Wahlheimaten und Wahlverwandtschaften

„I don’t care about Bach. I know everything about Beuys“, steht auf einer Stofftasche, die an der Wand im Kunsthaus L6 hängt. Ein Kalauer gewiss. Und hört man Michaela Tröscher, bzw. the Icelandic pianist, spielen, hält man es durchaus für möglich, dass sie viel über Beuys weiß, aber glaubt nicht so ganz, dass Bach ihr völlig egal ist. Dieser „Icelandic Pianist“ hätte bestimmt mit seiner Musik die Schiffspassage nach Amerika zahlen können. Michaela Tröschers Einzelausstellung im Kunsthaus L6 speist sich aus einer Erzählung, die auf einer Reihe realer Orte und biografischer Versatzstücke beruht.
Die Karte zeigt Zentraleuropa, doch die Städte Freiburg, Basel, Bonn sind New York, Montreal und Toronto überschrieben. Eine rote Linie markiert den Weg, den viele Auswanderer im 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert gingen, sie endet nicht am Überseehafen, sondern geht über den Kartenausschnitt hinaus. Zwei Bewegungen kennzeichnen den Erzählkosmos Tröschers. Es ist einerseits die Auswanderung ihres Großonkels nach Amerika, der 1914 vor dem drohenden Krieg in ein Land floh, das ihm ein besseres Leben als das eines Soldaten versprach. Andererseits ist es Tröschers eigener Aufenthalt auf Island, das sie bereits während ihres Studiums in Saarbrücken bereiste. Sie lebte dort dreieinhalb Jahre, lernte die Sprache und die Romane von Bödvar Gudmundsson schätzen, der wiederum von der Auswandererbewegung der Isländer nach Kanada erzählt. Aus diesen biografischen Eckdaten ist in den letzten Jahren ein Werk entstanden, in dem sich alles überlagert. Die eigene Fahrt mit einem Containerschiff in die USA mit der Auswanderung des Uronkels aus dem Schwarzwald in die USA, Orte bekommen ein zweites Leben. So wirken ihre beiden Zeichnungsserien „New York’s Interieur“ und „The Drawn New York“ nur auf den ersten Blick linear, das Semi-Fiktive an ihnen schafft Nebenwege und Abschweifungen aus der Logik der Erzählung. Für sich selbst hat Michaela Tröscher die Rolle des Icelandic Pianist geschaffen, zu festen Zeiten ist sie im Kunsthaus L6 zu hören.
Im Kunsthaus L6 sind selbst ihre Skulpturen mobil. Sie stehen wie Möbel bereit für einen Umzug auf Bretter mit Rollen. Ein blauer Spanngurt verschnürt einen Betonblock mit mehreren Stoffschichten und einem Packen Äste, von denen einer weiß bemalt ist. Tröscher schichtet in ihren Arbeiten, seien es Abgüsse auf Tischen oder mehrere Objekte auf Podesten. Sie schafft dadurch eine Gleichzeitigkeit, die es ihr erlaubt, die Orte zu überlagern. Ihre Collagen zeigen dies in Engführung. Tröscher behält dabei das Postkartenformat der historischen Aufnahmen bei, verbindet aber etwa einen Warteraum eines Bahnhofs mit der Ankunftshalle in Ellis Island und der zeitgenössischen Fotografie einer Frau am Klavier. Eine andere verbindet die Ansicht eines Brunnens, der inmitten eines Parks ein beliebter Treffpunkt gewesen zu sein scheint mit der Vervielfältigung der Künstlerin im weißen Kleid. Die Wege haben Spuren hinterlassen.

The Immigration. Michaela Tröscher – the Icelandic pianist. Kunsthaus L6, Lameystr. 6, Freiburg. Do/Fr 16 bis 19 Uhr, ab 17 Uhr Klavierimprovisation, Sa/So 11 bis 17 Uhr, ab 14 Uhr Klavierimprovisation. Bis 13. März 2022.

Bildquellen

  • The Immigration. Michaela Tröscher – the Icelandic pianist: Foto: Marc Doradzillo