Unvollendete Revolution

Das Theater Freiburg beginnt die neue Saison mit Robert Schusters Inszenierung von „Dantons Tod

Iris Melamed, Linda Lienhard, Matthias BreitenbachFoto: Maurice Korbel

Schick sieht das aus. Die Tür auf der Großen Bühne des Theater Freiburg geht auf und sieben Menschen durchqueren zu dynamischen Beats die Leere. Dann geht das Licht an, man trägt dunkle Anzüge, akkuraten Haarschnitt, Trainingsjacke und Rock, rechts hängt ein prekär wirkendes Bündel von Neonröhren, von denen ein Strang Kabel zum Boden reicht. Es ist die Ahnung einer Guillotine, schließlich wird Georg Büchners „Dantons Tod“ gespielt. Und wer, wenn nicht wir, wüssten es besser, Revolutionen haben ihren ganz eigenen Sexappeal. Egal, was kommt, jedem Protest haftet der Reiz des Neuanfangs an.
Erneut ist es an Robert Schuster, mit einer Inszenierung in Freiburg die neue Theatersaison zu eröffnen. Man kann die Intention der Intendanz des Theater Freiburg verstehen, bereits Schusters „Ratten“ hatte das Potential über die gesellschaftliche Rolle des Theaters zu reflektieren, „Dantons Tod“ ist nun – wenn wundert es angesichts des Stoffes der Französischen Revolution – um einiges politischer und auch das Verhältnis von Leben und Kunst radikaler. Die Freiburger Fassung von Büchners Revolutionsdrama (Robert Schuster, Josef Mackert), ist die einer sozialen Revolution, die noch an kein Ende gekommen ist. Mit gut 200 Minuten Dauer hat die Inszenierung die Länge eines Historiendramas und ist doch ein Ideenstück.

Die Fassung dampft das an Personen reiche Drama Büchners auf die Hauptpersonen Danton, Desmoulins, Robespierre und Saint Just sowie auf die Personifikation der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ein, durch die auch Julie und Lucile in Erscheinung treten. Wenn Iris Melamed, Linda Lienhard und Roger Bonjour jeweils in eine der drei Stoffbahnen der Trikolore gehüllt werden und mal eine Freiheitsstatue, mal eine in ein blaues Tuch verhüllte Burkaträgerin sichtbar wird, weiß man, dass hier auch die Gegenwart verhandelt wird.
Die Inszenierung setzt mit der Theodizee ein, die im Drama später verhandelt wird. Sie wird im Laufe des Abends anhand von Augenzeugenberichten das Septembermassaker streifen und immer wieder werden auf eine kassettierte, metallisch glänzende Wand historische und aktuelle Aufnahmen von politischen Aufständen projiziert, die unscharf bleiben (Video: Robert Schuster, Jens Dreske). Später wird diese Wand zum Tribunal (Bühnenbild und Kostüme: Sascha Gross). „Dantons Tod“ kreist um den Konflikt zwischen Danton und Robespierre, zwischen dem vermeintlichen Laster und der Tugend, der hier durch den eigentlichen Vollstrecker St. Just (Bozidar Kocevski) Dynamik bekommt.
In der Freiburger Inszenierung ist Danton (sehr sehenswert: Matthias Breitenbach) ein Elder Statesman, dem man beim Altern und Resignieren zu sehen kann. Kurz vor der Verhaftung als Danton ganz wörtlich nicht in die Schuhe kommt, beginnt er zur Musik von zeitblom zu tanzen. Es ist weniger ein Bekenntnis zur Gegenwart als deren Verleugnung. Da dies nicht sein kann, fällt auch Camille Desmoulins (Konrad Singer) ein. Was bei Matthias Breitenbachs Danton ein rhythmisches Zittern ist, wird bei Singer zur ausgestellten Ekstase. Dies ist eine der eindrücklichsten Szenen des Abends, erzählt sie doch ganz ohne Worte von Gefolgschaft und einer faktenschaffenden Leugnung der Tatsachen.
Es wird jedoch Robespierre sein (Martin Weigel), der das Publikum bei angeschaltetem Saallicht an seine eigene Moral erinnert. Denn alle zehn Sekunden stirbt ein Kind und erschwingliche Handys sind solche, für die Coltan im Kongo unter menschenverachtenden Bedingungen abgebaut wird. Es gibt in dieser Inszenierung keine sichere Seite, auf die man sich schlagen könnte. Wenn am Ende die Guillotine gesprochen hat und sich der Raum verengt, ist es anscheinend der Zuschauersaal, der zum Sarg wird. Ein gelungener Saisonauftakt.
Weitere Vorstellungen: 3./4./ 12./25. Oktober im Großen Haus des
Theater Freiburg.

Annette Hoffmann