Jeder liebt den Falschen oder keinen außer sich selbst

Bravouröse Inszenierung der Immoralisten von Arthur Schnitzlers „Liebelei“

Mitzi (Christina Beer)

Sie ist süß, die Christine (Chris Juliane Meiser), wenn auch ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen. Sie glaubt an die ewige Liebe und gibt sich dem Studenten Fritz hin, einem vermögenden Stutz aus gutem Hause (Jochen Kruß). Der fühlt sich in ihrer Nähe wohl, vielleicht liebt er sie auch, irgendwie; aber die Ewigkeit interessiert ihn nicht. Immerzu muss er an diese reiche verheiratete Frau denken, zu der er eine leidenschaftliche Affäre hat – und an deren eifersüchtigen Ehemann, der ihn bedroht (Florian Wetter). Vor ihm versucht ihn sein Freund Theodor (Uwe Gilot) zu bewahren, dessen Verhältnis zu Frauen von keinerlei Leidenschaft, dafür aber von pragmatischer Genussfähigkeit geprägt ist. „Zum Erholen sind sie da!“ So denkt auch die junge Mitzi (Christina Beer), die sich schon lange von der Liebe losgesagt hat und mit Theodor einfach ihren Spaß haben will.

Jeder liebt den Falschen oder keinen außer sich selbst. Oder falsch. So wie Christines Vater (Daniel Leers), der unsicher und sorgenvoll seine Tochter ins Unglück rennen lässt, weil er ihr nicht die Möglichkeit zur Entfaltung nehmen will. Oder ihre Nachbarin, Frau Binder (Anna Tomicsek), die Christine ganz emotionslos mit ihrem Neffen verkuppeln will. Eine regelrechte Schnitzler-Jagd, die immer den jeweils anderen im Visier hat.
Und so muss das vom Autor selbst als „rührende Tragikomödie“ bezeichnete Drama seinen Lauf nehmen: Fritz stirbt im Duell für die andere. Symbolträchtig, der rote (Blut-)Fleck auf der Matratze, der in erster Linie natürlich für die Entjungferung Christines steht. Er war unter dem Laken das ganze Stück über verdeckt gewesen, wird aber aufgedeckt, als Fritz bereits tot ist. In diesem Moment wird Christine alles klar; seine Verstrickung und ihre eigene Rolle in dem Ganzen. Sie erkennt, dass sie für ihn nur eine Liebelei war und setzt ihrem Leben ein Ende.
Wenn Manuel Kreitmeier (Regie) uns Arthur Schnitzlers Stück aus dem Jahre 1898 im Flair der fünfziger Jahre vor Augen führt, schlägt er unweigerlich auch den Bogen zur modernen Spaßgesellschaft. Unter den Figuren ist für jeden und jede eine dabei, mit der man sich irgendwie identifizieren kann. In echter Kreitmeier’scher Manier legt er so schonungslos wie genussvoll den Finger in unsere Wunden. Der Zuschauer vor und hinter der mittigen „Bühne“, einem Bett mit Herzchen-Wäsche – neben einem Uraltradio einziges Requisit –, ist so dicht am Geschehen dran, dass er mitunter nicht umhin kann, sich für die Protagonisten fremd zu schämen.
Rechts und links auf Stühlen all die Akteure, die gerade nicht ins Bett gehören, sich aber stimmlich schon mal ins Geschehen einmischen. Etwa als sich Christines Vater und die Nachbarin Binder über ihren Kopf hinweg über sie unterhalten, während diese auf dem Bett vergeblich auf ihren Liebsten wartet. Doch nicht nur raffinierte Regieeinfälle prägen diese Inszenierung. Sie wird vor allem getragen von der detaillierten Bewegungsregie, die in völlig natürlichem Fluss ausgeführt wird.
Und von den ausnahmslos brillanten Darstellern, die während der ganzen eineinhalb Stunden in keinem Moment außerhalb ihrer Rolle sind. Allen voran die beiden Hauptdarsteller Chris Juliane Meiser und Jochen Kruß, die die unzähligen emotionalen Brüche überzeugend rüberbringen. Vielleicht reagiert Fritz hin und wieder ein wenig zu trotzig, wenn Christine ihn mit ihren Fragen löchert; vielleicht ist Christine am Ende ein wenig zu selbstgerecht, als Fritz tot ist; vielleicht hätte man beide Momente etwas subtiler gestalten können. Die über sie hereinbrechende Verzweiflung geht allerdings zu Herzen. Erschütternd der Blick, mit dem sie dem Publikum in die Augen schaut, als sie sich die Pistole an die Schläfe hält. Spot aus. Tosender Beifall für eine bravouröse Vorstellung.
Theater der Immoralisten, Ferdinand-Weiß-Str. 7-9, Freiburg. Bis 12. April, jeweils Do-Sa, 20 Uhr.F. Zimmermann