In der Fondation Beyeler ist mit „Close-up“ eine Nahaufnahme auf das Werk von neun Künstlerinnen zu sehen

Marlene Dumas: „Teeth“, 2018; Öl auf Leinwand 40 x 30 cm; Private Collection, Madrid © Marlene Dumas. Courtesy the Artist and David Zwirner Foto: Kerry McFate

Es bräuchte nicht die große Goya-Ausstellung nebenan, um zu bemerken, dass „Close-up“ auf einer anderen Bühne spielt. Aber es ist eben eine schöne Koinzidenz, dass beide Schauen gerade parallel in der Fondation Beyeler zu sehen sind. Wie welthaltig ist dieses Werk aus dem späten 18. Jahrhundert denn? Gesellschaftsordnungen schauen uns hier an, die tatsächlichen, sowie die möglichen – Goya porträtierte ja auch seine liberal gesinnten Freunde und Bekannte, die vielleicht friedlichere Zeiten geschaffen hätten – und dann sind da noch diejenigen, die die Macht zu spüren bekamen: all die Kriegs- und Folteropfer, denen Goya ein menschliches Gesicht gibt.
Nicht, dass Berthe Morisot, Mary Cassatt, Paula Modersohn-Becker, Frida Kahlo, Lotte Laserstein, Alice Neel, Marlene Dumas sowie Cindy Sherman und Elizabeth Peyton nicht auch wachen Auges Zeitgenossinnen waren und sind. Doch je tiefer man ins 19. Jahrhundert zurückgeht, desto deutlicher wird, dass wer Sichtbares schaffen will, für sich selbst Sichtbarkeit schaffen muss. Nach „Resonating Spaces“ 2019 ist es bereits die zweite Ausstellung von Theodora Vischer, die ausschließlich Werke von Künstlerinnen zeigt. Dass Vischer ihre Auswahl auch von der Frage leiten ließ, wie diese Frauen sich selbst und andere porträtierten, ist wohl kein rein formales Kriterium. Berthe Morisot, der der erste Raum gewidmet ist, kennen wir alle von Edouard Manets Bildern. Schon oft hat man ihr waches Gesicht, das aus ihrer dunklen, eleganten Kleidung leuchtet, gesehen. Eines der Gemälde, „Der Balkon“, knüpft sogar eine Verbindung zu Francisco de Goya, greift es doch eine Komposition des spanischen Malers auf. Doch Morisot war nicht nur Modell, vor allem keine Muse, sie war Malerin, mit Mary Cassatt eine der wenigen Impressionistinnen und zudem dank eines Familienvermögens finanziell unabhängig. Zu malen, nicht zuletzt sich selbst, war auch eine Form der Selbstermächtigung.
Jeder der neun Künstlerinnen ist in der Fondation Beyeler ein Raum gewidmet. Das bietet einerseits die Gelegenheit, das Werk sozusagen – wie es der Titel nahelegt ‒ in Nahaufnahme zu betrachten, andererseits löst es Virginia Woolfs Forderung nach „a room of one’s own“ ein. Kunst ist für diese Frauen ein Emanzipationsmodell. In Mary Cassatts Bild „Frau in Loge“ rückt sich eine Frau in die erste Reihe: eine junge Rotblonde in rosafarbenem Abendkleid, das weit ausgeschnitten ist, eine Perlenkette betont das Dekolletee. Es gab ein Nachtleben, in dem sich Frauen sehen ließen und selbst sehen konnten.
Vor allem das Werk von Lotte Laserstein bildet die allmähliche Eroberung öffentlichen Raums durch die Frauen ab. So zeigt die Fondation Beyeler etwa „Die Tennisspielerin“ aus dem Jahr 1929. Sport gehörte zu jenen Bereichen, in denen sich Frauen beweisen konnten. Die neue Frau trug die Haare kurz, eine schmale Silhouette, sie reiste und war sportlich. Lasersteins Modell Traute Rose entsprach diesem Typ. Malerisch gesehen, bot sich eine neue Ästhetik, so korrespondiert der Maschendrahtzaun mit der Bespannung des Tennisschlägers und der Kopfbedeckung, einem Hybrid aus Haarnetz und Sonnenschutz. Die neusachliche Malerin Lotte Laserstein, die 1937 vor dem Nationalsozialismus nach Schweden flieht, schafft in Bildern, die sie mit ihrem Modell im Berliner Atelier zeigen, auch einen Raum, der unbehelligt von den politischen Spannungen ihrer Zeit zu sein scheint.
Einen sehr persönlichen Zugang zur Zeitgeschichte wählte Elizabeth Peyton seit Beginn ihrer Karriere. Peyton wurde mit meist kleinformatigen Porträts von Künstlerinnen und Künstlern bekannt. Was intim und vertraut wirkt, geht oft auf Fotos oder Plattencover zurück. Doch mittlerweile hat sie sich auch politischen Figuren wie 2019 Greta Thunberg zugewandt. Ihr Stil ist dabei nahe am Aquarell – zu flüchtig, um wirklich repräsentativ zu sein.

Close-up. Fondation Beyeler, Baselstr. 101. Basel-Riehen, Mo-So 10-18 Uhr, mi 10-20 Uhr. Bis 2. Januar 2022.

Bildquellen

  • Marlene Dumas: „Teeth“, 2018; Öl auf Leinwand 40 x 30 cm; Private Collection, Madrid © Marlene Dumas. Courtesy the Artist and David Zwirner: Foto: Kerry McFate
  • Lotte Laserstein: „Ich und mein Modell“, 1929/30, Öl auf Leinwand, 49,5 x 69,5 cm, Private family collection: © 2021, ProLitteris, Zurich