Robert Schuster inszeniert „Die Schutzflehenden“ im Theater Freiburg

Zwölf szenische Episoden zu den Themen Flucht und Europa

Eigentlich hätte Robert Schuster ja zwei von Shakespeares Königsdramen inszenieren sollen – und wohl auch wollen. Man wird dies im Verlauf des Abends, der drei Stunden dauern wird, noch das eine oder andere Mal hören und auch vorgeführt sehen. Doch dann verlangte die Gegenwart ihren Tribut vom Theater. Und der hieß Aktualität und Migrationskrise. Die deutschen Theater entdeckten Aischylos‘ „Die Schutzflehenden“.

Am Theater Freiburg steht seit Ende 2014 mit einiger Weitsicht Elfriede Jelineks Stück „Die Schutzbefohlenen“ auf dem Spielplan. Jetzt sollte es also durch die antike Tragödie um eine Gruppe von nordafrikanischen Frauen, die die Stadt Argos um Schutz und Aufnahme anflehen, flankiert werden. Doch Schuster seinerseits enthält nun den Zuschauern „Die Schutzflehenden“ vor und inszeniert stattdessen eine Art Nummernrevue, in der in zwölf Episoden das Thema der Flucht und Europa behandelt wird. Aischylos‘ Tragödie ist allenfalls noch ein Stichwortgeber, weitere sind laut Programmheft Heiner Müller, William Shakespeare, Franz Grillparzer, Gotthold Ephraim Lessing, Ernest Renan und Hannah Arendt. Man kann darin auch eine Verselbstständigung der Projekte-Macherei an deutschen Stadttheatern sehen mitsamt der damit einhergehenden Ermüdung. Die Größe des neunköpfigen Ensembles und auch die Bühne des Großen Hauses haben zwar Shakespeare-Format, doch eben dies bleibt die „Neuschreibung“ Schusters dem Publikum schuldig.

Die Bodenreform ist in Heiner Müllers Drama „Die Bauern“ im vollen Gange, mit einem überdimensionalen Zirkel schlägt die Geometerin (Johanna Eiworth) einmal diesem, einmal jenem Bauern Land zu, mühevoll bewegt sie sich über die drei weißen Bodenwellen, die Jens Kilian auf der Bühne aufgepflanzt hat. Es sind Kleinbauern und Flüchtlinge, die hier ihr neues Leben aufbauen sollen – allerdings ohne Saatgut und Pferde. So weit ging die Fürsorge im Arbeiter- und Bauernstaat dann doch nicht. Doch was war mit den Displaced Persons und den Überlebenden des Holocaust Mitte der 40er Jahre? Sie wurden wie Schiffbrüchige nach Palästina gespült und mussten bei der englischen Verwaltung (Heiner Bomhard gibt einen hochtrabenden britischen Kommandanten) um Aufnahme bitten. Ausgerechnet Charon, der Fährmann zwischen Leben und Tod (Iris Melamed) wird für die junge Jüdin Miriam (Marie Jordan) zur Einsagerin ihres Bittgesuches. – Mitte der 1940er Jahre gab es sechs Millionen Flüchtlinge in Deutschland und die Überlebenden des Holocaust suchten eine neue Heimat – ach, wirklich, wird einer der Darsteller später mit gespieltem Erstaunen fragen. Und zwischen diesem ostentativen Zeigen und seiner Dekonstruktion wird sich der ganze Abend bewegen.

Die Figuren sind keine eigentlichen Figuren, sie sind mal Allegorien, mal Bedenkenträger („was wäre, wenn es nicht zu schaffen ist“), mal gerade noch eine Argumentationslinie. Schwer zu sagen, ob „Die Schutzflehenden“ die Zuschauer oder die Schauspieler nicht ernst nimmt. Mit einigem Wohlwollen lässt sich in den verschiedenen Szenen so etwas wie der Prozess von Meinungsbildung erkennen. Das Verhältnis der Moderne zum Orient wird beleuchtet, die individuelle Suche einer jungen Palästinenserin nach dem Glück mit einem britischen Beamten, die Ablösung verschiedener Kulte. Da werden große Bögen gespannt. Die Inszenierung jedoch schlingert zwischen hohem Pathos und Trash. Und wenn am Ende noch einmal die Ideale Europas vor dem Reigen der antiken Götter beschworen werden, sind Hera und Co zwar nicht nackt, die Inszenierung schon. Das ist schnell gestrickt und ermüdend, wenn nicht einfach unnötig.

Weitere Vorstellungen: 2./4./ 6./16. März, Großes Haus, Theater Freiburg.

Annette Hoffmann

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