Raymond É. Waydelich: Retrospektive in der Städtischen Galerie Offenburg

Einfallsreicher Archäologe der Zukunft

Die Gegenwart als Vergangenheit betrachten und typische Utensilien unserer Zeit für die Nachwelt vergraben, das charakterisiert Raymond Waydelichs Projekt „Archäologie der Zukunft“ – ganz nebenbei wird so auf unsere Vergänglichkeit angespielt.

Als 1983 am Freiburger Augustinerplatz eine Tiefgarage ausgehoben wurde und mittelalterliche Gegenstände zum Vorschein kamen, fasste Waydelich etwa die Idee zu der Installation „3500 n. Chr.“. Per Kran wurden mehrere Autos herbeigeschafft und zerlegt, Beton zerschmettert, über die Wracks verstreut und alles hinter einer dicken Glasscheibe verstaut. Die Installation kann besichtigt werden (Schlüssel bei der Galerie Eberwein erhältlich).

Eine ähnliche „Gruft der Zukunft“ hat Waydelich in Straßburg eingerichtet (1997), sie darf erst im Jahr 3790 n. Chr. geöffnet werden und archiviert – atombombensicher – für spätere Epochen die Europäische Menschenrechtskonvention sowie Kugelschreiber, Taschenrechner u.v.a.
Damit ist das vielschichtige Oeuvre, das sich mit Witz und einprägsamen Bildern mit der Welt und dem menschlichen Treiben auseinandersetzt, noch unzureichend beschrieben. Ein weiterer Werkkomplex Waydelichs dreht sich nämlich um eine Schneiderin und Modeschöpferin namens „Lydia Jacob“, die, 1876 geboren, als eine Art fiktives Alter ego an seinen künstlerischen Erfindungen beteiligt ist; auf einem Flohmarkt hatte er Dokumente zu ihrer Biographie entdeckt, so dass er sie porträtieren kann. In einem Schrebergarten hat er ihr eine Hütte – aus Bronze – gebaut, unter der Fässer mit Saatgut und Gartengeräten lagern.Wer sie wohl später entdeckt? Im schillernden Werk von Waydelich finden sich des Weiteren Hommagen an Künstler und Erfinder, die er bewundert, etwa Marcel Duchamp oder Werner Siemens; letzterem hat er eine Waschmaschine und einen Staubsauger aus Marmor gewidmet („Siemens for the eternity“).

Raymond É. Waydelich (*1938 Straßburg) hat weltweit ausgestellt und war auf der Documenta sowie auf der Biennale von Venedig (1978) vertreten; erstmals ist ihm nun in Offenburg eine Retrospektive gewidmet. Diese zeigt einen Künstler, Erzähler und Sammler, der mit spektakulären Aktionen arbeitet, doch zugleich mit künstlerischen Mitteln wie Objektkasten, Zeichnung, Druckgrafik, Collage und Skulptur – oft unter Verwendung nostalgischer Fotografien oder poetischer Zufallsfundstücke wie Vogelfedern, Schrauben, Blechlöffeln und anderen; zudem hat er Stoffe, Straußeneier und Keramik gestaltet.

In seinen „Memory Paintings“ greift er auf entfernte Epochen zurück, vergegenwärtigt Alte Meister, collagiert und übermalt visuelle Elemente, die ebenso der Höhlenmalerei wie der klassischen oder jüngeren Kunstgeschichte entstammen können. Waydelich betätigt sich permanent als Zeitreisender und lässt den Kunstbetrachter an dieser Bewegung teilhaben; stets dabei: Lydia Jacob. Die Ausstellung in Offenburg bietet ein Kaleidoskop an Werken, im Spannungsfeld der Zeiten und Kulturen, zwischen Elsass und Baden, zwischen Afrika und Amerika. Waydelich, der unerschöpfliche Erzähler und eigenwillige Sammler ist nicht zuletzt viel gereist. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen; Texte von Claude Rossignol, Ute Dahmen, Gerlinde Brandenburger-Eisele. modo Verlag 2017.

Städtische Galerie und Kunstverein Offenburg. Amand-Goegg-Str. 2. Geöffnet: Di – Fr 13 – 17, Sa / So 11 – 17 Uhr. Bis 28.5.2017

Cornelia Frenkel