Kunst

Wenn das Telefon klingelt …: Kunst und Literatur 12 – Ausstellung des BBK zu Ingeborg Hecht

Mit erstaunlicher Kontinuität realisiert der BBK-Südbaden einfühlsam seine Projekt- und Ausstellungsserie zu „Kunst und Literatur“, sinnfällig wegen der stets engen Beziehung des literarischen und des bildnerischen Genres. Alle zwei Jahre wird das Projekt ausgelobt. Zuletzt 2023 galt die Themenstellung Marie Luise Kaschnitz, der Frau des Archäologen Guido von Kaschnitz, und ihrer Beschreibung des Dorfes Bollschweil, wohin es sie wegen der beruflichen Vita ihres Mannes und seiner Professur an der Freiburger Universität verschlagen hatte. Jetzt ist das Thema der erschütternde Bericht von Ingeborg Hecht-Studniczka (der Schwiegervater war ebenfalls Klassischer Archäologe und von 1889 bis 1896 Ordinarius in Freiburg), sie selbst verstarb 2011: und blieb bis zum Ende treues Mitglied des Freundeskreises der Archäologischen Sammlung. Seit 1948 wohnte sie in Badenweiler, ab 1954 in Freiburg, in Staufen ist sie begraben.
Das Hauptwerk der Journalistin und Literatin ist die Autobiografie „Als unsichtbare Mauern wuchsen“ (1984): die Darstellung ihrer eigenen „Familie unter den Nürnberger Rassegesetzen“ (wie es im Untertitel heißt). Der jüdische Vater sah sich seit 1935 Verfolgungen der Nazis ausgesetzt und wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Zu Beginn der einzelnen Kapitel ihres Buches zitiert Hecht jeweils eine der Verordnungen der NS-Rassegesetzgebungen. Auch sie selbst war folglich als „Halbjüdin“ in ihrer schulischen und beruflichen Ausbildung massiv eingeschränkt. Die Textauswahl der Veranstalter ist aktuellen antisemitischen Tendenzen von rechts in Deutschland geschuldet – und somit ein deutliches und richtiges Zeichen.
Aus den eingegangenen Bewerbungen wählte die Jury Arbeiten folgender Künstler*innen aus (so viele wie noch nie): Waltraut Brügel, Verena Fuchs, Jürgen Giersch, Diethild Herbolzheimer-Böttner, Clemens Hunger, Angelina Kuzmanovic, Ludwig Quaas, Sabine Ritz, Eva Rosenstiel, Doris Ruch-Hummel, Konrad Wallmeier, Birgit Weber, Ulrike Weiss, Elisabeth Zeller. Wie schon in den Vorjahren kuratierten Chris Popović und Almut Quaas das Projekt.

Konrad Wallmeier: „Nummern der Entrechtung“, Interaktives Sound-Objekt, 2025 © Wallmeier

Eine kurze Vorschau: Waltraud Brügel nimmt metaphorisch die menschliche Haut als Sinnbild für Verletzlichkeit in ihren Pergament-Arbeiten. Jürgen Giersch liefert ein 2016 aus der Erinnerung gemaltes Bild der Rotbuchen an der Hamburger Außenalster, wo er selbst einst wohnte und in der Umgebung eben auch Ingeborg Hecht aufwuchs. Eindrücklich wirkt das Eisen-Gestell zweier antithetischer menschlicher Figuren von Clemens Hunger, die sich in so verschiedener Pose gegenüberstehen: selbstbewusst-herrisch und gedemütigt-unterworfen. Eva Rosentiel begibt sich gleichsam in die Nachfolge Hechts bei ihrer Spurensuche in der eigenen Familie: der “Ahnenpass” des Vaters und historische Familienfotos collagiert sie mit roten “Wundblumen”, wie sie schreibt.
Herausstechend erscheint uns die Arbeit des Freiburgers Konrad Wallmeier, der mit seinen technisch-elektronischen Konstrukten, die stets einen tiefen Hintersinn bergen, auf sich aufmerkam macht. Er baute jetzt über einem alten Koffer, Symbol für Reise und Vertreibung gleichfalls, ein historisches Telefon, dessen Wählscheibe verschiedene Optionen bietet: Zahlen zwischen 1 und 56 können gewählt werden, jede Ziffer repräsentiert einen Paragraphen der NS-Rassegesetze, über einen Lautsprecher werden sie vorgetragen. Unter der Ziffer 0 erscheint ein O-Ton von Ingeborg Hecht. Das Blitzlicht oben leuchtet beim Näherkommen blau auf. Eine absolut geistreiche und hintergründige Idee und Installation!
Wer mehr über das Vorhaben erfahren möchte, dem sei der Besuch der Ausstellung wärmstens empfohlen.

Kunst und Literatur. T66/BBK-Südbaden, Talstraße 66, Freiburg. Do, Fr, So, 13–17 Uhr, und nach Vereinbarung. Bis 13.4.25

Bildquellen

  • Konrad Wallmeier: „Nummern der Entrechtung“, Interaktives Sound-Objekt, 2025: © Wallmeier
  • Ingeborg Hecht, 1983: © Willy Pragher