Neues Leben aus der Vergangenheit

Die Schau „Immortalismus“ im Kunstverein Freiburg widmet sich der Idee der Unsterblichkeit

Wer eben erst die Zarenherrschaft hinter sich gelassen hatte, wollte nicht mehr klein denken. Im nachrevolutionären Russland blühten Utopien verschiedenster Art. Zu den gewagtesten gehörte sicherlich der Immortalismus.

1922 veröffentlichten die Anarchisten-Biokosmisten ein Manifest, das Immortalismus und Interplanetarismus propagierte und auf die wesentlichen Ideen von Nikolaj Federov (1829-1903) zurückging. Für Federov konnte der Fortschritt nur das eine Ziel haben, den Tod zu überwinden und alle Verstorbenen wiederzubeleben. Die Besiedelung ferner Planeten war da nur naheliegend, irgendwo musste die derart vervielfältigte Menschheit schließlich hin.

Dass er bei dem Projekt einer Wiederbelebung, nicht das Heil in der Natur suchte, sondern im Museum, in dem sich die Vergangenheit quasi materialisierte, konnte auch mit seinem eigenen Beruf als Archivar zusammenhängen – ist aber für alle bildenden Künstler, die sich mit seinen Theorien befassen sollten, eine Steilvorlage. Der historische Abriss, der im Kunstverein Freiburg in Schautafeln und Vitrinen präsentiert wird, bildet die Folie für zehn zeitgenössische künstlerische Positionen. Selten gelingt es Ausstellungen derart konzise, Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden und zudem das utopische Potential der Referenz nicht zu verraten.

Die Ausstellung im Kunstverein Freiburg „Immortalismus“ findet im Rahmen der Russischen Kulturtage statt, die an hundert Jahre russische Revolution erinnern. Dieses Jubiläum ist auch der Grund für die Koinzidenz, dass Boris Groys im Haus der Kulturen in Berlin derzeit ebenfalls eine Ausstellung über den Immortalismus kuratiert hat. Groys ist zudem Mitherausgeber eines Bandes über dieses kulturgeschichtliche Phänomen, der wiederum Kunstvereinsleiter Heinrich Dietz zu seiner Ausstellung inspirierte.

Doch es gibt andere Gründe, warum gleich zwei Ausstellungen sich mit dem Phänomen des Russischen Kosmismus befassen, er tangiert zeitgenössische Vorstellungen über Optimierungen des Lebens, der Raumfahrt als Mittel zur Besiedelung ferner Planeten und damit auch Verschwörungstheorien. Dass viele dieser Utopien oder Manipulationen am Leben aus dem Umfeld des Silicon Valley stammen, sollte nachdenklich machen. Ging es im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts noch um Unsterblichkeit für alle, sollen zukünftig nur die ewig leben, die es sich leisten können.

„Immortalismus“ jedenfalls schlägt mit Arbeiten wie der von Anton Vidokle, die bereits im Titel „Immortality and Resurrection for All!“ Federov zitiert und der dessen Texte von seinen heutigen Anhängern im Video sprechen lässt, eine Brücke in die Gegenwart. Auf ihre Weise setzt sich eine jüngere Generation von Künstlern mit dem auseinander, was demnächst technisch möglich sein könnte.

Pakui Hardware (Neringa Černiauskaité und Ugnius Gelguda) etwa hat eine Installation im Kunstverein verwirklicht, die ambivalente Gefühle weckt. Auf wackligen Tonfüßen steht eine Plexiglasscheibe mit Einbuchtungen, die an Seen oder Laborvorrichtungen denken lassen. Kleine technische Apparaturen versorgen die blaue Flüssigkeit mit Sauerstoff und lassen so die Reproduktion wie auch immer gearteten neuen Lebens möglich erscheinen.

„On Demand“ hat Pakui Hardware auch die Skulpturen auf Stativen und mit verknautschten Kunststoffplatten genannt, auf die NASA-Fotos gedruckt sind. Ein Möglichkeitssinn manifestiert sich hier, der auf Anfrage Angebote macht. Auch bei Ivana Bašić setzt sich das Thema der Optimierung fort. Ihre bemalten Wachsskulpturen drücken einerseits einen sehr physischen Schmerz aus, eine der beiden Figuren ist zu einem Bogen gekrümmt und tatsächlich fehlen ihnen Glieder und Köpfe und zugleich erweitern die fragilen Prothesen aus Glas den Bewegungsradius.

Es sind Cyborgfantasien parallel zu jenen, die es in der Literatur und im Film längst gibt: von höchst artifizieller Ästhetik und auf eigenwillige Weise virulent.

Immortalismus. Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 12 bis 18 Uhr, Mittwoch 12 bis 20 Uhr.
Bis 29. Oktober.

Annette Hoffmann