem Make-up und hochtoupiertem Haar spielten Bands wie Cinderella oder Twisted Sister mit Klischees. Auf der anderen Seite stehen Frauen, die sich männlich geprägte Ausdrucksweisen aneignen und somit etablierte Weiblichkeitsbilder hinterfragen. Wie das konkret aussehen kann, zeigt auch die Musikerin Alissa White-Gluz der schwedischen Metalband Arch Enemy. Sie praktiziert das metal-typische „Growling“, eine Gesangstechnik, die besonders kehlig und tief klingt und primär von Sängern praktiziert wird.

Freiburgs Metal-Stimme für Feminismus
Dass Feminismus und Metal nicht nur koexistieren, sondern zusammengehören zeigt die Band League of Distortion mit der aus Freiburg stammenden Frontfrau Anna Brunner. Die Band setzt sich aktiv mit feministischen Themen auseinander und thematisiert in ihren Texten unter anderem die Suche nach Identität, toxische Beziehungen, Geschlechtergleichheit und sexuellen Missbrauch.
Ein Beispiel hierfür ist ihr Song „I‘m a Bitch“, der sich mit gesellschaftlichen Vorurteilen und Ungleichheiten auseinandersetzt: „Men shall reproduce themselves, Satisfying their desire, Procreate for humankind, Hunter-gatherer by design“. Darauf wird in dem Lied provokativ mit „But I’m A Bitch, Right?“ geantwortet. In einem Interview mit morecore.de äußert sich die Sängerin wie folgt: „Es gibt ja Casanova und Gigolo. Das sind alles so schöne Worte für einen Typen, der viele Frauen hat. Und dann gibt es diese Wörter Bitch und Slut und diese ganzen, finde ich, furchtbaren Bezeichnungen für eine Frau.“
Es bleibt also die Frage: Wie kann die Metal-Szene diverser und inklusiver werden? Ein wichtiger Schritt ist, weiblichen, nicht-binären und queeren Musiker:innen mehr Sichtbarkeit zu geben. Veranstalter:innen, Labels und Fans können dazu beitragen, Stereotype aufzubrechen und Vorurteilen entgegenzuwirken. Letztlich liegt es an der gesamten Community, eine offene und gleichberechtigte Szene zu schaffen, in der alle Musikbegeisterten ihren Platz finden, unabhängig von Geschlecht oder Identität. Denn Metal war schon immer eine Form des Widerstands und der Freiheit – warum also nicht auch in dieser Hinsicht?

Bildquellen

  • Twisted Sister: © Music Box Films