Umfassende Einblicke in James Ensors Werk und Leben in der Kunsthalle Mannheim

Die Masken weisen den Weg. Im historischen Jugendstilgebäude widmet die Kunsthalle Mannheim James Ensor, dem „Maler der Masken“, bis zum 3. Oktober eine Sonderausstellung. Nicht ganz zufällig, denn das Haus am Mannheimer Friedrichsplatz hatte 1927 Ensors Gemälde „Der Tod und die Masken“ gekauft und dem belgischen Künstler 1928 schon einmal eine Einzelausstellung ausgerichtet. Den Nationalsozialisten galt Ensors Kunst als „entartet“. „Der Tod und die Masken“ wurde 1937 beschlagnahmt und zwangsversteigert. Extra für die Sonderausstellung ist das Bild nach Mannheim zurückgekehrt.

James Ensor, „Der Tod und die Masken“, 1897

In der Schau lernt man den eigenwilligen James Ensor biografisch und künstlerisch kennen. Er wurde 1860 als Sohn eines britisch-flämischen Ehepaars im belgischen Ostende geboren. Bis auf sein Studium blieb er sein Leben lang im Elternhaus. Andere Künstler seiner Generation wollten mindestens für einen Studienaufenthalt nach Paris, um diese Stadt und ihre Atmosphäre in impressionistischen Farben einzufangen. James Ensor malte, zeichnete und radierte Ostende und die Landschaft um die belgische Hafenstadt. Seine Radierungen sind filigrane Miniaturkunstwerke.
Über zwei Stockwerke hinweg erhält man einen umfassenden Einblick in Ensors Werk und auch in sein Leben. Die Selbstbildnisse, Porträts der Familienmitglieder und Fotografien des Ateliers vermitteln den Eindruck eines bürgerlichen Lebens im 19. Jahrhundert. Schwere Möbel, durch Vorhänge abgedunkelte Räume. Kein Wunder, dass James Ensor Zeit seines Lebens durch helle, verspielte, manchmal kindhafte Grafiken in eine Fantasiewelt wechselte. Sein Vater war der Einzige, der Ensors künstlerisches Talent verstand und förderte. Den Frauen der Familie wäre es wohl lieber gewesen, er hätte etwas „Vernünftiges“ gelernt und den Souvenirladen weitergeführt.
Die Inspirationen aus dem Souvenirladen seiner Eltern, die Muscheln, die aus Asien importierten Vasen, Fächer und Figuren, entdeckt man in Ensors Werk immer wieder. Am deutlichsten in dem Ballett „La gamme d’amour“, zu Deutsch „Die Liebestonleiter“, 1922 uraufgeführt. Ensor entwarf die Handlung, die Musik und die Kostüme, die man auf den 21 ausgestellten Lithografien bewundern kann. Die Muscheln und andere Gegenstände aus dem Souvenirladen von Brutonne und Grognelet erwachen zum Leben und sorgen dafür, dass sie der Hochzeit ihrer Tochter Miamia mit Fifrelin zustimmen. Ensor schuf da eine eigene Welt aus Elementen der Commedia dell’arte, orientalischen Anleihen und fantastischen Fabelwesen.
Eindrucksvoll sind James Ensors Stillleben. Er verlieh der niederländisch-flämischen Tradition, Blumen, Gemüse und tote Tiere in üppigen Farben zu inszenieren, eine eigene Dimension. „Die Austern­esserin“ verkörpert sichtbar den Genuss. Seine Darstellung eines toten Rochen entwickelt sich innerhalb von 12 Jahren von einer gelungenen Abbildung zu einem Wesen mit menschenähnlichen Zügen. „Der tote Hahn“, von der Kunsthalle Mannheim in den 1950er Jahren als Ersatz für das zwangsversteigerte Gemälde „Der Tod und die Masken“ erworben, rückt auch tatsächlich den toten Hahn in den Bildmittelpunkt. Im Hintergrund ein weißes Tuch, hängt der Hahn mit seinem farblich perfekt getroffenen Gefieder da, dass einem bewusst wird, warum das Stillleben im Französischen „Nature morte“ heißt, also „tote Natur“.
Der Tod ist ein prägendes Thema, das sich über viele Jahrzehnte durch James Ensors Werk zieht. Er selbst stellte sich auf einem Selbstporträt mit einem Totenkopf dar. Seine Eltern und seine Tante hat Ensor gezeichnet bzw. gemalt, als sie im Totenbett lagen. Das klingt morbide, doch sieht man den Bildern an, mit wie viel Hingabe sie entstanden sind. Hier zeigt sich die intensive Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Tod, den er für sich selbst in „Mein Porträt im Jahre 1960“ durchgespielt hat – da wäre Ensor Hundert gewesen.
Der Tod trifft in Ensors Arbeiten immer wieder auf das andere große Thema, die Masken. Dieses Sujet geht zurück auf die große Karnevalstradition in Ostende, die der Maler ebenfalls im Bild eingefangen hat. Zunehmend stehen die Masken aber auch als Metapher für die Kritiker, die Ensors Arbeit nicht verstanden haben, und auch für die Gesellschaft allgemein. Nicht so verzerrt und düster wie bei Otto Dix, aber doch bewusst überspitzt, tummeln sich allerlei Masken im Großformat in Ensors Bilderwelt. Aber sie feiern nicht ungestört, der Tod ist nicht fern. Er erscheint in Gestalt kleiner, fliegender Sensenmänner im Hintergrund. In „Der Tod und die Masken“ mischt er sich unter die Feiernden und steht mit breitem Grinsen im Mittelpunkt. Das ist aber nicht in dunkle Farben gehüllt, sondern in strahlendes Weiß, Himmelblau und leuchtendes Rot.
Während das Spätwerk anderer Künstler oft düster wird, werden die späten Stillleben bei Ensor immer leichter, heller, luftiger. Selbst die Wahrnehmung, dass die eigene Lebenszeit abläuft, dargestellt durch die alte Uhr, wirkt keineswegs resigniert. An der Seite locken tanzende Frauengestalten als wollten sie sagen: Tod, wo ist dein Stachel?

„James Ensor“, Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4. Di, Do-So 10-18h, Mi 10-20h, Eintritt 12€, erm. 10€, Abendkarte 8€, jeden 1. Mittwoch im Monat von 18-22h freier Eintritt, www.kuma.art. Bis 3. Oktober 2021

Bildquellen

  • James Ensor, „Das malende Skelett“, 1896, Öl auf Holz: Foto: Hugo Märtens