Rock The Kasbah

Im Gespräch: Arian Fariborz, Politik- und Islamwissenschaftler

Arian Fariborz

Die arabische Revolution hat einen ganz eigenen Sound. In seinem detailliert recherchierten Buch „Rock The Kasbah“ untersucht der in Hamburg geborene Politik- und Islamwissenschaftler Arian Fariborz Musik als Ventil für sozialen und politischen Protest in der arabisch-islamischen Welt. Olaf Neumann wollte wissen, unter welchen Bedingungen junge Rockmusiker in der islamischen Republik Iran arbeiten. Kann Rap zur Versöhnung zwischen der neuen Generation der Israelis und der Palästinenser beitragen?

Kultur Joker: Nationale Pop-Musik ist in Nordafrika und im Mittleren Osten Ausdrucksmittel politischen Protests oder gesellschaftlicher Verweigerung. Welche Rolle spielen Musiker bzw. Künstler bei der arabischen Revolution in Ägypten, Tunesien, Libyen, Syrien oder Iran?

Arian Fariborz: Sie haben in einigen Ländern eine beachtliche Rolle gespielt. Das macht das Beispiel der sogenannten „Jasmin-Revolution“ in Tunesien, die den Diktator Ben Ali hinweggefegt hat, nur allzu deutlich. Der Song „Rayes le-Bled“ des Rappers El Général (alias Hamada Ben Amor) avancierte in der „heißen Phase“ des Volksaufstands zu einer Revolutionshymne, die die junge Facebook-Generation begeistert aufnahm und in Umlauf brachte. Bands haben die Proteste dort musikalisch begleitet und sich solidarisch mit der Reformbewegung gezeigt. Diese Protestwelle beschreibe ich in meinem Buch.

Kultur Joker: In Ägypten und Marokko ist Heavy Metal sehr populär, in Palästina und Algerien wird eher gerappt. Woher kommen die unterschiedlichen Vorlieben?

Fariborz: Tatsächlich lässt sich das nicht ohne weiteres eingrenzen oder pauschalisieren. Auch in Marokko existiert eine vitale Metal- und Rockszene. Sie präsentiert sich alljährlich auf dem Boulevard de Jeunesse-Festival in Casablanca. Das Beispiel der Metal­szene in Ägypten unterstreicht lediglich, wie eine Subkultur, die sich bis Mitte der 1990er Jahre zu einer beachtlichen Jugendmusikbewegung etablieren konnte, dem Staat und den religiösen Autoritäten zunehmend ein Dorn im Auge wurde. In der Folge wurde sie zerschlagen. Dieses Phänomen scheint mir bezeichnend für viele autoritär regierte Staaten im Nahen Osten und im Iran – allesamt Regime, die eine restriktive Kulturpolitik verfolgen.

Kultur Joker: Auch in der islamischen Republik Iran existiert eine lebendige Musikszene. Die populärste Rockband hieß O-Hum, sie wurde 2005 verboten. Inwieweit sind Rock- und Pop-Gruppen unter Präsident Ahmadinedschad offiziell noch erlaubt?

Fariborz: Ihre kulturelle Freiheit verläuft in sehr engen Bahnen, sofern sie sich nicht den Auflagen des Ministeriums für Kultur und islamische Führung („Ershad“) entsprechen. Mit anderen Worten: Sie landen in der Illegalität, spielen im Untergrund und versuchen über das Internet ihre Musik bekannt zu machen. Das Internet stellt vor allem in den autoritär regierten Staaten das primäre Medium zur Verbreitung offiziell verbotener oder zensierter Musikproduktionen dar. Im Iran haben Undergroundrock-Musiker, die im wahrsten Sinne des Wortes im Untergrund spielen müssen, da ihre Klänge bei den religiösen Obrigkeiten zu sehr anecken, keine andere Wahl, als auf das Internet zurückzugreifen. Allerdings fristen sie allzu oft ein Schattendasein. Sofern ihre Musik verboten ist, dürfen sie nicht öffentlich auftreten oder ihre Produktionen auf Tonträgern verbreiten. Sich als professioneller Musiker durch das Labyrinth an Restriktionen zu winden, gleicht da schon einem Spießrutenlauf.

Kultur Joker: Wo verlaufen die Grenzen zwischen erlaubten und verbotenen Tönen?

Fariborz: Man muss hierzu wissen, dass in der Islamischen Republik sämtliche Musikproduktionen dem Ministerium für Kultur und islamische Führung („Ershad“) vorgelegt werden müssen, bevor ihnen der „Segen“ zur Veröffentlichung erteilt wird. So etwas gibt es wohl in keinem anderen Land der Welt. Wer gegen die Auflagen des Kulturministeriums verstößt, wird mit Auftrittsverboten belegt oder darf keine Tonträger mehr herausgeben. Falls sie sich daran nicht halten sollten, drohen ihnen Strafen und unangenehme Befragungen.

Kultur Joker: Worüber singen die iranischen Bands heute?

Fariborz:
Viele musikbegeisterte junge Iraner schwören derzeit auf iranische Rock- und Bluesbands wie Ohum und Abjeez, aber auch den Singer/Songwriter Mohsen Namjoo. Sie treffen den Nerv der Jugend, indem sie die gesellschaftliche Tristesse in der islamischen Republik, die fehlenden persönlichen Freiheiten, das oktroyierte religiöse Regelwerk aus Ge- und Verboten mit ihren Songs in Frage stellen. Auf diese Weise sprechen sie der jüngeren Generation – und zwar nicht nur der gehobenen Mittelklasse – aus dem Herzen.

Kultur Joker: Haben die jungen Musiker Möglichkeiten, sich der Kontrolle durch Mullahs und Tugendwächter zu entziehen, die Popmusik als „westlich-dekadentes Teufelszeug“ brandmarken?

Fariborz: Den Bands gelingt es, dank ihrer sehr kreativen, originellen und metaphernreichen Spielweise und Texte, der Jugend Hoffnung zu geben. Sie brechen das erstarrte Gesellschaftsgebäude um sie herum auf, wobei plumper politisch angehauchter Agit-Prop völlig fehl am Platz ist.

Kultur Joker: Ortswechsel: Die bekannteste palästinensische Hip-Hop-Gruppe ist DAM. Das bedeutet auf Hebräisch „unbesiegbar“, auf Arabisch „Blut“. Welchen Einfluss haben solche Bands auf die Jugend?

Fariborz: Einen großen, zumal die palästinensische Jugend eher über Musik zu erreichen ist, als über die immer gleichen schnöden Parolen und Versprechen der politischen Führer, derer sie seit langem überdrüssig sind. Ihre Musik ist Ausdruck von Verweigerung und sozialem sowie politischem Protest. Damit zielen sie bewusst gegen die Herrschenden in ihrem Land – sowohl gegen die Hamas als auch gegen die Fatah. Man darf nicht vergessen, dass in jüngster Vergangenheit Hip-Hop-Musiker von der Hamas verfolgt wurden, da ihnen ihre Musik ohnehin als westlich-dekadent und zu rebellisch gilt. Und auch die Fatah dürfte es nicht als besonders schmeichelhaft auffassen, wenn palästinensische Rapper in ihren Songs die grassierende Korruption der politischen Eliten im Westjordanland anprangern.

Kultur Joker: Kann Musik zur Versöhnung zwischen der neuen Generation der Israelis und der Palästinenser beitragen?

Fariborz:
In jedem Fall. Es gab bereits in der Vergangenheit engagierte Musikkooperationen und Projekte zwischen israelischen und arabischen Musikern. Bandformationen, die ihre Hoffnung in eine Wiederaufnahme der festgefahrenen Nahostfriedensgespräche und einen neuen gesellschaftlichen Dialog zwischen Israelis und Palästinensern Ausdruck gegeben haben. Auch wenn heute der Frieden in weite Ferne gerückt zu sein scheint, glaube ich, dass die jüngere Generation in dieser Region an diesem Ziel festhalten wird. Dass irgendwann die Mauern in den Herzen fallen werden und die offensichtlich gescheiterte Politik der älteren Generation, der greisen Funktionäre und Apparatschiks, ein Ende haben wird. Die Zukunft gehört der Jugend.

Kultur Joker: In den 90er wurden in Algerien populäre Rai-Sänger wie Cheb Hasni von Islamisten ermordet. Die Thrash-Metal-Band Acrassicauda aus Bagdad bekam Morddrohungen und musste den Irak 2006 verlassen, nachdem in ihrem Proberaum eine Bombe explodierte. Sind die Islamisten für die Bands inzwischen gefährlicher als der repressive Staat?

Fariborz: Die Islamisten stellen tatsächlich für viele junge Kulturschaffende eine große Gefahr dar – schon allein deshalb, weil sie versuchen, ihre orthodoxen Glaubensvorstellungen der Jugend aufzuzwingen. Ihre Toleranz verläuft in sehr engen Bahnen. Das gilt übrigens für den gesamten islamisch geprägten Raum. Militante Islamisten schrecken vor physischen Attacken oder Mord nicht zurück. Sie brandmarken künstlerische Produktionen als westlich-dekadent oder ketzerisch. Erschreckende Beispiele für diese Intoleranz und Verfolgung von unabhängigen Kulturschaffenden findet man von Jakarta bis Rabat.

Kultur Joker: Im syrischen Exil spielte Acrassicauda 2006 ein Konzert und nahm dort auch eine Demo-CD auf. War al-Assad vor der syrischen Revolution liberaler als andere arabische Despoten, was Kunst und Kultur betrifft?

Fariborz: Das glaube ich nicht. Vielleicht hat einer der vielen syrischen Geheimdienste geschlafen und den infernalischen Lärm nicht mitbekommen? Nein, ich glaube, dass sofort der Stecker gezogen worden wäre, wenn die Band irgendetwas gegen das Baath-Regime gesagt hätte. Von einem liberalen Kulturklima in Syrien kann nicht die Rede sein. Alles wird dort vom Staat kontrolliert.

Kultur Joker: Welchen Stellenwert haben Rock- und Pop-Sänger in der arabisch-islamischen Welt? Gibt es dort eine ähnliche Star-Anbetung wie bei uns?

Fariborz: Bei den Musikern, die ich in meinem Buch vorstelle, handelt es sich um keine Stars der Mainstream Rock- und Popszene, die über kommerzielle Sender wie Rotana-TV in der arabischen Welt allgegenwärtig sind. Ich stelle Bands und Musiker vor, die in der Öffentlichkeit eher ein Schattendasein führen, da sie mit ihren Klängen zu sehr anecken. Populär sind sie aber gewiss innerhalb bestimmter alternativer Musikkreise: Die Rede ist hier von den iranischen Rockbands Ohum oder Abjeez, aber auch von Hip-Hop-Gruppen wie der palästinensischen Rap-Crew DAM, der algerischen Band „Le Micro brise le silence“ (MBS) und den ägyptischen Rappern von „Arabian Knightz“. Fakt ist, dass all diesen sehr überzeugenden, originellen Bands schon allein aufgrund fehlender Spielräume und Restriktionen in ihren Heimatländern bislang kaum Chancen hatten, auch im internationalen Maßstab wahrgenommen zu werden.

Arian Fariborz – Rock The Kasbah. Popmusik und Moderne im Orient (Palmyra Verlag, Broschur, 182 S., Euro 17,90).

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